Der Kulturausschuss hat die Verwaltung in seiner Sitzung vom 19.08.2019 beauftragt, ein Konzept für „Wege von Verfolgung und Widerstand“ oder „ Wege der Diktatur“ (Arbeitstitel) in Lübeck zu erarbeiten. Der Auftrag umfasst weiterhin, Erinnerungsorte etc. aufzulisten und eine „Strategie zu möglichst breitangelegter Vermittlungsarbeit“ zu entwickeln. Außerdem soll „eine Liste möglicher Orte des Gedenkens“ erstellt werden
Mit dieser Vorlage werden Vorüberlegungen für ein fundiertes Konzept, ein Weg für die Erarbeitung eines solchen (Kosten- und Finanzierungsplan) sowie die beauftragte Auflistung vorgelegt.
Zum Stand der Erinnerungskultur in Lübeck und ihrer Perspektiven
In der Hansestadt Lübeck wird seit geraumer Zeit an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Anlässen der Herrschaft und Verbrechen des Nationalsozialismus sowie der Opfer des Zweiten Weltkriegs gedacht. Ebenso erinnert die Hansestadt an Bau und Öffnung der Mauer und damit an die Geschichte der deutschen Teilung als Folge des Krieges, insbesondere an die frühere Grenzlage Lübecks im Kalten Krieg.
Diese Erinnerungslandschaft ist allerdings aufgrund einer Vielzahl von Gedenkorten, Anlässen und Veranstaltern sehr zerklüftet. Zur besseren Vernetzung besteht seit 2018 das Forum Erinnerungskultur, das auch eng in die konzeptionellen Vorüberlegungen zu dieser Vorlage eingebunden gewesen ist. Weiterhin fehlt neben einer Koordinierung vor allem ein authentischer Lernort, wo eine viele Bürger:innen (auch Touristen) ansprechende Vermittlungs-und Gedenkarbeit stattfinden kann. Es fehlt auch die Erinnerung an all jene, die dagegen waren, ob sie nun bekannt waren, wie z.B. die vier Lübecker Märtyrer oder Willy Brandt, oder ob es sich um unbekannte Regimegegner handelte („Stille Helden“ heißt das Gedenkkonzept in Berlin).[1]
Im Vergleich gesehen kommt der Hansestadt Lübeck aus mehreren Gründen eine besondere Bedeutung in der deutschen Erinnerungslandschaft zu:
- Lübeck als Stadt, in der es bedeutenden Widerstand gegen den Nationalsozialismus gab (Arbeiterwiderstand, Kirchen und etliche andere)
- Lübeck als regionale Zentrale des NS-Terrors
- Lübeck als „Exporteur“ mehrerer Haupttäter der NS-Verfolgung und des Holocausts[2]
- Lübeck mit dem einzigartigen Fall der Ermordung von vier Geistlichen
- Lübecks Synagoge überstand (wenn auch geschändet) als eine der wenigen jüdischen Gotteshäuser in Deutschland die Reichspogromnacht
- Lübeck als erstes Ziel für ein Flächenbombardement im Zweiten Weltkrieg
- Lübeck als bedeutender NS-Militär- und Rüstungsstandort
- Lübeck als zentrales Auffangbecken für Verfolgte und Vertriebene sowie Displaced Persons ab 1945
- Lübeck als Grenzort zur DDR und „hotspot“ im Kalten Krieg.
Angesichts aktueller Gefährdungen der Demokratie durch das Erstarken rechtsextremer Aktivitäten[3] und die Zunahme politisch motivierter Gewalt (Hanau, Halle z.B.) ist die didaktisch fundierte Erinnerungsarbeit ein aktuelles gesellschaftliches Anliegen. Es gilt, den Wert einer offenen demokratischen Gesellschaft im Unterschied zu totalitären Ideologien zu zeigen und dazu historische Erfahrungen einzubringen. Es gilt ein „Doppeltes Gedenken“ zu etablieren: Eine Erinnerung, die gegenwartsbezogen und zukunftsorientiert ist.
Die Zeit des Nationalsozialismus liegt zwar inzwischen drei Generationen zurück, die Erinnerung an Menschheitsverbrechen, an den Widerstand gegen das Regime, an die Helferinnen und Helfer verfolgter Menschen ist und bleibt ein zentraler Teil der demokratischen Identität Deutschlands.[4] Der Kampf gegen Antisemitismus und das Gedenken an die NS-Opfer überhaupt ist Teil der deutschen Staatsräson.[5] Schüler über die Zeit des Nationalsozialismus, über Opfer und Täter aufzuklären, wird jedoch zunehmend schwieriger aufgrund des Fehlens von Zeitzeugen und anderer Faktoren (z.B. fake news in sozialen Medien). Daher sind auch authentische Orte, wie das Burgkloster und das Zeughaus, für die Erinnerungsarbeit von größter Bedeutung.
Seit Schließung des Burgkloster-Museums (bzw. dessen Überführung in andere Regie), wo aktive Gedenkarbeit am gegebenen Ort (Gerichtssaal/Zellen) geleistet wurde, gibt es keinen zentralen authentischen und aktiven Erinnerungsort in Lübeck mehr. Authentische Orte können als Koordinations-, Forschungs-, Lern- und Diskussionsorte fungieren, sie können Demokratieerziehung leisten. Zugleich sind sie Zeichen dafür, dass auch Kommunen (vgl. etwa Kiel und Mannheim[6]) sichtbar und mit Breitenwirkung Verantwortung für ihre NS-Geschichte übernehmen.
Die als Anlage 2 beigefügte Informationssammlung zu Gedenkanlässen und Gedenkorten versteht sich als erster Schritt hin zu einem solchen Konzept der Hansestadt. Sie ist offen für Ergänzungen und erhebt nicht den Anspruch auf absolute Vollständigkeit. Die Auflistung könnte den Eindruck vermitteln, dass doch eigentlich schon genug vorhanden und getan worden sei. Dieser Anschein trügt jedoch, da die meisten Orte und Anlässe vielen gar nicht bekannt sind und erst durch aktive Erinnerungsarbeit und Demokratiebildung zum Sprechen gebracht werden müssen, um für unsere demokratische Gesellschaft wirklich positiv wirken zu können.
Eine „Strategie zu möglichst breitangelegter Vermittlungsarbeit“ (s.o.) sollte auf einem fundierten didaktischen Konzept beruhen, dass neben dem wissenschaftlich-didaktischen Teil verschiedene praktische Fragen beantwortet und Umsetzungsvorschläge unterbreitet, z.B.:
- an einem authentischen Ort
- Zentrale Themen, Inhalte und Anliegen
- Koordinierung mit landesweiten Ansätzen.
Im Grundlagenkonzept wird die von der Politik vorgeschlagene App „Wege der Verfolgung und des Widerstandes“ auf Basis des Rahmenkonzeptes zur digitalen Strategie der Hansestadt Lübeck (VO/2020/08509) weiterentwickelt. Die Hansestadt Lübeck wirkt demnach darauf hin, digitale Angebote zu bündeln um Nutzer:innen nicht mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Anwendungen zu überfordern. Das strategische Ziel wonach die Hansestadt Lübeck beabsichtigt, digital vorhandene Daten von Kulturgütern für Interessierte bedarfsgerecht aufzubereiten wird damit ebenfalls verfolgt. Zusätzlich werden bisher nicht digital vorhandene Daten von Kulturgütern und Erinnerungsorten digitalisiert und öffentlich bereitgestellt. Das vom Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat als Modellprojekt Smart City geförderte digitale Kulturwerk Lübeck wird eingebunden.
Die Konzepterstellung hat das Ziel, mit externem Sachverstand und auf professioneller Distanz zu prüfen, wie das „doppelte Gedenken“ in Lübeck auf eine neue Basis gestellt werden kann. Es soll eine seriöse Grundlage für die politische Diskussionen und Entscheidungen schaffen.
Partner:
Das Zentrum für Kulturwissenschaftliche Forschung Lübeck (ZKFL, www.zkfl.de ) hat sich bereit erklärt, die Erstellung eines solchen Konzepts organisatorisch in die Hand zu nehmen und wissenschaftlich zu begleiten. Außerdem hat das ZKFL eine bedeutende Teilfinanzierung der Konzepterstellung in Höhe von 15.000 EUR in Aussicht gestellt. Es gibt darüber hinaus weitere erste Finanzierungszusagen (siehe dazu die Anlage 3).
Das ZKFL ist ein Zentrum der Universität zu Lübeck in Partnerschaft mit der Hansestadt Lübeck.
Mitglieder des ZKFL sind seitens der Universität das Institut für Medizingeschichte und Wissenschaftsforschung (IMGWF), das Institut für Multimediale und interaktive Systeme (IMIS), das Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie sowie das Institut für Psychologie (IPSY).
Seitens der Stadt gehören zum ZKFL die Kulturstiftung LÜBECKER MUSEEN, das Archiv der Hansestadt Lübeck, die Stadtbibliothek sowie der Bereich Archäologie und Denkmalpflege der Hansestadt Lübeck.
Dem entsprechend besitzen einzig die im ZKFL vertretenen Institutionen, die fachliche Expertise für die Begleitung und Evaluierung der Konzepterstellung.
Weiteres Vorgehen:
Die Erarbeitung des Konzepts soll im Laufe des Jahres 2021 realisiert werden. Hierzu werden im zweiten Halbjahr 2020 die erforderlichen Fördergelder durch das ZKFL eingeworben.
Anschließend wird – voraussichtlich im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung – eine fachlich geeignete Person gewonnen (spätestens bis Ende März 2021). Die Entwicklung der Studie wird institutionell am ZFKL angesiedelt und von einem kleinen Fachbeirat mit historischer und Lübeck-Kompetenz begleitet. Die Studie soll im Herbst 2021 vorliegen und den Gremien vorgestellt werden.