Robinie

Robinia pseudoacacia - Baum des Jahres 2020

Man könnte meinen, ich bin ein echter Hillbilly - denn meine Heimat sind die US-amerikanischen Wälder im Süden der Appalachen und westlich des Flusses Mississippi. Dort bin ich nur eine unter vielen Robinienarten. Das ist in Europa anders. Hier bin ich die einzige meiner Art und habe seit meiner Ankunft in der Mitte des 17. Jahrhunderts eine ganz schöne Karriere hingelegt. So hinterwäldlerisch, wie man die Hillbillys immer charakterisiert, bin ich nämlich gar nicht.

Namenswirrwarr
Bevor man mich als eigene Baumart identifizierte, hielt man mich fälschlicherweise für eine Akazienart. Bis heute haftet mir deshalb der Name „Scheinakazie“ an. Immer noch zeugt davon mein botanischer Beiname „Robinia pseudoacacia“. Von den Fiederblättern über die dornigen Zweige bis zu den Hülsenfrüchten habe ich tatsächlich vieles mit der Akazie gemeinsam. Unsere Blüten unterscheiden sich allerdings erheblich. Kein Wunder - denn Akazien gehören zu den Mimosen, wir Robinien sind Schmetterlingsblütler.

Ankunft in Europa
Wie so viele Pflanzen, erhielt ich meinen Namen von Carl von Linné, der das bis heute gültige Ordnungssystem der Pflanzennamen entwickelte. Schon damals war es üblich, Pflanzen auch nach ihren Entdeckern, Züchtern oder nach Personen zu benennen, die sich um sie verdient gemacht hatten. Carl von Lineé wollte mit meinem Namen den Franzosen Jean Robin ehren, der unter anderem die Königlichen Gärten betreute. Carl von Linée glaubte, dass Jean Robin mich 1601 als Erster nach Europa brachte. Doch er irrte. Den ersten verbrieften Nachweis für meine Existenz in Europa erbrachte der britische Botaniker John Tradescant der Ältere, der mich 1634 in einer Inventarliste für seinen Londoner Garten aufführte.

Ein Pionierbaum
Einmal in Europa, eroberte ich dort die barocken Lustgärten im Sturm. Der Adel und das gehobene Bürgertum fanden meine zarten Fiederblätter dekorativ und meine süßlich duftenden Blütentrauben exotisch. Für die kleinen Stadtgärten von heute bin ich als Baum mit einer ausladenden Krone natürlich viel zu groß. In den Baumschulen hat man darauf mittlerweile reagiert und kleine, kompakte Kugelrobinien gezüchtet. Sie sind in Gärten und Vorgärten ein schöner Anblick und strukturieren kleine Grundstücke vorteilhaft. Als Straßen- und Parkbaum werde ich dann wieder im Original eingesetzt, denn die Stadt ist ein gutes Pflaster für mich. Ich komme gut mit dem trockenen Klima, den verdichteten Böden und sogar mit Streusalz zurecht. Mit Blick auf den Klimawandel habe ich also klares Potenzial für eine Zukunft als Stadtbaum. Dank meines ausladenden Wurzelsystems eigne ich mich auch, um Böschungen zu befestigen oder als Pionierbaum Sandböden und Ödland aufzuforsten. Und weil ich mich praktisch selbst dünge, indem ich über sogenannte Rhizobien meinen eigenen Stickstoff erzeuge, bin ich sogar Pionierbäumen wie der Birke oder dem Ahorn weit überlegen.

Invasiv oder nicht?
Als waschechter Amerikanerin gefällt mir natürlich diese Rolle als Pionierbaum. Europa ist aber eine ganz neue Welt für mich. Hier bin ich ein Neophyt, also eine Neubürgerin. Ob ich auch eine invasive Art bin, die die heimische Flora bedroht, dazu gibt es unterschiedliche Meinungen. Meine Gegner führen ins Feld, dass ich daheim in Amerika auf Pionierflächen nach und nach von schattentoleranten Baumarten zurückgedrängt werde. In Mitteleuropa scheint diese natürliche Regulierung nicht zu funktionieren. Experten kennen jedenfalls bislang keine heimische Baumart, die meine Dominanz bricht. Für trockene Standorte mit nährstoffarmen Böden - das muss ich leider selbst zugeben - bin ich tatsächlich eine Gefahr. Sobald ich dort wachse, reichere ich den Boden so sehr mit Stickstoff aus Eigenproduktion an, dass sie quasi überdüngen. Dadurch zerstöre ich den Lebensraum der speziell auf arme Böden angepassten Pflanzen- und Tierwelt dauerhaft. Das Bundesamt für Naturschutz hat deshalb Position bezogen und stuft mich als invasive Baumart ein. Einig sind die Experten darüber, dass ich nicht in der Nähe von Naturschutzgebieten stehen sollte. Einig sind sie aber auch, dass meine Blüten eine nektarreiche Bienenweide sind, dass ich Böden verbessern helfe und bestes Brennholz liefere.

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