Gänge und Höfe

Die verborgene Schönheit der Hansestadt

Rund 90 Gänge, Torwege und Höfe gibt es noch heute in der Lübecker Altstadt. Ihre Vielfalt ist weltweit einzigartig. Die Gänge und Höfe in Lübeck sind ein Überrest aus dem mittelalterlichen Städtebau. Betritt man sie, so fühlt man sich in die Zeit der Hanse zurückversetzt. Die dicht bebauten Gassen entstanden, als erfolgreicher Handel die „Königin der Hanse“ rasch wachsen ließ. Doch der Altstadthügel wuchs nicht mit: Schnell wurde es innerhalb der Mauern zu eng. Als Notlösung brach man Gänge in die Vorderhäuser und bebaute die Hinterhöfe mit den so genannten Buden. Dicht aneinander gedrängt auf Eckgrundstücken, an den Rückseiten der Bürgerhäuser oder im inneren Bereich der Wohnblöcke standen diese damals ein- oder zweistöckigen, oftmals mit nur einem Zimmer ausgestatteten Bauten. Die versteckt gelegenen Wohnbereiche wurden Gänge oder Gangviertel genannt. In ihnen wohnten Tagelöhner, Träger oder die Beschäftigten des Gewerbes, das im Straßenhaus ausgeübt wurde.

Mittelalterliche Buden sind kaum noch erhalten, da man erst in der Mitte des 16. Jahrhunderts begann, auch steinerne Buden zu errichten. Schnell hatten die Kaufleute, die begüterte Mittelschicht und die Kirche erkannt, welch geldspendende Quelle ein Haus mit einem ausgebauten Hof darstellte. Es blieb nicht aus, daß der Handel mit den kleinen Wohngängen und auch der Mietwucher die herrlichsten Blüten trieb. Dabei war es dem Hausbesitzer überlassen, wie viele Familien er in die winzigen Wohnungen presste und wie viele Buden er hinter seinem Hause errichten ließ. Die kleinste dieser Buden, in der Hartengrube Nr. 36, hatte eine Frontlänge von 3,45 m, eine Breite von 4,65 m und eine Höhe bis zum Dachfirst von 4,95 m.

Im Zuge des allgemeinen Bevölkerungswachstums in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts nahm auch die Lübecker Stadtbevölkerung um knapp ein Viertel zu.

Das führte zur Verarmung großer Teile der Bevölkerung und somit zum Neu- und Ausbau der Gangviertel. 

Durch aufwendige Sanierungen, dank Stiftungen wohlhabender Lübecker Bürger sind aus den Buden in den vergangenen Jahren attraktive Häuschen geworden: Sie sind klein und bunt wie Puppenhäuser. Der Besucher muss, um die Gänge und Höfe in Augenschein zu nehmen, oft gewohnte Pfade verlassen: Kopf einziehen, Schultern beugen und hinein! heißt es beim Betreten der oftmals schmalen und niedrigen Eingänge. Erreichbar sind die Gänge oftmals durch einen Durchgang im Straßenhaus. Dieser musste mindestens so breit sein, dass man einen Sarg hindurch tragen konnte. Dies erklärt, warum die Gänge so schmal sind. Die Höfe dagegen weiten sich meist um einen zentralen Platz, auf dem sich heutzutage ein Baum, ein Spielgerät oder gelegentlich eine Laube befindet. Viele Gänge münden in andere Gänge oder entlassen den Besucher überraschend in eine bekannte Straße.

Auch die Höfe sind eine Lübecker Attraktion. Um die Ärmsten der Armen vor Mietwucher zu schützen, gründeten angesehene Lübecker damals Stiftungen wie zum Beispiel den Füchtingshof, um nur den berühmtesten zu nennen. Der Ratsherr Johann Füchting bestimmte 1636 ein Drittel seines Erbes „zum Nutzen und Besten der Armen“. Als Gegenleistung erbat sich der Stifter oft das Gebet nach seinem Ableben. Das sollte ihm dann einen „guten Platz im Himmel“ sichern. Noch heute sind 28 Wohnungen günstig an Pensionärinnen, oftmals auch Witwen und Lübecker Kaufleute, vermietet.

Die meisten der Gänge und Höfe in Lübeck sind frei zugänglich. Einige von ihnen sind über Nacht mit einem Tor oder einer Tür verschlossen, einige sind nicht zu betreten.

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