Auswirkungen auf das Mobilitätsverhalten und die Verkehrsströme
Die Verkehrsberuhigung startete bereits Mitte März mit der Einrichtung einer Einbahnstraßenregelung zur Durchführung der erforderlichen Baumaßnahmen bis Anfang Mai, zu der es sofort sehr positive Rückmeldungen seitens der Gewerbetreibenden gab.
Der offizielle Start des Verkehrsversuchs in der Beckergrube wurde aufgrund der Covid-19-Pandemie und des damit verbundenen Lockdowns kaum wahrgenommen, da Anfang Mai nur etwa die Hälfte des üblichen Kfz-Verkehrs auf den Straßen unterwegs war. Das Umgewöhnen an die neue Verkehrsregelung verursachte somit keine größeren negativen Auswirkungen auf angrenzende Straßenräume.
Die neue Verkehrsregelung in Richtung Burgtor am Knotenpunkt Beckergrube/Fünfhausen wird laut Verkehrskontrollen überwiegend eingehalten. Die klare Beschilderung und die Rechtsabbiegespur tragen dazu bei.
Am Burgtor wird das Durchfahrtverbotsschild mit Hinweis in 600 m erkannt und viele Fahrzeuge biegen rechts in die Fährstraße ab; insbesondere Autos mit auswärtigem Kennzeichen fahren noch geradeaus, vermutlich ihrem Navi folgend. Die Situation am Koberg mit dem Rechtsfahrgebot um den Platz herum ist für die Verkehrsteilnehmer:innen schwer zu erfassen, da die asphaltierte Straße ein Weiterfahren „signalisiert“ und die gepflasterte Straße Koberg kaum als solche wahrgenommen wird. Ende Juni wurde das Befahren des weiteren Straßenzugs schon hier mit einem zusätzlichen Durchfahrtverbotsschild untersagt, da dieser Bereich über die Umrundung des Platzes erreicht werden kann.
In den ersten Monaten wurde in der Beckergrube in Fahrtrichtung Untertrave ein weiterhin hohes Verkehrsaufkommen – insbesondere Kfz mit auswärtigem Kennzeichen – von Anwohner:innen, Gewerbetreibenden und Akteur:innen beobachtet und mehr Kontrollen gefordert. Es wurden Verkehrskontrollen im gleichen Maße wie anderswo in der Altstadt durch die Polizei durchgeführt, und Verwarnungen an nicht Durchfahrtsberechtigte ausgestellt.
Der Kfz-Verkehr (ca. 7.000 Kfz/Tag, 2016) in der Beckergrube bestand zur Hälfte aus Durchgangsverkehr. Die anderen 50 % sind Anwohner:innen, Lieferverkehre, Linien- und Busverkehre, Schwerbehindertenverkehre, Taxen und Mietwagen. Diese etwa 3.500 Kfz/Tag sind gemäß den Zufahrtsbeschränkungen im Verkehrsversuch berechtigte Verkehrsteilnehmer, die weiterhin durch die Beckergrube und Breite Straße fahren dürfen.
Das Ergebnis der im September 2020 durchgeführten Erhebungen ergab, dass insgesamt noch 2.810 Kfz/Tag durch die Beckergrube fahren; etwa 2.240 (2016: 4.660 Kfz) vom Koberg kommend zur Untertrave und 570 (2016: 2.350 Kfz) von der Untertrave kommend in Richtung Koberg. Es konnte mit der neuen Verkehrsführung und den erfolgten Maßnahmen eine Reduzierung des Kfz-Verkehrs um 60 % erreicht werden.
Bei der mit der Bluetooth-Technologie basierten Erfassung konnte nahezu in der gesamten Altstadt und im direkt angrenzenden Bereich keine signifikant erhöhte Verkehrsbelastung festgestellt werden. Auch die Befürchtung, dass die Verkehrsbeziehung Mühlenstraße Königstraße Beckergrube vermehrt genutzt wird, hat sich nicht bestätigt. Einzig in den Rippenstraßen Fischergrube sowie Engelsgrube konnten Verkehrsmengenzunahmen festgestellt werden. Diese gilt es, zu beobachten.
Das Ziel den Durchgangsverkehr zu beschränken, um Anwohnerverkehren, dem ÖPNV, sowie dem Radverkehr eine höhere Priorität einzuräumen bzw. sichere und staufreie Wege zu ermöglichen, konnte ohne negative Auswirkungen auf angrenzende Straßenräume erreicht werden. Auch wenn der Monat September 2020 aufgrund der Covid-19-Pandemie kein abschließendes Fazit erlaubt, bestätigen die vorliegenden Zahlen die mit dem Rahmenplan Innenstadt beschlossenen Mobilitätsziele.
Der Verkehr am Koberg hat abgenommen, da das Linksabbiegen von der Königstraße zum Koberg beschränkt wurde. Bei der Zählung in 2019 sind dort ca. 1.000 Kfz links abgebogen, in 2020 waren es nur noch ca. 510 Kfz. Zusätzlich zu den neuen Verkehrsschildern zeigen die Hinweisschilder auf den Containern ihre Wirkung.
Das Parkhaus St. Marien im Wehdehof wird mehr genutzt: Von Juli bis September 2020 gab es nach Aussage des Betreibers zwischen 8.00 und 19.00 Uhr eine Steigerung der Belegung von 12 % im Vergleich zum Vorjahr.
Seitens des Stadtverkehrs gibt es keine Auffälligkeiten im Betriebsablauf oder beim Ein- und Ausstieg. Das Durchfahrts- und Halteverbot im verkehrsberuhigten Geschäftsbereich beschert dem Taxigewerbe eine verbesserte Ausgangssituation an den Fußgängerzonen und dem Stadttheater. Der Taxenverband kritisiert jedoch die Reduzierung der ausgewiesenen Taxenstellplätze.
Der Fahrradverkehr hat in der Beckergrube um 20 % zugenommen. Dies liegt begründet in der Verkehrsberuhigung und dem neuen Angebot an Fahrradabstellmöglichkeiten. Die enorme Steigerung hängt ggf. auch mit der aktuellen Situation (Covid-19-Pandemie) zusammen. Auf der Nordseite gab es an der 3 cm hohen Kante zwischen Straße und Gehweg eine erhöhte Anzahl von Fahrradstürzen. Nachdem die neuen Bäume vor dem Theater näher an die Fahrbahn gerückt, fünf Baken bzw. Pflanzkisten aufgestellt und Fahrradpiktogramme auf die Fahrbahn angebracht wurden, gab es keine weiteren Meldungen mehr.
Laut Befragung einiger Gastronom:innen und Gewerbetreibenden durch das ArchitekturForum Lübeck im Rahmen einer öffentlichen Turnusveranstaltung am 8. September 2020 hat sich das Verkehrsaufkommen in der Großen Burgstraße kaum verändert. Jedoch hat sich der Parksuchverkehr entspannt, obwohl oder gerade weil 19 Stellplätze in der angrenzenden Breiten Straße und Beckergrube umfunktioniert wurden. Die Gastronom:innen und Gewerbetreibenden wünschen sich eine ähnliche Verkehrsberuhigung in der Großen Burgstraße, da die Kundschaft überwiegend aus Touristen besteht, die zu Fuß unterwegs sind.
Trotz Sanierung der Holstenhafenbrücke (MuK-Brücke) wurde bei der Zählung im September 2020 im Vergleich zum Vorjahr eine Steigerung des Fußgängeraufkommens festgestellt, die in der nachfolgenden Tabelle ersichtlich wird:
Fußgängeraufkommen in der „oberen“ Beckergrube |
| 2019 | 2020 |
Südseite (Parkhaus) | | |
„rauf“ Richtung Breite Straße | 1.670 | 1.790 |
„runter“ Richtung Untertrave | 1.370 | 2.040 |
Nordseite (Theater) | | |
„rauf“ Richtung Breite Straße | 480 | 650 |
„runter“ Richtung Untertrave | 1.030 | 1.140 |
Erhebungen in jeweils 10 Stunden am 19.09.2019 und 22.09.2020
Steigerung der Aufenthaltsqualität
Der Verkehrsversuch läuft seit einem halben Jahr. Die Bürger:innen verfolgen das Projekt, nutzen den neuen öffentlichen Raum und geben überwiegend positive Rückmeldungen (persönlich an die Projektleitung, ans Lübeck Management oder an beckergrube@luebeck.de). Fahrradabstell- und konsumfreie Sitzmöglichkeiten haben in diesem Bereich der Innenstadt offensichtlich gefehlt, da die angeschafften zehn Fahrradmodule für etwa 100 Fahrräder in der Beckergrube und weitere zehn Fahrradbügel in der Breiten Straße sowie zehn mobile urbane Sitzmöbel sehr gut angenommen werden; die „Enzos“ sind neuer Treffpunkt. Die Beckergrube ist nicht mehr nur Transitraum, sondern zu einem Aufenthaltsort geworden. Die Gastronom:innen haben die Flächen für Außengastronomie erweitert und begrünt.
Das Urban Gardening-Projekt der Initiative Grüne Beckergrube läuft erfolgreich. Eine kleine Gruppe aus Aktiven von Fridays for Future und Greenpeace Lübeck haben dieses Projekt aufgebaut: Von der Vernetzung, dem Possehl-Antrag, dem eigenhändigen Bau der Kisten und Schränke bis zur Bepflanzung, Pflege, Ernte und Information. Im zweiwöchentlichen Rhythmus findet ein offenes Treffen statt, zu dem via Anwohner-Brief, Mailverteiler, auf Instagram und Schild am Werkzeugschrank eingeladen wird. Anwohner:innen und Musiker:innen des Philharmonischen Orchesters unterstützen das Projekt tatkräftig. Der neu gewonnene Raum in der Beckergrube soll mit nachhaltigem Anbau gefüllt werden, um die Menschen zu begeistern und auf Klima- und Umweltschutz, sowie Wertschätzung für Landwirtschaft und Vielfalt aufmerksam zu machen. Vor Ort erhalten die Aktiven von Passant:innen durchweg positive Rückmeldungen. Das vorerst auf Ende Oktober begrenzte Projekt wurde nun über den Winter verlängert und soll auch in die zweite Runde gehen.
Die Ausstellung in den beiden roten Info-Containern erfreut viele Besucher:innen und führt zu einer hohen Akzeptanz des Verkehrsversuchs. Der eigens für den Verkehrsversuch entwickelte Claim „Lübeck geht los!“ führt die Bersucher:innen durch die Ausstellung. Die Welterbe- und Gestaltungsbeiräte haben diese Form der Bürgerinformation als beispielgebend gelobt. Das tägliche Öffnen und Schließen der Container übernehmen Paten – das Hotel KO15 am Koberg und das Büro Heske Hochgürtel Lohse Architekten in der Beckergrube. Im September wurde je eine Ausstellungstafel mit Informationen zur Mobilitätswende (Maßnahmen der neuen Klimaleitstelle und Inhalte des neuen Verkehrsentwicklungsplans) ausgetauscht.
Student:innen der TH Lübeck haben im Rahmen eines Seminars Installationen in der Beckergrube aufgebaut, die einen Bezug zur Historie herstellen und aufgezeigt haben, wie unterschiedlich der neue öffentliche Raum genutzt werden könnte.
Eine weitere Nutzung des Vorplatzes vor dem Theater und der Multifunktionsfläche am Durchgang zum Wehdehof gab es an mehreren Tagen durch musikalische Beiträge der Musiker:innen des Philharmonischen Orchesters und durch Tanz-Flashmobs verschiedener Tanzgruppen.
Bürgerbeteiligung
Die Eigentümer:innen und Gewerbetreibenden aus dem Versuchsraum wurden am 26. November 2019 zu einer Informationsveranstaltung eingeladen. Am 9. März 2020 fand für Anwohner:innen und Interessierte eine Dialogveranstaltung statt. Im Rahmen der Europäischen Mobilitätswoche gab es eine zweitägige Veranstaltung auf der Multifunktionsfläche in der Beckergrube. Die neue Klimaleitstelle der Hansestadt Lübeck hat sich bürgernah vorgestellt und gemeinsam mit der TH Lübeck neue Mobilität anhand von Forschungsmodellen präsentiert. Ergänzend dazu gab es Info-Stadtrundgänge zum Verkehrsversuch. Informationen und Terminankündigungen sind immer aktuell auf www.luebeck.de/gehtlos zu finden.
Weiteres Vorgehen
Nach positivem Ablauf des einjährigen Verkehrsversuchs könnten auf Wunsch der Politik weitere verkehrliche und räumliche Veränderungen zeitlich begrenzt erprobt werden, wie z.B.
eine Unechte Einbahnstraße vom Koberg Richtung Untertrave, in der nur Busse, Fahrräder und E-Scooter erlaubt wären, um das Durchfahrverbot am Koberg besser herauszustellen
die anfangs geplante und zurückgestellte Variante mit einer Verengung der Fahrbahn auf 4,50 m vor dem Theater auf einer Länge von ca. 50 m mit wenig Aufwand (Markierung, Baken und Blumenkisten), um den mit erhöhter Geschwindigkeit durchfahrenden Verkehr „auszubremsen“ und die Durchfahrt unattraktiv zu gestalten
eine zeitliche Begrenzung der Durchfahrt für den Lieferverkehr wie in den Fußgängerzonen und bei den Haltemöglichkeiten bis 10:30 Uhr, um weiteren Durchgangsverkehr zu unterbinden. Für den Transport der Musikinstrumente des Philharmonischen Orchesters müsste eine Sondererlaubnis ausgestellt werden.
Es wurde dem Projektaufruf des Förderprogramms Nationale Projekte des Städtebaus gefolgt und eine Bewerbung im Oktober 2020 für die Umgestaltung der gesamten Beckergrube eingereicht. Weitere Informationen siehe VO/2020/09143. Eine Zu- oder Absage wird im Februar 2021 erwartet.
In einem für Anfang 2021 geplanten Termin mit den verkehrspolitischen Sprecher:innen soll vereinbart werden, in welcher Form und in welchem Umfang die Evaluierung des Verkehrsversuchs im Mai 2021 – unter Berücksichtigung der Einschränkungen durch die Covid-19-Pandemie – abgeschlossen werden soll.
Begründung der Dringlichkeit
Den Mitgliedern des Bauausschusses wurde zugesagt, dass ein Zwischenbericht zu dem Verkehrsversuch Beckergrube noch im Jahr 2020 dem Bauausschuss bekannt gegeben werde. Daher muss dieser Bericht im Wege der Dringlichkeit auf die Nachtragstagesordnung der Bauausschusssitzung am 07.12.2020 gesetzt werden, da es sich um die letzte Sitzung dieses Ausschusses im Jahr 2020 handelt.