Vorlage - VO/2021/10675-01  

Betreff: Beantwortung der Frage vom AM Monika Schedel (BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN): Anfrage an das Archiv der Hansestadt
Status:öffentlich  
Dezernent/in:Senatorin Monika FrankBezüglich:
VO/2021/10675
Federführend:4.415 - Archiv Bearbeiter/-in: Lokers, Jan
Beratungsfolge:
Senat zur Senatsberatung
Ausschuss für Kultur und Denkmalpflege zur Kenntnisnahme
10.01.2022 
23. Sitzung des Ausschusses für Kultur und Denkmalpflege zurückgestellt   
14.02.2022 
24. Sitzung des Ausschusses für Kultur und Denkmalpflege zur Kenntnis genommen / ohne Votum   

Beschlussvorschlag
Sachverhalt
Anlage/n

Beschlussvorschlag

 

Beantwortung der Anfrage des AM Monika Schedel (Bündnis 90 / Die Grünen): Anfrage an das Archiv der Hansestadt (VO/2021/10675)

 

 


Begründung

Einleitung:

 

Zur Anfrage von AM Frau Monika Schedel (Bündnis 90 / Die Grünen) wird wie folgt berichtet.

Wie aus der Beantwortung der Anfrage VO/2019/07536 vom 30.04.2019 hervorgeht, besteht ein Bearbeitungsrückstand von Lübecker Archivgut, das 1987 / 1990 zurückgegeben wurde. An dieser Situation hat sich aus den unten dargelegten Ursachen trotz großen Bemühens nur wenig geändert.

Das Archiv der Hansestadt Lübeck (AHL) ist eines der bedeutendsten deutschen Kommunalarchive, das gerade aufgrund der vormodernen Bestände, die 1987/1990 weitgehend aus der kriegsbedingten Entfremdung zurückgekehrt sind, von herausragender Bedeutung für die nordeuropäische Geschichte ist. Insgesamt sind 80 Prozent der ca. 1.100 Regalmeter an zurückerhaltenem Archivgut seit ca. 1990 bis 2021 parallel zur üblichen Aufgabenerfüllung, vor allem durch drittmittelfinanzierte Projekte (Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), Stiftungen), erschlossen worden. Dieses wird intensiv von der internationalen Forschung genutzt. Gleichwohl sind etwa noch 230 Regalmeter an wichtigen Beständen noch immer in unbenutzbarem oder nur eingeschränkt nutzbarem Zustand, weil ihre Erschließung von außerordentlich hohem archivfachlichen Schwierigkeitsgrad ist (s.u.).

Dem Stammpersonal des AHL standen und stehen keine zeitlichen Ressourcen zur Verfügung, um diese Sonderaufgabe der Erschließung umfangreicher Altbestände zu bewerkstelligen. Die beiden Archivarinnen und die beiden Archivare sind fast vollständig durch die zahlreichen aktuellen Aufgaben gebunden, darunter vor allem die Bewertung des laufend von der Verwaltung der HL ausgesonderten Schriftguts sowie die laufende Übernahme, Ordnung und Verzeichnung der als archivwürdig bewerteten Unterlagen (einschließlich des Aufbaus eines digitalen Archivs für die zunehmend digitalen Unterlagen der HL).

Größere und komplexere Bestände innerhalb des Rückführungsguts lassen sich nur mit zusätzlichen, hochqualifizierten Personalressourcen, z.B. über Drittmittelprojekte, erschließen. Die Bestände befinden sich auch durch die verschiedenen Transporte in der Nachkriegszeit teilweise in chaotischem Zustand und stellen deshalb, neben weiteren Faktoren, besonders hohe Ansprüche an die Erschließungsarbeit. Erforderlich sind archivarische Fachkenntnisse (Erschließungsprinzipien und -methoden), paläographische und sprachliche (Latein und Niederdeutsch) Kompetenzen sowie allgemeine und spezielle historische Kenntnisse (z.B. Kirchengeschichte, Rechtsgeschichte).

 

Frage 1:

Konnten 2020, wie beabsichtigt Projektanträge an die Deutsche Forschungsgemeinschaft gestellt werden?

Antwort:

2019 wurde in VO/2019/07536-1 die Perspektive dargelegt, 2020 Anträge für mehrjährige Erschließungsprojekte bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) innerhalb der Förderungslinie Wissenschaftliche Literaturversorgungs- und Informationssysteme“ (LIS) stellen zu können. Dies konnte bisher jedoch nicht umgesetzt werden. Grundsätzlich ist anzumerken, dass DFG-Förderanträge mit einem aufwändigen Verfahren verbunden sind, auf das nach ggf. erfolgreicher Bewilligung ein externes Stellenbesetzungsverfahren durchgeführt werden muss. Fachpersonal mit der zu fordernden hohen Qualifikation (s.o.) und Vorbildung ist derzeit angesichts des Fachkräftemangels schwer zu gewinnen. Auch wenn es gelänge, dieses Personal zu rekrutieren, bedarf dieses einer fortlaufenden Betreuung durch das Stammpersonal des AHL, insbesondere während der mehrmonatigen Einarbeitungszeit. Die dafür fehlende Personalressource ist neben der Gewinnung von Fachpersonal das größte Hindernis für eine Umsetzung von DFG-Projekten zur Verringerung der Bearbeitungsrückstände.

Die Grenzen des Machbaren ergeben sich aus der Aufgabenbelastung des Archivs im Verhältnis zu seiner Personalausstattung (derzeit 12,9 VZÄ, davon 3,5 archivfachlich besetzte VZÄ). Es gab und gibt prioritäre Arbeitsschwerpunkte, die es vorrangig zu erledigen gilt (Digitalisierung von Beständen und Bestandserhaltungsmaßnamen über Drittmittel des Landes und des Bundes) sowie einen signifikanten Aufgabenzuwachs (Meldekartei; Aufbau eines digitalen Langzeitarchivs) sowie einen bedeutsamen Anstieg des laufenden „Archivgeschäfts“ (deutliche Zunahme der Aktenanbietungen durch die Bereiche).

 

Frage 2:

Konnte die Bereitschaft der Lübecker Stiftungen erwirkt werden einen evtl. erforderlichen Eigenanteil des Förderbetrags zu übernehmen?

Antwort:

Da die Antragsstellung für die Förderung eines Erschließungsprojekts zurückgestellt werden musste, war eine konkrete Anfrage bei Lübecker Stiftungen zur Übernahme des notwendigen Eigenanteils nicht notwendig. Es ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass die DFG den Betreuungsaufwand, den ein solches Projekt erfordert, als eingebrachten Eigenanteil anerkennt und von daher Stiftungsmittel für DFG-Projekte vermutlich nicht erforderlich sind bzw. Stiftungen nur selten Personalmittelbedarf fördern.

 

Frage 3:

nnen die dargestellten Personalprobleme z. B. für die Antragstellung, die Betreuung von Fachkräften durch eine Stelle bei dem ZKFL erfolgen?

Antwort:

Das ZKFL ist eine Forschungseinrichtung und fördert die wissenschaftliche Forschung. Die Erschließung eines Rückführungsbestandes ist eine praktische Arbeit auf archivfachlicher und wissenschaftlicher Grundlage, aber nur in sehr eingeschränkten Sinn „Forschung“. Sie schafft erst die Grundlage für Forschung. Zudem verfügt das ZKFL über keine frei einzusetzenden Mittel, sondern wirkt im Wesentlichen durch das Personal der Mitgliedseinrichtungen und ist selbst auf die Einwerbung von Mitteln angewiesen, z.B. für die Promotionsstipendien. Für die hier in Diskussion stehende archivische Erschließungstätigkeit sind zwar wissenschaftliche Kompetenzen die Grundlage, aber diese Archivtätigkeit stellt keine Möglichkeit dar, eine wissenschaftliche Qualifikationsarbeit zu leisten.

Wie ausgeführt ist ohnehin die Ausarbeitung eines DFG-Antrags nicht das Kern-Problem, sondern die nicht zur Verfügung stehenden Personalressourcen für die organisatorische Umsetzung und archivfachliche Betreuung eines DFG-Projekts. Aus den im vorherigen Absatz Satz 1 genannten Gründen ist das ZKFL nicht in der Lage, Projekte von Mitgliedern zu betreuen. Die nachfolgende eigentliche Erschließungstätigkeit, die Einarbeitung, Betreuung und Begleitung kann nur seitens des regulären Personals des AHL erfolgen.

 

Frage 4:

nnen Fördermittel Lübecker Stiftungen eingeworben werden für projektbezogene Personalmittel bei dem Archiv der Hansestadt?

Antwort:

r einfachere Erschließungsarbeiten wurden in der Vergangenheit große Fördersummen eingeworben und zahlreiche Archivbestände erschlossen. Da im Rahmen von DFG-Projekten der eigene Personaleinsatz als Eigenanteil anerkannt wird, ist die Beantragung von projektbezogenen Personalmitteln nicht vorgesehen. Zudem könnte angesichts des Fachkräftemangels auch auf dem Gebiet des Archivwesens darüber vermutlich kein Personal mit der geeigneten hohen Qualifikation (siehe dazu oben) gefunden werden.

 

Frage 5:

Hat das Projekt Digitalisierung von Kunstschätzen der Hansestadt Lübeck aus dem Jahr 2019, in Abstimmung mit dem Land Schleswig-Holstein Unterstützung für die Bearbeitung der Altbestände gebracht?

Antwort:

Das Archiv der Hansestadt hat in den vergangenen Jahren mit großem Erfolg Landesmittel für die Digitalisierung von Beständen eingeworben. Dies hat auch unmittelbar eine Auseinandersetzung der Forschung mit diesen Beständen befördert. So hat die Forschungsstelle für die Geschichte der Hanse und des Ostseeraums am Europäischen Hansemuseum das Citizen-Science-Projekt „Hanse.Quellen.Lesen!“ gestartet, das die bisher weitgehend unpublizierten Quellen zur Hanse von 1537-1669 mittels unserer Digitalisate (Hanseatica) aufarbeiten soll. Die Universität Bergen hat ihrerseits Fördermittel eingeworben, um eine Edition der Protokolle des hansischen Kontorgerichts (aus dem Bestand „Bergenfahrer“) voranzutreiben. Der digitalisierte Bestand „Museum für Kunst und Kulturgeschichte“ ist intensiv für die Provenienzforschung in Lübeck genutzt worden.

Diese Digitalisierung ist aber nur sinnvoll, wenn ihr eine archivische (Grund-) Erschließung vorausgegangen ist. Nur dann sind die entstehenden Digitalisate für Forschung und breite Öffentlichkeit zu recherchieren und gewinnbringend nutzbar. Unbearbeitete Bestände bleiben auch digitalisiert faktisch unbenutzbar. Die Bearbeitung von Altbeständen kann daher und aus den oben dargelegten Gründen nur über ein DFG-Projekt oder mit neuem Fachpersonal im AHL geleistet werden. Das Land fördert kein Erschließungspersonal.

Fazit

Das AHL wird die Bearbeitung von Rückführungsgut auch weiterhin nicht aus dem Blickfeld verlieren. Aufgrund der Aufgabenbelastung bei einer vergleichsweise geringen Personalausstattung ist diese derzeit nicht zu leisten.

Dank eines außerordentlich engagierten und leistungsfähigen Teams hat das AHL auf vielen Arbeitsgebieten große Fortschritte erzielt (Digitalisierung), neue Aufgaben übernommen und bewältigt und geht neue Aufgaben wie den Aufbau eines elektronischen Langzeitarchivs gezielt an.

 

 


Anlagen

keine

Stammbaum:
VO/2021/10675   AM Monika Schedel (BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN): Anfrage an das Archiv der Hansestadt   Geschäftsstelle der Fraktion BÜ90 DIE GRÜNEN   Anfrage
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