Vorlage - VO/2019/07985-01  

Betreff: Anfrage AM Treumann (CDU): Schulabbrecherquote
Status:öffentlich  
Dezernent/in:Senatorin Kathrin WeiherBezüglich:
VO/2019/07985
Federführend:4.401 - Schule und Sport Bearbeiter/-in: Alvarez Fischer, Christiane
Beratungsfolge:
Senat zur Senatsberatung
Schul- und Sportausschuss zur Kenntnisnahme
19.09.2019 
Sitzung des Schul- und Sportausschusses (als gemeinsame Sitzung mit dem Jugendhilfeausschuss) zur Kenntnis genommen / ohne Votum   

Beschlussvorschlag
Sachverhalt
Anlage/n

Beschlussvorschlag

Antwort auf die Anfrage von AM Frau Treumann (CDU), s. VO/2019/07985

 

 


Begründung

Anfrage

Die Caritas Studie Bildungschancen 2019 weist für Schleswig-Holstein eine gegenüber dem Bundesschnitt deutlich abweichende Zahl von Schulabbrechern aus (SH 8,3%, Bund 6,9%). Signifikant abweichend ist der Anteil der SuS, die ohne einfachen Bildungsabschluss die Schule verlassen, zwischen den Städten Kiel und Lübeck. In Kiel betrifft dies 7,44% der Schüler eines Jahrgangs gegenüber 12,61% in der Hansestadt.

In Anbetracht der vergleichbaren Sozialstruktur in Kiel und Lübeck sowie der gleichermaßen großen Herausforderungen durch die Zuwanderung seit 2015 stellen sich folgende Fragen:

• Welche Erklärungsansätze hat die Verwaltung für die außerordentlich hohe Lübecker Schulabbrecherquote?

• Die Anteil der ausländischen Schüler an den allgemeinbildenden Schulen beträgt in Kiel 10,75%, in der Hansestadt nur 8,53%. Wurde vor dem Hintergrund dieser empirischen Befunde der Austausch mit der Kieler Schulbehörde gesucht um mögliche Erklärungsansätze für das deutlich bessere Abschneiden herauszuarbeiten?

• Welche konkreten Maßnahmen werden seitens des Fachbereichs umgesetzt um den Schulerfolg von Kindern aus bildungsfernen Familien zu steigern?

 

Antwort

 

  1. Lübecker „Schulabbrecher“

 

Die Verwaltung analysiert die Zahlen der Abgänger:innen jährlich im Rahmen der Schulstatistik und darüber hinaus. Außerdem findet Austausch mit den Kolleg:innen in Kiel zu verschiedenen Fragestellungen statt.

 

  1. Schulabbrecher“

Die jährlichen Auswertungen zeigen, dass die Zahl der Abgänger:innen ohne Abschluss differenziert betrachtet werden muss. Der Begriff „Schulabbrecher:innen“ ist irreführend, die genannten 12,6% (für 2017) umfassen verschiedene Teilgruppen, die nicht alle die Schule abbrechen.

 

Die Caritas Studie weist als Schulabgänger:innen ohne Abschluss Schüler:innen ohne Hauptschulabschluss/Ersten allgemeinbildenden Schulabschluss ESA aus. Hierin enthalten sind folglich auch alle Schüler:innen, die einen Förderschulabschluss (FSA) erwerben.

 

An den Lübecker Förderzentren verließen im Sommer 2018 drei Viertel der Schüler:innen die Schule mit FSA und damit in der Regel entsprechend ihrer Lernziele. 19% verließen die Schule aus gesundheitlichen Gründen ohne Abschluss.

 

71% der Förderschüler:innen werden integrativ beschult. Schleswig-Holstein gehört zu den Bundesländern, die eine hohe Zahl Kinder und Jugendliche mit Förderbedarf integrieren. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern werden hier bereits mehr als zwei Drittel der Kinder mit Förderbedarf integriert. Lübeck hat im Vergleich zu Kiel laut der Caritas Studie außerdem einen höheren Anteil an Förderschüler:innen (HL: 2,4%; Kiel 2%). 58% dieser Schüleri:nnen haben einen Förderbedarf Lernen. Diese Schüler:innen haben im Rahmen der Integration die Möglichkeit, einen ESA zu erwerben, verlassen die Schule aber oftmals mit Förderschulabschlüssen. 7% haben darüber hinaus einen Förderbedarf Geistige Entwicklung.

Diese Schüler:innen verlassen die Schule folglich nicht als „Schulabbrecher:innen“.

 

 

  1. Wer sind die Abgänger:innen ohne ESA oder ohne FSA?

Abgänger:innen ohne Abschluss kommen vor allem von Gemeinschaftsschulen und Förderzentren. Schüler:innen mit Förderschwerpunkt Lernen, sozial-emotionale Entwicklung sowie geistige Entwicklung besuchen vor allem diese Schulformen. Außerdem nehmen Gemeinschaftsschulen häufiger Schüler:innen mit Schwierigkeiten oder Unterstützungsbedarf auf (z.B. Rückläufer, DaZ-SchülerInnen).

 

An den Gemeinschaftsschulen mit und ohne Oberstufe gingen im Sommer 2018 3,3% mit Förderschulabschluss (FSA) und 7,6% ohne Abschluss von der Schule. Dies sind weniger als im Vorjahr (4,5% FSA + 9,0% ohne Abschluss).

 

Erhöhte Zahlen an Abgänger:innen ohne Abschluss betrafen in den letzten Jahren fast alle Gemeinschaftsschulen. Das Thema betrifft folglich vor allem übergreifende Fragen und nicht einzelne Schulen.

 

Die Schulräte sind in gezieltem Austausch mit den einzelnen Schulen zu diesem Thema und den individuellen Ursachen (vgl. Bericht von Herrn Daugs im Schul- und Sportausschuss am 15.2.2018).

 

Folgende Gründe für den Abgang wurden ermittelt:

 

  • Zahlreiche Jugendliche wechseln gezielt an die berufsbildenden Schulen.
  • Manche Schüler:innen erwerben aufgrund ihres Förderbedarfs einen Förderabschluss.
  • Ein Teil der Jugendlichen sind Geflüchtete, die noch Unterstützung bei der Integration / beim Spracherwerb benötigen.
  • Manche Jugendliche gehen in Elternzeit, ziehen ins Ausland (Herkunftsland der Eltern) oder absolvieren ein FSJ o.ä. Sie erwerben nach einer Zwischenphase teilweise später einen Abschluss.
  • Einige Jugendliche haben bereits seit Jahren Schwierigkeiten. Dies können Leistungs- und Motivationsprobleme, psychische Erkrankungen (Angst, Depression, Sucht), soziale Probleme/Mobbing oder familiäre Probleme sein.

 

 

  1. Gibt es in Kiel andere Bedingungen?

 

Der in der Studie genannte Anteil ausländischer Schüler:innen stellt nur die Schüler:innen mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit dar. Nicht enthalten sind die zahlreichen Kinder und Jugendlichen mit deutscher Staatsangehörigkeit und Migrationshintergrund, die oftmals ebenfalls Unterstützungsbedarf haben. Hierzu liegen allerdings keine Zahlen vor.

 

Familien ohne deutsche Staatsangehörigkeit bzw. mit Migrationshintergrund sind eine heterogene Gruppe. Ausländer:innen in Lübeck ohne deutsche Staatsangehörigkeit kommen vor allem aus der Türkei (31.12.2018: 4.173), Syrien (2.562) sowie Polen (2.477). Junge Geflüchtete benötigen eine andere Unterstützung als Jugendliche, die bereits in Deutschland geboren wurden. Daher sagt die Gesamtquote der ausländischen Jugendlichen erstmal nichts über die Wahrscheinlichkeit eines Schulabschlusses aus.

 

Bei den oben genannten schwer zu erreichenden Zielgruppen wie Schulabsentist:innen kommt oft eine Vielzahl verschiedener Ursachen zusammen.

 

Der FB stellt zahlreiche Angebote für benachteiligte Kinder und Jugendliche und ihre Familien zur Verfügung (s.u.).

 

 

  1. Hat Kiel bessere Abschlussquoten?

 

Insgesamt zeigt ein Vergleich mit Kiel, dass eine reine Bewertung der Anteile der Schüler:innen ohne Abschluss irreführend ist:

  1. Der Unterschied zwischen den Abschlüssen in Lübeck und Kiel besteht weniger in den Abgänger:innen ohne oder mit niedrigen Abschlüssen, sondern vor allem in den Zahlen der Hochschulreifen. In Lübeck erwerben 44% die allgemeine oder Fachhochschulreife, in Kiel 50%. In Lübeck besuchen 13% die gymnasiale Oberstufe, in Kiel 14%. Allerdings gibt es in Kiel einen höheren Anteil an Gymnasien und Gymnasialschüler:innen: Aktuell besuchen 27% der SuS eines der 7 Lübecker Gymnasien, in Kiel 33% der SuS eines der 11 Gymnasien.
  2. Der Vergleich mit Kiel zeigt auch, dass im letzten Sommer jeweils rund 10 % der SuS die Schule ohne oder mit Förderschulabschluss verließen. In den letzten Jahren ist diese Zahl mal in der einen, mal in der anderen Stadt höher.
  3. In Lübeck werden mehr Mittlere Schulabschlüsse MSA erworben als in Kiel (28% vs. 23%).
  4. An den Förderzentren in Lübeck erwerben mehr Schüler:innen einen ESA oder Förderschulabschluss Lernen FSA L (Sonderpädagogischer Abschluss im Förderschwerpunkt FSP Lernen) als in Kiel.

  5. In Kiel erwerben mehr Schüler:innen den Abschluss G (Sonderpädagogischer Abschluss im Förderschwerpunkt FSP Geistige Entwicklung) und weniger keinen Abschluss.

 

 

 

 

 

Die Unterschiede in den Gesamtwerten könnten u.a. dadurch zustande kommen, ob der Abschluss am Förderzentrum G (Geistige Entwicklung) als FSA gezählt wird oder nicht. Auch kann nicht komplett ausgeschlossen werden, dass Schulen trotz Hinweisen krank entlassene Schüler:innen nicht als Abgänger:innen angeben.

Für den Abschlussjahrgang 2015/16 weisen Kiel und Lübeck beispielsweise recht ähnliche Quoten auf:

 

 

Ohne

jeglichen

Abschluss

Sopäd.

Abschluss FSP Geistige Entwicklung

Sopäd.

Abschluss FSP Lernen

ohne Abschluss + Sopäd.

Abschluss FSP Geistige Entwicklung

ohne Abschluss + Sopäd.

Abschluss FSP Geistige Entwicklung oder Lernen

Kiel

3,0%

1,0%

2,3%

4,0%

6,3%

Lübeck

3,7%

0,9%

2,5%

4,6%

7,1%

FSP = Förderschwerpunkt

 

Wertet man die Abschlüsse im Förderschwerpunkt G (Geistige Entwicklung) als FSA und nicht als „ohne Abschluss“, so kommt man (hier für 2018) zu folgendem Ergebnis:

 


 

Fazit: Die Gruppe der Jugendlichen ohne Abschluss ist deutlich geringer, bedarf aber selbstverständlich umfangreicher Hilfen.

 

 

  1. Welche Maßnahmen gibt es?

 

Für die verschiedenen Zielgruppen werden unterschiedliche Ansätze angeboten:

 

  • Die Jugendlichen, die berufsschulpflichtig sind, werden von den Berufsschulen betreut.
  • Geflüchtete wechseln oftmals in BiK-DaZ-Angebote der berufsbildenden Schulen.
  • Jugendliche, die z.B. wegen Elternzeit oder akuter Schwierigkeiten pausieren, erwerben nach einer Zwischenphase teilweise später einen Abschluss. Es besteht die Möglichkeit, Schulabschlüsse nachträglich zu erwerben. Die VHS bietet hierzu Vorbereitungskurse an.
  • Bei einigen Jugendlichen liegt der Abgang ohne Abschluss auch in hohen Fehlzeiten und Schulunlust begründet. Ein umfangreiches Absentismuskonzept unterstützt hier seit Jahren erfolgreich durch die Dokumentation der Fehlzeiten und einen genauen Plan der Maßnahmen sowie unterschiedliche Hilfsangebote. Die Absentismuszahlen sind seit Einführung des Konzepts insgesamt gesunken.

 

Für Jugendliche, die bereits seit Jahren Schwierigkeiten aufweisen, sind zahlreiche Angebote vorhanden. Hier arbeiten verschiedene Stellen (Schule, Beratungsstellen, Kliniken, Jugendamt usw.) zusammen, können jedoch aufgrund der Art der Probleme und ihres langen Bestehens oft nur begrenzt helfen. Daher fördert die Stadt zahlreiche früh ansetzende (präventive) Maßnahmen, um Teilhabe und Schulerfolg zu unterstützen. Mit folgenden Mitteln unterstützen der FB und das Schulamt einen erfolgreichen Schulbesuch:

  • Niedrigschwellige und präventive Angebote für Familien (Familien- und Bildungsportal, Willkommensbesuche, Familienzentren, Mama lernt Deutsch, Frühe Hilfen, Programm Kita-Einstieg, Nachbarschaftsbüros)
  • Angebote am Übergang in die Schule (Schuleingangsprofil, Förderung der Kooperation am Übergang Kita-Schule, Tiger-Klasse, präventive Betreuung durch Integrationshilfe/Schulbegleitung)
  • Unterstützung in der Schule (Integrationshilfe, Lerngruppe Erziehungshilfe, Soziale Gruppe, Familie in Schule, Verzahnung von Unterricht und Nachmittag/Ganztag an Schule; präventive Maßnahmen der Schulsozialarbeit)
  • Maßnahmen für abschlussgefährdete Jugendliche (klarer Ablaufleitfaden bei Absentismus, Flexklassen, TALENT)
  • Beratung und Unterstützung (Schulsozialarbeit, KEH, Schulpsychologische Beratung, Absentismuskonzept; Beratung zur Wahl der weiterf. Schule)
  • Förderung von Teilhabe (Lübecker Bildungsfonds, Ermäßigungen im Ganztag und für Geschwister, Lernförderung über die VHS, TalentCAMPus; Informationsmaterialien in Fremdsprachen sowie im Familien- und Bildungsportal; zielgruppenspezifische Informationen im Familien- und Bildungsportal)
  • Maßnahmen am Übergang Schule - Beruf (Jugendberufsagentur, Berufseinstiegsbegleitung, Berufsorientierungsprogramm, Handlungskonzept PLuS, Projekt Übergang Schule-Beruf an Förderzentren)
  • Kooperationen und Austausch, fachliche Weiterbildung (regelmäßige Treffen verschiedener Akteure aus Schule und den Verwaltungsbereichen sowie mit den Trägern; regelmäßige Fachveranstaltungen)

 

Ergänzt werden die Maßnahmen durch zahlreiche innerschulische Ansätze (Lehrerfortbildungen, Streitschlichtung, Klassenrat usw.), die präventiv sowie gezielt Schulversagen vorbeugen (Anti-Mobbing, Suchtprävention, Medienkompetenzangebote, soziales Lernen, Lernmethodenvermittlung usw.).

 

 

 

 

 


Anlagen

 

 

 

Stammbaum:
VO/2019/07985   Anfrage AM Treumann (CDU): Schulabbrecherquote   Geschäftsstelle der CDU-Fraktion   Anfrage
VO/2019/07985-01   Anfrage AM Treumann (CDU): Schulabbrecherquote   4.401 - Schule und Sport   Antwort auf Anfrage öffentlich