Vorlage - VO/2017/05277  

Betreff: grün+alternativ+links [GAL]: Lübecker Gedenktag für die von den Nationalsozialisten verfolgten und ermordeten Homosexuellen
Status:öffentlich  
Federführend:Geschäftsstelle der Fraktion grün+alternativ+links (GAL) Bearbeiter/-in: Schulz, Jens-Uwe
Beratungsfolge:
Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck zur Entscheidung
28.09.2017 
32. Sitzung der Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck zurückgestellt   

Sachverhalt
Anlage/n

Begründung

siehe Anlage


Anlagen

Quelle: Zeitschrift der HAKI e. V. Kiel „HAJO 89“ Dezember 12 - Februar 13, Seiten 6-7

Die Verfolgung von Homosexuellen in der NS-Zeit

Lange hat es gedauert, bezeichnend lang, als der Bundestag 2002 sämtliche Urteile aufgrund des berüchtigten Paragraphen 175 aus der NS-Zeit aufhob.

Auch in Schleswig-Holstein waren Homosexuelle unter Bezugnahme auf § 175 zu Haftstrafen verurteilt und vielfach ins Konzentrationslager Neuengamme gebracht worden, was oft den Tod bedeutete. Dabei war die allein juristische Verfolgung von Homosexuellen keine Erfindung der Nationalsozialisten.

Mit der Gründung des Kaiserreiches 1871 hatte dieser unsägliche Paragraph 175 Einzug in das deutsche Strafgesetzbuch gefunden. Die „widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts oder von Menschen mit Tieren begangen wird“ sollte mit einer Gefängnisstrafe geahndet werden. Nicht selten beließen es Gerichte bei Bewährungs- und Geldstrafen. Mit Ende des Kaiserreiches entspannte sich in den Großstädten wie Hamburg die Lage für die Homosexuellen. Hier konnte sich eine offene, pulsierende Szene mit eigenen Lokalen, Vereinen und Zeitschriften etablieren. Für die Homosexuellen Schleswig-Holsteins war daher Hamburg mit seinen einschlägig bekannten Etablissements Anziehungspunkt. Lediglich in Kiel und Lübeck gab es einzelne Kneipen für Homosexuelle und Lesben. Darüber hinaus dienten öffentliche Toiletten für Männer (sogenannte Klappen) als Treffpunkte. Aus Angst vor immer präsenteren Schlägertrupps der NSDAP mieden viele allerdings derartige Orte und zogen sich gegen Ende der Weimarer Republik ganz in die Privatheit zurück.

Im Zuge der Machtübertragung an Hitler 1933 setzte erst allmählich die systematische Verfolgung aller Homosexuellen ein. Zu Beginn stand im Rahmen der allgemeinen Gleichschaltung die Zerschlagung der Homosexuellen-Organisationen, das Verbot ihrer Presseerzeugnisse und Razzien bei polizeibekannten Treffpunkten im Vordergrund.

Als Hitler seinen innerparteilichen Konkurrenten Ernst Röhm, der homosexuell veranlagt war, 1934 hinrichten ließ, ahnten viele, dass eine Verschärfung der Maßnahmen gegen Homosexuelle unmittelbar bevorstand und flohen teilweise aus Deutschland.

Ideologisch galt Homosexualität für die Nationalsozialisten als „Seuche“, welches es „auszurotten“ galt. Neben einem fehlenden Beitrag zur Erhaltung des deutschen Volkskörpers fürchteten sie, dass Homosexuelle sich gegen den Staat vernetzen könnten. Da man bei Frauen eine derartige Gefahr nicht annahm, blieben Lesben jedenfalls von dieser spezifischen Art der Verfolgung ausgespart – jedoch wurden sie als sogenannte „Asoziale“ verfolgt.

Durch eine Novelle des Strafrechts verschärfte die NS-Regierung 1935 den Paragrafen 175. Nun konnte jegliche Art von Köperkontakt zwischen Männern zu einer Verurteilung führen und mit dem Zusatz § 175a, unter anderem für männliche Prostitution, waren Zuchthausstrafen bis zu zehn Jahren möglich.

Beschämenderweise muss man davon ausgehen, dass diese Verfolgung von Homosexuellen einen breiten Rückhalt in der Bevölkerung fand.

So führten Denunziationen aus der Bevölkerung Lübecks am 23. Januar 1937 zur Verhaftung von mehr als 200 Männern. In der Gestapo-Zentrale am Lübecker Dom folterte man etliche Verhaftete, um Geständnisse zu erzwingen. Einer von den in Lübeck verhafteten Männern stellte resignierend fest, dass „die Leute eben nicht auf unserer Seite waren, nicht Mitleid mit uns hatten“. Insgesamt wurden in der NS-Zeit 54.000 Männer nach § 175 verurteilt. Nach Verbüßung der Haftstrafe oder auch bereits früher entschied sich ihr endgültiges Schicksal: manchmal Freilassung - zum Teil gegen Einwilligung zur Kastration, nicht selten Einweisung ins Konzentrationslager. Hier wurden sie mit einem rosa Winkel gesondert gekennzeichnet. Die genaue Zahl an Homosexuellen in Konzentrationslagern ist nicht bekannt, sie dürfte allerdings bei mehr als 5.000 Opfern liegen, von denen etwa die Hälfte die menschenverachtende Behandlung in den Konzentrationslagern nicht überlebte.

Nach Ende des Krieges wurden Homosexuelle allerdings nicht als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt. Begünstigt durch die personelle Kontinuität in der Justiz und bei der Polizei wurden Homosexuelle weiterhin aufgrund des Paragraphen 175 strafrechtlich belangt und auf sogenannten rosa Listen polizeiintern geführt. Noch am 10. Mai 1957 schätzte das Bundesverfassungsgericht Paragraphen 175 als nicht NS-typisch und vereinbar mit dem Grundgesetz ein. Erst mit dem allgemeinen gesellschaftlichen Wandel wurden 1969 einvernehmliche sexuelle Handlungen zwischen erwachsenen Männern straffrei gestellt. 1998 wurde der Paragraph 175 dann endgültig aus dem Strafgesetzbuch gestrichen – die angemessene Würdigung von Homosexuellen als Opfer der NS-Zeit beginnt erst in diesen Jahren, für die meisten zu spät.