Europas Beschäftigungsstrategie berührt die Kommunen

Veröffentlicht am 09.09.2003

Europas Beschäftigungsstrategie berührt die Kommunen

Europas Beschäftigungsstrategie berührt die Kommunen

030487R 2003-06-27

Vorwort von Lübecks Bürgermeister Bernd Saxe zur Konferenz „Die Europäische Beschäftigungsstrategie - Auswirkungen auf Schleswig-Holstein und die Kommunen“ am 27. Juni im Lübecker Rathaus.

Bernd Saxe: „Der industrielle Strukturwandel hat nicht nur in Lübeck tiefe Spuren hinterlassen und Tausende von Arbeitsplätzen gekostet. Anhand des Beispiels der Hansestadt Lübeck will ich nachzuzeichnen versuchen, in welchem wirtschaftlichen Umfeld Kommunen zu Beginn des 21. Jahrhunderts agieren und welchen Einfluss dabei die Europäische Beschäftigungsstrategie ausübt.


Mit der Flenderwerft verschwindet zur Zeit nach der Schlichting und O&K-Werft der letzte große Schiffbaubetrieb in Lübeck. Damit geht eine große industrielle Tradition am Standort Lübeck zu Ende.


Und dort, wo einst das Kraftwerk und die Metallhütte standen, erstrecken sich heute brache Flächen. Nur sehr zaghaft entstehen an diesen Standorten neue Unternehmen mit neuer Beschäftigung.


In den noch verbliebenden Industriebetrieben haben schmerzhafte Sanierungsmaßnahmen zwar das Überleben der Unternehmen gesichert und manche Unternehmen stehen heute im Wettbewerb besser da als jemals erhofft, aber die Sanierung ging häufig zu Lasten von Arbeitsplätzen.


Die Strukturkrise hat die Hansestadt Lübeck über einen langen Zeitraum an die Spitze der Arbeitslosenstatistik in Schleswig-Holstein gebracht. Selbst gegenüber vergleichbaren westdeutschen Kommunen lag nur noch die Arbeitslosenquote von Gelsenkirchen über der von Lübeck. Im Jahresdurchschnitt 2002 betrug die Arbeitslosenquote in Lübeck 13,8 %.


Der Wegfall von Industriearbeitsplätzen konnte durch andere Branchen nicht aufgefangen werden, zumal häufig genug für die wachsende Anzahl von Arbeitsplätzen im Dienstleistungssektor die nötige Qualifikation bei den Arbeitssuchenden fehlte.


Verschärfend kam hinzu, dass im Zuge der Globalisierung der Wirtschaft und des europäischen Integrationsprozesses die Zahl niedrigqualifizierter Arbeitsplätze sukzessive abnimmt.


Hinzu kommt, dass bei Standortentscheidungen die Kommunen nicht mehr nur regional miteinander konkurrieren, sondern vielfach global.


Eine Folgeerscheinung der hohen Arbeitslosigkeit ist die steigende Anzahl von schwer vermittelbaren Langzeitarbeitslosen und Sozialhilfeempfängern. Im letzten Jahr hatten im Schnitt rund 15.000 Personen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt. Durch die anhaltende Strukturkrise am Lübecker Arbeitsmarkt ist zu beobachten, dass ganze Familien teilweise bereits über mehrere Generationen hinweg Leistungsempfänger von Sozialhilfe sind. Verbunden mit dem fatalen Effekt, dass dieser Personenkreis in der Gesellschaft zunehmend sozial isoliert wird.


Über Jahre hinweg hat Politik und Verwaltung nicht nur in Lübeck dieser Entwicklung tatenlos zugesehen und es versäumt, durch eine aktive Struktur- und Wirtschaftspolitik dieser Entwicklung zu begegnen.


In den letzten drei Jahren wurden in Lübeck in einem breiten Diskurs die Entwicklungspfade neu definiert. Es wurden fünf Kompetenzfelder identifiziert, von denen künftig Wachstumsimpulse für mehr Beschäftigung zu erwarten sind. Hierzu zählen neben dem Hafen und Tourismus der Bereich der digitalen Medien sowie die Life Sciences, hier insbesondere die Medizintechnik- und -informatik.


Im Grunde geht es darum, dass der jeweilige Standort Alleinstellungsmerkmale herausarbeitet, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können. Hierbei spielen vor allem die wissensbasierenden Technologien zur Schaffung und Sicherung zukunftsfähiger Arbeitsplätze eine immer wichtigere Rolle. Ein anderer wichtiger Aspekt ist der Aufbau von long-life-learning-Strukturen, um dem Phänomen der zunehmenden Halbwertzeit von Wissen Rechnung zu tragen.


Das Erfolgsgeheimnis für Wachstumsimpulse im Bereich der digitalen Medien und der Life Sciences liegt in der sogenannten Clusterbildung. Hiermit ist gemeint, dass Hochschulen, Forschungseinrichtungen, Unternehmen und der Arbeitsmarkt miteinander vernetzt sind. Das Ziel ist ein fruchtbarer Knowhow- und Technologietransfer zur Generierung von marktfähigen Produkten. Voraussetzung hierfür ist ein funktionierender Arbeitsmarkt, der den Unternehmen eine genügende Anzahl von qualifizierten Arbeitskräften zur Verfügung stellt.


Große Hoffnungen begleiten deshalb die beiden Lübecker Zukunftsprojekte Media Docks und Hochschulstadtteil.


Mit den Media Docks ist ein beispielhaftes Infrastrukturprojekt im Bereich der digitalen Medien realisiert worden, das in einzigartiger Weise für die Verbindung von Tradition und Moderne steht. Untergebracht in einem denkmalgeschützten Lagerhaus im Stadthafen verbirgt sich im Innern Lübecks Tor in das digitale Zeitalter des 21. Jahrhunderts.


Durch die Digitalisierung weiter Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft bestehen hier trotz der vorübergehenden Krise im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien enorme Wachstumschancen, die es auch für Lübeck zu nutzen gilt.


Die Media Docks beinhalten fünf Bausteine, deren Kern die postgraduale International School of New Media (ISNM) ist, in der die Multimediaanwendungen und die Arbeitskräfte für die Welt von heute und morgen entwickelt, aus- und weitergebildet werden. Die sich daran anschließenden Einrichtungen Research Center, Existenzgründerzentrum, Unternehmenspark und Medienzentrum komplettieren die schon jetzt international vielbeachtete Lübecker Zukunftsschmiede.


Im Süden Lübecks wächst derzeit auf insgesamt 230 Hektar in unmittelbarer Nähe zu Universität und Fachhochschule ein komplett neuer Hochschulstadtteil heran, der als 'Vision Village' Arbeiten, Forschen, Wohnen und Leben miteinander verbinden soll. Kern des 'Vision Village' ist der InnovationCampus Lübeck, der auf acht Hektar genügend Raum für einen verstärkten Technologietransfer zwischen Wirtschaft und Hochschule speziell im Bereich Life-Sciences, aber auch im Bereich der regenerativen Energien bietet. Mit dem Multifunktionscenter steht jetzt ein erster Baustein zur Verfügung, um auf einer Fläche von 5.000 qm gezielt start ups bei der Realisierung ihrer innovativen Ideen zu unterstützen.


Mit diesem Zukunftsprojekt wird ein Kompetenzfeld nachhaltig gestärkt, dass bislang schon zu den Stärken des Standorts Lübeck zählte. Die Hansestadt hat sich im Laufe der Jahre in Norddeutschland zum führenden Standort für Medizintechnik und -informatik entwickelt. Mit knapp 50, teilweise international renommierten Unternehmen wie Dräger, ESKA Implants und EUROIMMUN, 3.500 Beschäftigten und einem Umsatz von rund 500 Millionen Euro stellt diese Branche einen der Schwerpunkte der Lübecker Wirtschaft dar. Durch enge Kooperationen mit der Universität Lübeck, dem Universitätsklinikum, der Fachhochschule Lübeck und den angeschlossenen Forschungseinrichtungen erhalten Unternehmen wichtige Impulse zur Entwicklung neuer und bestehender Produkte.


Mittlerweile ist die Gesundheitswirtschaft mit 15.000 Beschäftigten der größte Arbeitgeber in der Hansestadt. Selbst die Informations- und Medienwirtschaft beschäftigt zur Zeit schon mehr Menschen als der gesamte Anlagen- und Maschinenbau.


Die beiden hier kurz skizzierten Zukunftsprojekte hätten aber nicht realisiert werden können, wenn nicht der Bund, das Land und vor allem die EU über das Regionalprogramm 2000 erhebliche Strukturförderungen zugesagt hätten. Gerade die EU legt im Rahmen ihrer Beschäftigungsstrategie großen Wert auf die Förderung innovativer, wachstumsinduzierender Projekte zur Verbesserung der wirtschaftsnahen Infrastruktur.


Aber eine Kommune ist auch Träger von Verantwortung gegenüber jenen Menschen, die von der Arbeitswelt zunehmend ausgeschlossen sind.


Durch eine Politik des Förderns und Forderns muss diesen Menschen wieder die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben gegeben werden.


Das geeignete Instrument hierzu wurde mit der Lübecker g/a/b geschaffen, der Gemeinnützigen Gesellschaft für Ausbildung und Beschäftigung, die vor über zehn Jahren gegründet mittlerweile bundesweiten Vorbildcharakter genießt und sich bislang andernorts 80 sogenannte kommunale Beschäftigungsgesellschaften gegründet haben.


Die Messlatte für den Erfolg der g/a/b ist die Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt. Bislang haben 30 % den Sprung in die nichtsubventionierte Arbeitswelt geschafft. Gleichzeitig konnte die Kommune in den vergangenen Jahren rund 10 Millionen EURO an Sozialhilfe einsparen.


Aber auch hier wurde der Erfolg der g/a/b nur möglich durch das Landesprogramm ASH 2000 (Arbeit für Schleswig-Holstein 2000), in das wiederum Mittel aus dem Europäischen Sozialfond einfließen.


Zusammenfassend kann gesagt werden. Die Europäische Beschäftigungsstrategie verfolgt zwei Ansätze. Zum einen sollen über Strukturprogramme dauerhafte Arbeitsplätze in zukunftsfähigen Technologiefeldern geschaffen werden. Demgegenüber soll mit Hilfe von aktivierenden Sozialprogrammen die Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsprozess gefördert werden.


Der vorliegende Reader bildet diese spannende Bandbereite ab und gewährt interessante Einblicke in die europäischen Beschäftigungsstrategie, sowohl von Seiten der Theorie als auch von Seiten der gelebten Praxis.“ +++

Weitere Infos zur Konferenz: http://www.weiterbildung-luebeck.de/konferenzdoku/