Veröffentlicht am 02.02.1998

Neonazi-Demonstration: Hansestadt weist Polizeikritik zurück

Neonazi-Demonstration: Hansestadt weist Polizeikritik zurück

Zurückgewiesen hat Lübecks Bürgermeister Michael Bouteiller die Kritik der polizeilichen Einsatzleitung, die Ordnungsbehörde der Hansestadt habe mit einem verspäteten Verbot der Neonazi-Demonstration in Moisling die Polizeiarbeit am Sonnabend behindert. "Dies trifft in keinem Fall zu. Die Polizei mußte mit oder ohne Verbot mit beiden Demonstrationen rechnen und sich entsprechend darauf einstellen", sagte Bouteiller.

Der öffentlich verbreitete Vorwurf des Einsatzleiters Heiko Hüttmann sei auch deshalb nicht sachgerecht, weil das Verbot der Neonazi-Demonstration erst am Freitag nachmittag möglich gewesen sei. "Erst dann hatten wir genügend Hinweise, daß es sich nicht um eine lokale Wahlveranstaltung, sondern um einen organisierten Aufmarsch von Neonazis von auswärts handeln würde", so der Bürgermeister.

Dieses Verbot war indes am Sonnabend vom Verwaltungsgericht in Schleswig aufgehoben worden. Daß jedoch die Hansestadt mit ihrer Einschätzung richtig gelegen hatte, zeigt der Verlauf der Demonstration: Von rund 150 rechten Marschierern stammten nur rund ein Dutzend aus Lübeck und Umgebung. Der Rest war mit Bussen an die Trave gebracht worden. Und: Der szenebekannte Neonazi Thomas Wulff aus Hamburg übernahm von Anfang an zusammen mit seinem Gesinnungsgenossen Christian Worch (Hamburg) das Kommando - nicht etwa der anmeldende Lübecker Rechtsaktivist Dieter Kern.

Die befürchteten Krawalle zwischen rechten und linken Demonstranten waren ausgeblieben. Um 17.15 Uhr stiegen die Rechtsradikalen wieder in ihre Busse, nachdem Bouteiller einen Marsch durch die Innenstadt untersagt hatte.

Zum Hintergrund: Anmelder der Demonstration in Lübeck-Moisling war Dieter Kern, Spitzenkandidat des "Bündnis Rechts für Lübeck", das als Wahlliste bei den Kommunalwahlen am 22. März antritt. Kern, Umwelttechniker auf einer Halbtagsstelle im Gewässerschutz , ist derzeit wieder Mitarbeiter im Bereich Umwelt der Hansestadt, nachdem seine fristlose Kündigung vom Arbeitsgericht in erster Instanz aufgehoben worden war. Gegen Kern hat die Hansestadt neben der fristlosen auch eine ordentliche Kündigung ausgesprochen, die Ende März wirksam wird. Kern hat gegen diese Kündigung Klage erhoben. Die Verhandlung vor dem Arbeitsgericht findet voraussichtlich am April statt.

Laut Einschätzung des "Runden Tisches" der Hansestadt wird das rechtsextreme Bündnis jedoch nicht von Kern, sondern von auswärts geleitet. Dies stützen Erkenntnisse des Innenministeriums in Kiel, das von einer "steuernden Beeinflussung der schleswig-holsteinischen Aktivisten des Bündnisses" durch den vorgenannten Thomas Wulff ausgeht. Unter dem Einfluß von Wulff sei der Begriff "Freie Nationalisten" geprägt worden, unter dem sich die Anhänger der verbotenen "Nationalen Liste (NL)" sammelten. Als Beleg für die verfassungsfeindliche Haltung der Formation gilt eine Veröffentlichung in der NL-nahen Publikation "Hamburger Sturm" (Ausgabe 14/ 4/97). Dort heißt es: "Wir arbeiten als Freie Nationalisten in sog. autonomen Kameradschaften und marschieren unter der schwarzen Fahne, dem Symbol des volkstreuen Befreiungskampfes! Parteien sind für uns (...) lediglich ein organisatorisches Hilfsmittel zur Durchsetzung unserer politischen Ziele."

Der "Runde Tisch" der Hansestadt hat bereits im Oktober darauf hingewiesen, daß es sich bei Wulff (Spitzname "Steiner") um einen der bundesweit gefährlichsten Neonazi-Kader handele. Er sei enger Vertrauter des damals noch in Haft sitzenden Neonazi-Führers Christian Worch, der wiederum einer der Nachfolger und Vertrauten Michael Kühnens ist. Wulff war Vorsitzender der 1993 verbotenen Nationalen Liste.

In Lübeck in Erscheinung getreten ist Wulff im Zusammenhang mit dem Brandanschlag auf die St.-Vicelin-Kirche im Mai 1997. Damals tauchten Flugblätter auf, die versuchten, die Verantwortung für die Brandstiftung der politischen Linken zuzuschieben. Unterschrieben war das Flugblatt mit "Aktionskomitee für HARIGe Angelegenheiten" - in Anspielung auf Pastor Günter Harig, der wegen einer Kirchenasylgewährung bedroht worden war. So war der Namen des Pastors der St-Marien-Gemeinde auf die Wände des niedergebrannten, katholischen Gotteshauses gesprüht worden mit dem Zusatz: "Wir kriegen dich". Als presserechtlich verantwortlich für das makabre Flugblatt zeichnete damals Thomas Wulff. +++