Veröffentlicht am 19.06.2017

Sonderausstellung zu Alice Teichert im St. Annen Museum

„Zwischen den Zeilen - Die Kunst von Alice Teichert im Dialog mit dem Mittelalter“

Die Sonderausstellung „Zwischen den Zeilen - Die Kunst von Alice Teichert im Dialog mit dem Mittelalter“ ist bis 15. Oktober 2017 im Museumsquartier St. Annen in Lübeck zu sehen. In der Kunst Alice Teicherts geht es um das universelle und intuitive Verstehen. Ihre Bilder besitzen eine unendliche Tiefe, große Leuchtkraft und eine unmittelbare Verbindung zur Musik. Rund 65 Werke der kanadischen Künstlerin mit europäischen Wurzeln korrespondieren mit 19 kostbaren und sehr selten gezeigten Handschriften des Archivs und der Stadtbibliothek Lübeck sowie mit den Altären des St. Annen-Museums. Die Ausstellung ist zugleich die erste große Retrospektive in Europa. Die Malerin hat sich von jeher intensiv mit der alten Kunst auseinandergesetzt und sich von ihr inspirieren lassen.

„Ich danke der neuen Leiterin des St. Annen-Museums dafür, dass Sie diese Crossover- Ausstellung kuratiert und damit erstmals die zentrale Idee des Museumsquartiers in die Tat umgesetzt hat: die Einheit von Ausstellung und Ort. Dagmar Täube verschränkt die moderne Kunsthalle mit den alten Klosterräumen und bringt so Modernes und Mittelalterliches auf reizvolle und beeindruckende Weise zusammen“, betonte Prof. Dr. Hans Wißkirchen, Leitender Direktor der Lübecker Museen.

Mit Linien, Formen und Farben lässt Alice Teichert eine Welt entstehen, die auf den ersten Blick scheinbar leicht verständlich ist. Bei genauerem Hinsehen jedoch entfaltet sich eine vielschichtige Welt, der sie immer wieder neue Formen verleiht. Dabei begibt sie sich in sprach- und gegenstandslose Sphären, um tiefer in das Sujet, die Bildsprache, die Schrift, die Zeichen und die Farbe einzudringen und sie zu erforschen.

„Die Ausstellung zeigt auf besondere Weise, dass die Begriffe gegenständlich und abstrakt ebenso fragwürdig sind wie die Kategorisierung von alter und zeitgenössischer Kunst“, erklärte Dr. Dagmar Täube, die Leiterin des St. Annen-Museums. Bei Alice Teichert geht es darum, die Kunst lesen zu lernen und zwar mit Mitteln des universellen Verstehens, abseits von Bild-, Sprach- und Kommunikationscodes, von Verstand und Wissen. Es geht um das Erspüren von Inhalten, bevor ein Gedanke in Worten erfassbar wird. Alice Teichert lehrt uns die Bildhaftigkeit der Sprache und die Bedeutung der Räume dazwischen. Das, was sprichwörtlich „zwischen den Zeilen“ geschieht, ist für sie von besonderem Interesse: Sie macht die Stille zwischen den Zeichen sichtbar, aber auch die Zwischentöne, die für jede Art von Kommunikation wesentlich sind. Diese Annäherung geschieht auf empirischem Wege ebenso wie auf philosophischer oder naturwissenschaftlicher Basis. Stets bezieht sie die Erfahrungen ihres täglichen Lebens in die Entwicklung ihrer Kunst und in ein neues Bewusstsein ein. Das Gehirn wird zu einem Erinnerungsspeicher unendlicher Sinneseindrücke und von Gedankenschichten, die in visuelle Poesie übersetzt werden.

Wie lässt sich aber nun diese Theorie konkret in ihren Werken fassen? Welche Schritte ist sie gegangen und wohin wird die Reise gehen? Die Ausstellung wirft einen Blick auf ihre Werke und erfasst gleichermaßen ihre Vielfalt wie ihre Einheit. Denn wie auch immer Alice Teichert sich künstlerisch äußert, sei es in graphischen Arbeiten, in der Malerei, in der Poesie oder in Installationen, es geht stets um die Annäherung an das nicht körperlich Fassbare, das uns dennoch maßgeblich leitet und in Bewegung bringt.

Dabei setzt sie sich auch seit jeher intensiv mit alter Kunst auseinander und lässt sich von ihr inspirieren. Vor allem die mittelalterliche Buchmalerei ist für sie spannend. Sie studierte eingehend den Aufbau alter Handschriften ebenso wie ihre Bedeutungsebenen und die Liebe der Buchmaler und -schreiber zum Detail. So werden aufwändige Initialmalereien wie beispielsweise in Evangeliaren für sie ebenso zur visuellen Poesie, wie die für uns zum Teil heute nicht mehr lesbaren alten Minuskeln. Auch die Aufteilung einer Bild- und einer Textseite, wie wir sie etwa aus Stundenbüchern des 15. Jahrhunderts kennen, findet der Betrachter in ihren “Buch-Malereien“ wieder. Alice Teichert lädt sie jedoch mit einem vollkommen eigenen Bedeutungsgehalt auf und tritt so in einen spannenden Dialog mit den alten Handschriften. Gerade in der direkten Zusammenschau wird die enge Korrespondenz zwischen den alten Handschriften einerseits und ihren Bildern und Graphiken andererseits deutlich. Auch ihre enge Beziehung zur Musik und der Notenschrift lässt sich hier ablesen. Und schließlich lässt sich eine weitere Parallele finden, von der die Künstlerin immer wieder fasziniert ist: den zahlreichen Buchdarstellungen in der alten Kunst. Auch auf vielen Altären des St. Annen-Museums findet man geöffnete Bücher in den Händen der Figuren. Sie zeigen scheinbar Schriftzeichen und Texte, die aber zumeist ebenso wenig lesbar und entzifferbar sind wie jene von Alice Teicherts „Schriftzeichen“, die zu einem ihrer Markenzeichen geworden sind. Hier wie dort versteht man erst, wenn man aufhört „entziffern“ zu wollen.

So wird in dieser Crossover-Ausstellung deutlich, dass auch zeitgenössische Kunst nicht isoliert geschaffen wird, sondern in einem Kontext steht. Alice Teichert lässt sich von unseren kulturellen Wurzeln inspirieren und zeigt uns, wie aktuell diese sein können.

Begleitend zur Sonderausstellung wird ein umfangreiches Programm wie öffentliche Führungen und Workshops sowie ein Konzert angeboten. Ausführliche Informationen hierzu online unter www.museumsquartier-st-annen.de oder direkt im St. Annen-Museum, St. Annen-Straße 15, 23552 Lübeck, Telefon (0451) 122 4137. +++