Wie wird aus einem ehemaligen Kaufhaus ein lebendiger Ort für Bildung, Kultur und Stadtgemeinschaft? Architekt Klaus Petersen spricht über die Vision, Herausforderungen und nachhaltigen Lösungen hinter dem Entwurf des Bildungshauses Lübeck.
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1. Welche Vision hatten Sie für das Bildungshaus Lübeck? Was soll das Gebäude in Zukunft für die Lübecker Innenstadt und die Menschen ausstrahlen?
Unsere Vision war es, aus einem ehemals monofunktionalen Kaufhaus ein lebendiges, multifunktionales Gebäude zu schaffen, das Bildung und Kultur in den Mittelpunkt stellt. Wir wollten einen Ort schaffen, der die Innenstadt nachhaltig belebt und Raum für Begegnungen im Herzen der Altstadt bietet – offen, einladend und frei von Konsumzwängen.
Das Erdgeschoss sollte dabei als offener Raum dienen – eine Einladung an die Lübecker:innen sowie an Gäste, sich zu begegnen, miteinander zu kommunizieren und zu lernen. Durch die Integration der vier Altstadtgymnasien und der Musikhochschule wird das Gebäude langfristig von jungem Leben geprägt. Kombiniert mit kulturellen Angeboten entstehen Synergien, die weit über den Schulbetrieb hinausgehen und einen lebendigen Austausch fördern.
2. Was begeistert Sie persönlich am meisten an diesem Gebäude?
Mich fasziniert die Vielschichtigkeit des Projekts: Es verbindet architektonische, städtebauliche und soziologische Aspekte in einer Weise, wie man es selten findet. Das Bildungshaus ist nicht nur ein Umbau, sondern auch ein Impulsgeber für eine nachhaltige Innenstadtentwicklung und ein Treffpunkt für sozialen Austausch.
Besonders beeindruckend ist die Transformation von einem geschlossenen Kaufhaus zu einem offenen, multifunktionalen Ort. Die Umnutzung des Bestandes spart wertvolle graue Energie und setzt gleichzeitig ein starkes Zeichen für innovative, nachhaltige Architektur. Der Entwurf ist ein Balanceakt, der architektonische Qualität, Funktionalität und Nachhaltigkeit vereint und dabei auch Zukunftsthemen wie die Verkehrswende aufgreift – das ist für mich der eigentliche Reiz des Projekts.
3. Ein Umbau mitten in der Lübecker Altstadt und im historischen Bestand. Wie sind Sie mit diesen besonderen Rahmenbedingungen umgegangen? Welche Chancen, aber auch Herausforderungen ergeben sich daraus?
Bauen im Welterbe ist eine architektonische Gratwanderung. Wir wollten keine laute Lösung, sondern eine, die den Zeitgeist und den Respekt vor dem Ort gleichermaßen ausdrückt. Das Bildungshaus liegt im Herzen der historischen Altstadt, umgeben von engen Gassen und bedeutenden Kirchenbauten. Unser Ziel war es, die Kleinteiligkeit des städtebaulichen Umfelds zu stärken und gleichzeitig moderne, nachhaltige Bauprinzipien zu integrieren.
Ein Beispiel dafür ist das neue Dach: Es ersetzt die Technikzentrale durch eine zweigeschossige, vorgefertigte Holzkonstruktion, die sich mit ihrer rostroten Farbgebung harmonisch in die Altstadt einfügt. Die Abstimmung mit der Stadtplanung, der Denkmalpflege, dem Welterbebeirat und ICOMOS (International Council on Monuments and Sites) war unerlässlich, um eine Lösung zu finden, die sowohl dem Denkmalschutz als auch der Funktionalität gerecht wird.
4. Das Gebäude war schon immer ein Ort im Wandel und hat als Kaufhaus lange Zeit die Innenstadt geprägt. Wie haben Sie diese Geschichte in Ihrem Entwurf berücksichtigt?
Das Gebäude spiegelt den Wandel der Stadt wider, und das wollten wir auch in unserem Entwurf sichtbar machen. All dies tun wir in Reflexion der Geschichte des Ortes. Die Natursteinfassade bleibt erhalten, wird aber durch zusätzliche Eingänge und großzügige Verglasungen offener gestaltet. Diese Anpassungen schaffen eine einladende Atmosphäre und binden das Gebäude stärker in den Stadtraum ein.
5. Das gläserne Atrium steht im Mittelpunkt Ihres Entwurfs. Warum ist es so zentral und welche Funktionen übernimmt es?
Es schafft visuelle und funktionale Verbindungen zwischen allen fünf Stockwerken, sorgt für Tageslicht und verbessert die natürliche Belüftung und Akustik. Gleichzeitig schafft es eine offene, inspirierende Atmosphäre.
Die Klassenräume sind zum Atrium hin orientiert, da diese Lage Ruhe und Konzentration ermöglicht. An den Außenfassaden befinden sich dagegen offene Lernzonen, die durch öffenbare Fenster die Interaktion mit dem Stadtraum fördern. Das Atrium ist somit nicht nur architektonisch, sondern auch funktional ein unverzichtbares Element.
6. Ein weiteres Herzstück ist der neue Dachaufbau. Was zeichnet ihn aus und wie fügt er sich in das Stadtbild und die besonderen Anforderungen des Welterbes ein?
Das neue Dach ist ein eindrucksvolles Beispiel für die gelungene Verbindung von Funktionalität und Gestaltung. Einerseits schaffen wir mit den Dachterrassen zusätzliche Räume, die als Pausenhöfe und Begegnungsflächen dienen – sie bieten allen einen Ort der Kommunikation und des Austauschs hoch über den Dächern der Stadt. Andererseits war es eine große Herausforderung, diesen offenen Raum zu realisieren und gleichzeitig die Dachform weitgehend geschlossen zu halten. Die Lösung: Eine zweigeschossige, ressourcenschonende Holzkonstruktion, die sich mit ihren rostfarbenen, transluzenten Metallflächen harmonisch in die historische Dachlandschaft Lübecks einfügt.
Darüber hinaus trägt die vorgefertigte Holzbauweise dazu bei, die Bauzeit zu verkürzen und den logistischen Aufwand in der engen Altstadt zu minimieren.
7. Das Bildungshaus soll Lübeck langfristig bereichern und beleben. Welche Maßnahmen haben Sie bislang getroffen, um das Bildungshaus zukunftsfähig und ökologisch nachhaltig zu gestalten?
Unser Fokus liegt auf der Umnutzung des Bestandes – das spart Ressourcen und reduziert den CO2-Fußabdruck erheblich. Beispiele dafür sind der Erhalt der markanten Natursteinfassade und die Wiederverwendung von Bauteilen, zum Beispiel zum Schließen von Deckenfeldern ehemaliger Rolltreppenanlagen. Die Umnutzung spart nicht nur Material, sondern trägt auch dazu bei, die Identität des Gebäudes zu bewahren.
Unser Low-Tech-Technikkonzept löst viele Anforderungen durch bauliche Lösungen, Technik kommt nur dort zum Einsatz, wo sie zwingend erforderlich ist. Dabei setzen wir auf effiziente technische Lösungen und gewährleisten durch Photovoltaikanlagen auf dem Dach eine nachhaltige Stromversorgung des Gebäudes. Diese Maßnahmen sind nicht nur nachhaltig, sondern senken auch die Betriebskosten. Der Einsatz robuster Materialien garantiert eine lange Lebensdauer.
Ein weiteres Highlight ist das Fahrradparkhaus mit rund 400 Stellplätzen, das die nachhaltige Mobilität in der Innenstadt fördert und einen Beitrag zur Verkehrswende leistet.
8. Was ist Ihr persönliches Highlight des Entwurfes? Gibt es ein Detail, das Ihnen besonders am Herzen liegt?
Das ganze Projekt ist ein Traumprojekt für eine nachhaltige, ökologische, zirkuläre Architektur und für eine sozial ausgerichtete, impulsgebende Stadtentwicklung. Highlights sind die Integration des großen Atriums und das neue Dach, das mehrere Anforderungen kompromisslos vereint – ein harmonisches und doch selbstbewusstes Stück Architektur.
9. Stellen Sie sich das fertige Bildungshaus voller Leben vor: Welche Szene kommt Ihnen als erstes in den Sinn?
Ich stelle mir vor, wie das Bildungshaus zu einem lebendigen Treffpunkt wird, der Menschen unterschiedlichster Herkunft, Altersgruppen und Interessen zusammenbringt. Hier wird nicht nur gelernt, sondern auch musiziert, Theater gespielt, gefeiert und diskutiert. Der Austausch zwischen den Generationen ist spürbar – sei es bei Veranstaltungen oder beim gemeinsamen Verweilen auf den Dachterrassen.
Das Bildungshaus wird zu einem Ort, an dem Ideen und Inspiration fließen. Als Leuchtturmprojekt setzt es ein starkes Zeichen für den Wandel der Innenstadt und wird zum Vorbild für andere Städte: Bildung und Kultur treten an die Stelle von Konsum und schaffen Raum für Begegnung und kreative Entfaltung.