Veröffentlicht am 20.03.2009

Jährliches Osterritual: Schließung der mittelalterlichen Altäre

Malereien der Fasten- und Sonntagsseiten sind vom 29. März bis 11. April zu sehen

Es ist ein jährliches Ritual in einer der bedeutendsten Sammlungen mittelalterlicher Altäre Deutschlands: In den letzten zwei Wochen vor Ostern werden die Flügel zahlreicher Wandelaltäre des St. Annen-Museums geschlossen. Am Sonntag, 29. März 2009, 18 Uhr, begeht das Museum in den Klostergewölben die Schließung öffentlich mit einem feierlichen Akt zu Klängen mittelalterlicher Kirchenmusik. Bis zum 11. April sind dann die sonst ganzjährig verborgenen Malereien der Außenseiten zu betrachten.

Der Brauch verweist auf die jahrhundertealte Tradition der Katholischen Kirche, die in der Fastenzeit den Chorraum, die Altäre und das Kruzifix verhüllt. Das Abstinenzgebot wird somit sinnbildlich unterstrichen: Auch die Augen haben zu „fasten“, das Farbig-Schöne und der Trost spendende Bilderreichtum im Kirchenraum wird ihnen entzogen. Die Konzentration des Gläubigen gehört ganz dem Leiden Christi. Die Darstellungen auf den Fastenseiten sind strenger und reduzierter, farblich zurückhaltender als der Mittelschrein gestaltet; sie zeigen ausgewählte Heiligenfiguren in schlichter Schönheit und Größe oder die Verkündigung an Maria, das wichtigste Fest der Fastenzeit.

Das St. Annen-Museum nimmt diesen Brauch der „Verhüllung“ zum Anlass, für kurze Zeit die Malereien zu zeigen, die dem Besucher sonst unsichtbar bleiben. Bei manchen Altären wird die Fastenseite gezeigt, bei anderen die szenenreichen, so genannten Sonntagsseiten. Denn einige Altäre verfügen neben den aufwändig gestalteten Festtagsseiten, die den höchsten Feiertagen vorbehalten sind, und den Fastenseiten, über ein weiteres Flügelpaar, dessen Darstellung an den „normalen“ Sonntagen gezeigt wird.

Das berühmteste und prachtvollste Beispiel eines solchen Altars ist der Memling-Altar, Glanzstück der niederländischen Malerei des ausgehenden 15. Jahrhunderts und kostbarstes Stück der Lübecker Sammlung. Hans Memling, Schüler Rogier van der Weydens, schuf den beeindruckenden Passionsaltar im Auftrag eines reichen Lübecker Kaufmanns 1491 in Brügge.

In der ersten Woche (29. März bis 5. April) wird die eigentliche Fastenseite gezeigt, bei der der Altar vollständig geschlossen ist. Sehr zurückhaltend ist hier die Verkündigung des Engels Gabriel an Maria dargestellt, beide Figuren sind grau in grau gehalten und erscheinen wie Statuen aus Stein. In der zweiten Woche dann (7. bis 11. April) ist die Sonntagsseite zu sehen. Sie zeigt in großfiguriger Malerei die vier Heiligen Blasius, Johannes den Täufer, Hieronymus und Aegidius in warmen Farbtönen, die eine gedämpfte und auf wundervolle Weise Ruhe ausstrahlende Atmosphäre schaffen. Mit dem Ende der Passionszeit, am Ostersonntag (12. April), wird der Altar, wie auch die übrigen des Museums, wieder ganz geöffnet. Zum höchsten Kirchenfest zeigt sich der Innenschrein mit seinem ganzen Darstellungsreichtum: Großformatige Szenen erzählen die Passionsgeschichte Christi in allen Stationen.

Die Schließung der Altäre findet in diesem Jahr am 29. März statt und wird von einem besonderen Akt begleitet: Die Restauratoren des St. Annen-Museum nehmen vorsichtig die Schließung der Altar-Retabeln vor. Sie werden dabei musikalisch begleitet durch die „Camerata anno 1500“. Die Musikerinnen ziehen in feierlicher Prozession durch den Kreuzgang ein und spielen mittelalterliche Kirchmusik auf originalgetreu nachgebauten Instrumenten des Mittelalters wie Streichpsalter, Schalmei oder Krummhorn. Dr. Hildegard Vogeler, Leiterin des St. Annen-Museums, moderiert die Veranstaltung und entschlüsselt den Besuchern die Bildprogramme der Altäre. Der Eintritt zu dieser Veranstaltung beträgt sieben Euro, ermäßigt 3,50 Euro.

Vor dem Ritual der Altarschließung können Besucher im Kunstcafé des St. Annen-Museums die traditionelle Fastensuppe essen. Eine weitere Führung findet am Sonntag, 5. April um 11.30 Uhr statt.+++