Sensationsfund in der Trave

Ca. 400 Jahre altes Hanseschiff entdeckt

Das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt (WSA) Ostsee lässt regelmäßig Fächerlotpeilungen in der Fahrrinne der Trave durchführen. Dabei wurde 2020 eine Unebenheit am Grund der Trave geortet. Taucher des WSA Ostsee kontrollierten daraufhin die „Sohle“ der Trave, um auszuschließen, dass eine Gefahr von den diversen auf Grund liegenden Gegenständen ausgeht. Was sie dann fanden, entpuppte sich als wahrer Sensationsfund für die Hansestadt Lübeck, die Geschichte der Hanse und die Archäolog:innen der Welt. Im Rahmen einer Pressekonferenz stellten Jan Lindenau, Bürgermeister der Hansestadt Lübeck und Vormann des Städtebundes DIE HANSE, die Archäolog:innen der Oberen Denkmalschutzbehörde der Hansestadt Lübeck sowie die wissenschaftlichen Expert:innen der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) die spektakuläre Entdeckung und historische Bedeutung des Hanseschiffs in der Trave vor.

 

Typisches Frachtschiff aus dem 17. Jahrhundert

Es war der sprichwörtliche Zufall, mit dem die spannende Reise in die Vergangenheit der Geschichte der Hanse beginnt: Bei einer der regelmäßigen Messungen in der Fahrrinne der Trave ortete das WSA Ostsee eine Unebenheit in der Trave. Taucher untersuchten das Objekt im August 2021, fotografierten den Fund und nahmen Proben. Die Ergebnisse bestätigten die Vermutung, dass es sich um ein gesunkenes Schiff handelt. Weitere Untersuchungen wurden ab September 2021 durch die Archäolog:innen der Oberen Denkmalschutzbehörde der Hansestadt Lübeck in enger Kooperation mit den Wissenschaftler:innen der CAU durchgeführt. Forschungstauchende und Unterwasserarchäolog:innen der CAU betauchten und begutachteten die Fundstellen:

In rund elf Metern Tiefe auf dem Grund der Trave liegt ein ca. 20 Meter langes und etwa acht Meter breites Holzwrack. Deutlich lassen sich Teile des Schiffrumpfes sowie fassförmige Gegenstände erkennen. Die dendrochronologische Altersbestimmung ergab, dass der Fund nach derzeitigem Stand in das 17. Jahrhundert datiert werden kann. Es handelt sich damit um ein typisches Frachtschiff aus der Zeit der Hanse – ein sensationeller Fund!


„Dieser Sensationsfund in der ‚Königin der Hanse‘, der Hauptstadt des historischen Städtebundes, ist Auftrag und Verpflichtung zugleich, sich um die Bewahrung dieses Kulturdenkmals zu bemühen und sorgsam mit dem Hanseschiff umzugehen. Für Lübeck wird dies eine besondere Herausforderung, der wir uns jedoch als stolze Hanseat:innen mit Freude widmen werden. Ich danke den beteiligten Kooperationspartnern von WSA und CAU für die gute Zusammenarbeit mit der Oberen Denkmalschutzbehörde in der Hansestadt Lübeck“, so Jan Lindenau, Bürgermeister der Hansestadt Lübeck und Vormann des Städtebundes DIE HANSE.

„Die wissenschaftliche Erkenntnis dieses spektakulären Wrackfundes wird der Wirtschafts- und Handelsgeschichte der Hansestadt Lübeck ein bis dato unbekanntes neues Puzzleteil hinzufügen. Die hervorragende Arbeit der Lübecker Archäologie wird hier auch in Zukunft die Vergangenheit lebendig werden lassen“, ergänzt Lübecks Kultursenatorin Monika Frank.

 

 

Einmaliger Fund ermöglicht faszinierende Einblicke

Zwar sind im östlichen Ostseeraum Wrackfunde aus unterschiedlichen Jahrhunderten durchaus bekannt, für die westliche Ostsee bedeutet diese Entdeckung jedoch ein Novum. „Der Fund des Wracks und seiner Ladung wird ganz neue Aspekte für die Forschung als auch die Bedeutung der Hansestadt Lübeck über den gesamten Ostseeraum hinweg beinhalten“, sind sich die Lübecker Archäolog:innen, Dr. Manfred Schneider, Dr. Dirk Rieger und Dr. Ingrid Sudhoff, sicher.

Diese Einstellung teilen auch die Wissenschaftler der CAU. „Ein archäologisches Juwel, dessen Bedeutung man bislang schemenhaft erahnt und dessen Bergung uns faszinierende Einblicke in die Geschichte der Seefahrt und des Seehandels gewährt“, beurteilt Professor Dr. Ulrich Müller den Fund. "So ein gut erhaltenes Wrack betauchen und erforschen zu dürfen, ist schon wirklich einmalig. Von so einer Gelegenheit träumt man als Unterwasserarchäologe", schwärmt Dr. Fritz Jürgens.

Einmalig wird der Fund vor allem auch durch die noch vorhandene Ladung: Mehr als 150 Fässer konnten bisher gesichtet werden, sowohl auf dem recht umfangreichen Holzrumpf als auch im Trümmerumfeld neben dem Wrack. Schon jetzt können die Expert:innen anhand der Untersuchungen folgende Schlüsse ziehen: Das Schiff war flachbodig und kraweelbeplankt und trug mindestens anderthalb Masten. Die Maße und der erkennbare Aufbau des frühneuzeitlichen Schiffswracks lassen den Schluss zu, dass es sich nach ersten Hinweisen um den Schiffstyp Galliot oder Fleute handeln könnte.

Bauteile aus schleswig-holsteinischer Eiche und schwedischer Kiefer belegen einen weitreichenden frühneuzeitlichen Holzhandel. Erste Proben ergaben, dass zumindest ein Teil der Fässer mit Branntkalk, einem wichtigen Baustoff, gefüllt ist. Dies stellt zugleich den ältesten archäologischen Beleg über den Handel mit Branntkalk dar, der auch historisch nur fragmentarisch überliefert ist und somit einen wertvollen Beitrag zum frühneuzeitlichen Baustoffhandel liefert.

Abbildung einer Fleute

 

 

Voigt von Travemünde bittet um Sicherung der Ladung

Eine mögliche passende Geschichte findet sich dazu im Archiv der Hansestadt Lübeck: In einem Brief wendet sich der Voigt von Travemünde im Dezember 1680 an einen unbekannten Empfänger und bittet ihn, dass Anstalten gemacht werden, um die Güter auf einer gestrandeten Galliot in Sicherheit zu bringen. Die Erwähnung im Brief könnte einen unmittelbaren Bezug zum Wrack herstellen, da sich auch die derzeitige dendrochronologische Datierung (um/nach 1650) des Wracks auf diesen Zeitraum bezieht. Ob die erwähnte Strandung des Wracks aber tatsächlich in Zusammenhang gebracht werden kann, lässt sich nach derzeitigem Kenntnisstand nicht eindeutig sagen. Es scheint jedoch durchaus möglich, dass das Schiff an der Biegung auf Grund gelaufen ist und sich kurz darauf, oder nach Abbergung eines Teils der Ladung wieder losgerissen hat und daraufhin in der Trave gesunken ist.

 

 

Bergung

Seitens der Expert:innen wird das Wrack mit der zum Großteil noch erhaltenen Ladung als einmaliger und herausragender Fund für die Historie und Archäologie der westlichen Ostsee eingestuft. Der Schutz und der Erhalt werden deshalb dringend empfohlen. Allerdings ist das Wrack massiv durch die Strömung und die Schiffsbohrmuscheln gefährdet. Nach Aussage der Taucher ist die Strömung an dieser Stelle sehr dynamisch, sodass eine große Gefahr besteht, dass Teile freigespült werden. Bei weiteren Freispülungen kann das Wrack zu einer Gefahrenquelle in der Schifffahrtsrinne der Trave werden. Auch deshalb ist eine Bergung erforderlich.

Tauchgang zum Hanseschiff

Bild: Christian Howe

Im Frühjahr 2023 konnte in einer internationalen Ausschreibung mit Archcom eine Fachfirma gewonnen werden, die den hohen Anforderungen an die unterwasserarchäologischen Arbeiten gerecht wird. Koordiniert durch den Bereich Archäologie und Denkmalpflege hat die Bergung des Wracks zum ersten Juni begonnen. Die Arbeiten sind auf drei Monate angelegt und werden vom Tauchschiff St Perun ausgeführt. Dieses verankert sich täglich neben der Fundstelle in der Trave.

Nach dem Einrichten eines Messsystems wird damit begonnen, das Wrack mit eine Pumpe angetrieben Unterwasser freizuzulegen. Danach wird jedes Schiffsholz und jedes Fass mit einer Ohrmarke versehen. Durch ihre auffällige Farbe und ihre Robustizität eignen sich diese Accessoires aus der Nutztierhaltung auch hervorragend für einen Einsatz in der Unterwasserarchäologie.

Nach erfolgter Markierung wird das Wrack mittels Structure-from-Motion, einer Fotogrammmetrie Technik, die es erlaubt, hochauflösende und maßstabsgerechte 3D-Modelle zu berechnen, dokumentiert. Erst danach wird mit der Bergung der begonnen. Zunächst werden die Fässer abgetragen und dann das Schiff Schritt-für-Schritt – innenliegende Hölzer, Wegerung, Spanten, Kielschwein und Planken – entfernt. Nach jedem dieser Schritte folgt ein erneutes Absaugen und Dokumentation.

Nach erfolgter Bergung werden Fässer und Hölzer zum Hafen gebracht und von dort zur Lagerhalle nach Schlutup transportiert. Hier werden die Hölzer dann gereinigt, beprobt und detailliert dokumentiert. Dafür wird jedes Holz mit einem Strukturlichtscanner bis ins kleinste Detail erfasst und im 3D-Modell sowie in daraus erstellten Zeichnungen beschrieben. Während die Hölzer zur Entsalzung in Wasserbecken gelagert werden, wandern die Proben zur Material- und Altersbestimmung ins Labor. Die dreidimensional erfassten Hölzer werden am Computer wieder zum Wrack zusammengesetzt und erlauben es jetzt nicht nur, tiefgreifende Studien zu Schiffstyp und Bauform durchzuführen, sondern auch, eine vollständige Rekonstruktion des Schiffs anzufertigen.

 

NDR-Dokumentation

NDR Fernsehen zeigt die Bergung des Hanseschiffs

Über mehrere Drehtage im Sommer und Herbst letzten Jahres wurde die Bergung und Dokumentation des Hanseschiffs von einem Filmteam des NDR begleitet. Herausgekommen ist eine halbstündige „Nordreportage“ mit dem Titel: „Das Geisterschiff von Lübeck - Bergungsabenteuer in der Trave“.

Vortrag zum Wrack

Gemeinsamer Vortrag zum Wrack von Dr. Felix Rösch vom Bereich Archäologie und Denkmalpflege der Hansestadt Lübeck und Dr. Fritz Jürgens von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) im Europäischen Hansemuseum am Freitag, 24.03.2023.

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