Die Vorlage zur Projektfreigabe für den Neubau der Grundschule mit Sporthalle und Kita am Geniner Ufer beschreibt einen modernen Bildungsbau, der ganztägiges Lernen grundsätzlich ermöglichen soll. Mit Blick auf den ab dem Schuljahr 2026/27 stufenweise in Kraft tretenden Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung ergeben sich jedoch erhöhte Anforderungen an Raumkapazitäten, pädagogische Infrastruktur und organisatorische Planbarkeit, die in der Vorlage nur teilweise dargestellt werden.
1. Rechtsanspruch und Raumbedarf
Der bundesgesetzliche Rechtsanspruch verpflichtet die Kommunen ab 2026 zunächst für die erste Jahrgangsstufe, anschließend jährlich aufsteigend bis 2029/30 für alle Jahrgänge der Grundschule, ein verlässliches Ganztagsangebot an fünf Werktagen und bis zu acht Stunden täglich vorzuhalten. Dieser Anspruch umfasst nicht allein Betreuungsplätze, sondern setzt auch räumliche Voraussetzungen voraus, die eine qualitativ hochwertige Ganztagsbildung ermöglichen.
Anerkannte fachliche Empfehlungen – darunter die Kultusministerkonferenz (KMK), verschiedene Länder-Raumprogramme, wissenschaftliche Expertisen zur Ganztagsqualität sowie landesweite Rahmenkonzepte – betonen, dass Ganztagsangebote eigene pädagogische Räume benötigen, insbesondere Ruhe-, Rückzugs-, Bewegungs- und Freizeiträume. Die vorliegende Planung weist jedoch keine eigenen Ganztagsräume aus und setzt überwiegend auf die Doppelnutzung der Unterrichtsflächen. Damit bleibt offen, ob der Standort die Anforderungen des Rechtsanspruchs langfristig erfüllen kann.
2. Ganztagsplätze an der neuen Schule
Die geplante dreizügige Grundschule soll bis zu 300 Schüler*innen aufnehmen. Die Vorlage benennt jedoch weder die konkrete Zahl der geplanten Ganztagsplätze noch die zugrunde liegende Berechnungsmethodik (z. B. Teilnahmequoten, Richtwerte pro Zug, prognostizierte Bedarfe). Da die ausreichende Versorgung mit Ganztagsplätzen ein gesetzlicher Auftrag ist, ist eine transparente Darstellung der Kapazitätsplanung erforderlich, um beurteilen zu können, ob der Standort den Rechtsanspruch erfüllen kann.
3. Fehlende Ausweisung eigener Ganztagsräume
Die Vorlage beschreibt die Jahrgangscluster als flexible Lernwelten, die sowohl für Unterricht als auch für den Ganztag genutzt werden sollen. Damit wird ein rein doppelt genutztes Raumkonzept verfolgt. Aus Qualitätsbewertungen verschiedener Ganztagsschulen ist jedoch bekannt, dass das Fehlen eigener Ganztagsflächen – insbesondere für Ruhe, Rückzug und individuelle Förderung – die pädagogische Arbeit am Nachmittag erheblich beeinträchtigen kann. Dies gilt umso mehr für inklusive Ganztagssettings einer neu zu bauenden inklusiven Regelschule.
4. Nutzung der Unterrichtsflächen
Die vorgesehenen Unterrichtsflächen (Klassenräume, Gruppenräume, Freilernzonen) sind pädagogisch sinnvoll konzipiert, aber bereits am Vormittag intensiv für Unterricht, Differenzierung und Förderung genutzt. Ohne eigene Ganztagsräume muss der gesamte Betreuungsbetrieb am Nachmittag auf diese Flächen zurückgreifen. In der Praxis führt dies häufig zu organisatorischen Herausforderungen, da parallele Gruppenarbeit, Ruhephasen und Förderangebote schwer abzubilden sind, wenn dieselben Räume täglich mehrfach umgenutzt werden müssen und der Unterricht klassenbezogen ein unterschiedliches zeitliches Ende an den verschiedenen Unterrichtstagen haben kann, so dass die Betreuung im Ganztag zu unterschiedlichen Zeiten und auch parallel zum Unterricht starten wird.
5. Jahrgangscluster als Ganztagsräume
Die Jahrgangscluster sind als „Heimaten eines Jahrgangs“ konzipiert und unterstützen moderne pädagogische Lernformen. Sie sind jedoch nicht als zusätzliche Ganztagsflächen ausgewiesen. Fachliche Qualitätsrahmen zur Ganztagsbildung betonen, dass Unterrichts- und Clusterflächen allein nicht ausreichen, um sowohl differenziertes Lernen am Vormittag als auch qualitativ hochwertige Betreuung am Nachmittag zu gewährleisten. Die Vorlage begründet nicht, warum die vorhandenen Flächen langfristig ausreichen sollen.
6. Inklusion im Ganztag
Die Planung weist erhöhte Anforderungen an Barrierefreiheit und Raumakustik aus, berücksichtigt jedoch nicht, dass Inklusion auch im Ganztag spezifische räumliche Voraussetzungen erfordert. Für viele Kinder sind Rückzugs-, Bewegungs- oder sensorisch reizärmere Räume essenziell. Ohne eigene Ganztagsräume bleibt unklar, wie die Schule eine inklusive Ganztagsstruktur abbilden kann, die den vielfältigen Bedürfnissen der Kinder gerecht wird.
7. Abstimmung mit dem künftigen Träger
Die Vorlage erwähnt zwar eine Beteiligung von Trägervertreter*innen an der Bedarfsplanung, macht jedoch keine Aussage darüber, ob bereits eine verbindliche, konzeptbasierte Abstimmung mit dem späteren Ganztagsträger stattgefunden hat. Nach dem Lübecker Konzept „Ganztag an Schule“ ist die gemeinsame Entwicklung eines pädagogischen und räumlichen Ganztagskonzeptes jedoch zentral. Diese gemeinsame Planung ist zudem durch einen Bürgerschaftsbeschluss vom 29.08.2019 verbindlich abgesichert worden:
„(…) 2. Die Ausstattung der Klassenräume in den Grundschulen wird künftig nach den Kriterien ganztägiger Nutzung in Zusammenarbeit von Schulen und Trägern der offenen Ganztagsschule weiterentwickelt.“ (Bürgerschaftsbeschluss VO/2019/07479)
Vor diesem Hintergrund ist entscheidend zu klären, ob für den Neubau am Geniner Ufer bereits ein abgestimmtes Raum- und Nutzungskonzept mit dem künftigen Träger vorliegt. Ohne eine solche gemeinsame Grundlage bleibt offen, ob die räumliche Planung den tatsächlichen Bedarfen der Ganztagsbetreuung entspricht und den politischen Vorgaben zur kooperativen Weiterentwicklung ganztägig nutzbarer Räume gerecht wird.
8. Nachsteuerungsbedarf
Da keine eigenen Ganztagsräume geplant sind, die Anforderungen des Rechtsanspruchs steigen und der inklusive Ganztag besondere räumliche Bedingungen benötigt, erscheint eine Nachsteuerung der Planung ggf. notwendig, sofern diese nicht bereits vorliegt und lediglich versäumt wurde, darüber in der Vorlage zu berichten. Die vorliegenden Fragen dienen daher dazu, die Planungsgrundlagen zu präzisieren und sicherzustellen, dass der Standort der neuen inklusiven Grundschule auch mit Blick auf die Bedarfe des Ganztags an Schule langfristig sowohl den gesetzlichen Vorgaben als auch pädagogischen und inklusiven Qualitätsstandards entspricht.