Ausgangslage
Im Rahmen der VO/2024/13418 Verkehrsentwicklungsplan – Teilgutachten Potenzialanalyse Straßenbahn wurden sowohl die Potenziale als auch die Machbarkeit einer Straßenbahn intensiv geprüft. Im Ergebnis war dabei festzustellen, dass Potenziale und Machbarkeit gegeben sind, aus Sicht der Verwaltung aber ausfolgenden Gründen keine weiteren Schritte zur Umsetzung einer Straßenbahn eingeleitet werden sollten:
- Die dargestellten Kosten sind (trotz Förderung) extrem hoch. Auch wenn sich die derzeitige finanzielle Situation der Hansestadt langfristig wieder verbessern sollte, wäre die Implementierung der Straßenbahn eine enorme Belastung des städtischen Haushalts.
- Die jetzige Baustellensituation in Lübeck wird von weiten Teilen der Einwohnenden bereits als sehr negativ wahrgenommen. Der Bau der Straßenbahn würde dieses negative Stimmungsbild voraussichtlich vervielfachen.
- Vor allem im Bereich der engen Altstadt steht der Bau der Straßenbahn womöglich in Konkurrenz zum Ausbau der Wärmenetze, da diese in der Regel nicht übereinander gebaut werden.
- Auch stellt der Bau einer Straßenbahn eine Festlegung auf einen Verkehrsträger für viele Jahrzehnte dar. Es ist nicht absehbar, wie sich Mobilitätstechnologien in den kommenden Jahren entwickeln werden. Es wäre bedauerlich, wenn die Straßenbahn eines Tages erneut als nicht zukunftsgerecht wahrgenommen würde.
- Trotz anfänglicher Begeisterung und weit fortgeschrittener Planungen können Straßenbahnprojekte kurz vor Baubeginn noch gestoppt werden, wie zahlreiche Beispiele verdeutlichen. Dies stellt auch mit Blick auf den Personal- und Ressourceneinsatz der Verwaltung ein erhebliches Risiko dar.
Die Straßenbahn käme voraussichtlich auf einen Modal-Split-Wert von 15,4 %. Der Zielwert für den ÖPNV im VEP sollte gemäß Grundlagenbeschluss 20 % betragen. Um die Effekte eines reinen Bussystems gegenüber stellen zu können, wurde daher ein sog. Verkehrswendeszenario erarbeitet. Dieses käme mit einem sehr stark ausgebauten Busnetz auf 16 % Modal Split. Ein Vergleich dieser beiden Ansätze wird allerdings dadurch erschwert, dass bei der Einführung einer Straßenbahn vor allem die Investitionskosten besonders hoch sind, bei einem Bussystem gemäß Verkehrswendeszenario wiederum die Betriebskosten.
Daher sollte gemäß Antrag ermittelt werden, wie die beiden Ansätze in einem direkten Nutzen-Kosten-Vergleich abschneiden.
Methodik
Aus den Diskussionen im Bauausschuss ging hervor, dass Erkenntnisse darüber gewünscht sind, wie hoch der Mitteleinsatz bei den beiden Zukunftsszenarien sein muss, um ein vergleichbares Ziel zu erreichen. Es soll also ein Bewertungsverfahren angewandt werden, bei dem die Kosten separat ausgewiesen werden. Das Verfahren der standardisierten Bewertung, das zur Prüfung der Förderfähigkeit von Investitionsprojekten zum Einsatz kommt, ist daher nicht geeignet:
Bei diesem Verfahren wird der Nutzen in Geldeinheiten umgerechnet und teilweise mit den Kosten verrechnet. Darüber hinaus bedarf eine standardisierte Bewertung einen deutlich umfangreicheren Projektstand wie einer Objektplanung (mindestens) auf dem Niveau einer Vorplanung sowie abgestimmter Planungen des allgemeinen ÖV-Angebots.
Daher wird eine Kosten-Wirksamkeits-Analyse (KWA) durchgeführt. Bei der KWA werden die Kosten und die Wirkung von Maßnahmen jeweils separat ermittelt und in einem Diagramm eingetragen. In dieser Darstellung lassen sich insbesondere die Kosten und die Kosteneffizienz verschiedener Szenarien vergleichen. Sie ist daher besonders dann geeignet, wenn verschiedene Zukunftsszenarien verglichen werden sollen und man sich noch nicht auf ein Szenario festgelegt hat.
Bei der KWA wurden drei Zukunftsszenarien für das Jahr 2035 analysiert:
- Prognose-Nullfall mit Zielnetz laut 5. RNVP inkl. SPNV-Netz 2035
- Verkehrswendeszenario mit gestärktem Busnetz inkl. SPNV-Netz 2035
- Straßenbahnnetz mit vier Linien mit angepasstem Busnetz (jeweils als Variante mit und ohne Förderung) inkl. SPNV-Netz 2035
Die Wirksamkeit wird dabei – entsprechend den Zielen des VEP – auf zwei verschiedene Arten gemessen:
- Prozentualer Anteil des ÖPNV an Wegen der Lübecker:innen im Alltag (Modal Split)
- Verkehrsleistung der Lübecker:innen (Pers-km/Jahr)
Die Kosten des jeweiligen Szenarios setzen sich zusammen aus den Betriebskosten und aus den Abschreibungskosten von Investitionsmaßnahmen. Letzteres betrifft insbesondere das Straßenbahnszenario. Dabei werden die Kosten der Investitionen auf die Lebensdauer der jeweiligen Bauwerke umgerechnet. Ebenfalls berücksichtigt sind Zinskosten die dadurch entstehen, dass Investitionen schon vor der Nutzung bezahlt werden müssen. Für das Straßenbahnszenario sind außerdem die Kosten mit und ohne Förderung dargestellt. Alle Kosten sind auf das Jahr 2024 normiert.
In der durchgeführten KWA werden Kosten und Wirksamkeit nicht absolut dargestellt, sondern relativ zu einem sog. „Nullfall“. Dieser entspricht dem Angebot, dass angenommen werden kann, falls keine der Maßnahmen umgesetzt werden sollte (also dem Stand 2022). Die Verkehrsnachfrage des Nullfalls sowie der Szenarien werden mit den fortgeschriebenen Strukturdaten des Jahres 2035 berechnet.
Parameter in Bezug auf Einzelfragen aus dem Antrag
Leitungsverlegung:
Leitungsverlegungen, die für den Bau einer Straßenbahn notwendig sind, sind mit Abschlägen förderfähig. Die genaue Höhe des Abschlags wird mit dem Zuwendungsgeber vereinbart. Bei anderen GVFG-Projekten des Bundes wurde die Höhe der Abschläge – als sogenannter „Neuwertausgleich“ – wie folgt festgelegt:
- Telekommunikationsleitungen – 20 % nicht zuwendungsfähig als Neuwertausgleich;
- Weitere Leitungsanlagen (Gas, Wasser, Elektrizität etc.) – 40 % nicht zuwendungsfähig als Neuwertausgleich;
- Lichtsignalanlagen (nur bei Bestandsanlagen) – 40 % nicht zuwendungsfähig als Neuwertausgleich.
Bei einer Gesamtförderquote von 90 % nach GVFG werden also z. B. für eine Kanalverlegung 54 % der Kosten gefördert.
Erschütterungsfreie Untergründe in der Altstadt:
Moderne Straßenbahnsysteme können mit einem erschütterungsarmen Oberbau, der schwingend und elastisch gelagert ist, gebaut werden. Allerdings ist die Übertragung der Schwingungen immer stark vom jeweiligen Untergrund abhängig. Außerdem hat die Geschwindigkeit bzw. die Trassierung einen Einfluss auf die Übertragung der Schwingungen. Vorher-Nachher-Vergleiche können durchgeführt werden.
Minderung des Lärms von Straßenbahnen im urbanen Raum:
„Der Katalog von lärmreduzierenden Maßnahmen ist insgesamt umfangreich und bietet unterschiedliche Wirkungen zu einer weiten Bandbreite an den jeweiligen Kosten. Eine akustische Fahrzeug- und Fahrwegüberwachung bietet erhebliche Vorteile für das Verkehrsunternehmen und für die betroffenen Anwohner. Vor allem eine regelmäßige Gleisüberwachung und eine darauf beruhende Gleispflege garantieren dauerhaft niedrige Schallemissionen. Damit erhöht sich die Akzeptanz der Anwohnenden für den Straßenbahnbetrieb.“ (UBA (Hrsg.), 2017: Minderung des Lärms von Straßenbahnen im urbanen Raum, S. 16)
Förderkulisse allgemein:
- siehe VO/2024/13418 Anlage 1 u. a. Kap. 4.5 Fördermöglichkeiten.
Üblicherweise beträgt der Bundesanteil 75 % der förderfähigen Kosten. Weitere Fördermöglichkeiten ergeben sich aus verschiedenen Landesprogrammen wie z. B. das GVFG-SH. Der Landesanteil beträgt in anderen Bundesländern i. d. R. 15 %. Folglich kann von einer Förderung i. H. v. bis zu 90 % ausgegangen werden.
„Für die Finanzhilfen des Bundes an die Länder für Investitionen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden nach dem zum 1. Januar 2020 novellierten Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz stehen in den Jahren 2021 bis 2024 1,0 Mrd. EUR jährlich zur Verfügung. Ab 2025 werden sie auf 2,0 Mrd. EUR angehoben und in den Folgejahren um jeweils 1,8 % erhöht. Mit der Novellierung des Gesetzes wurde der Fördersatz von bisher 60 % auf grundsätzlich bis zu 75 % der zuwendungsfähigen Kosten angehoben. Zusätzlich wurden die Fördermöglichkeiten erweitert.“ (Deutscher Bundestag, 2024: Finanzplan des Bundes 2024 bis 2028 | Drucksache 20/12401)
- siehe GVFG-SH (siehe u. a. § 1 GVFG-SH bzgl. Herkunft und Verwendung der Mittel; Eine Revision der Mittel erfolgt gemäß § 1 GVFG-SH Abs. 8 im Jahr 2035).
Es ist davon auszugehen, dass das GVFG und GVFG-SH über Jahre Bestand haben und nur bei Bedarf novelliert bzw. an die Realitäten in den Kommunen angepasst werden.
Förderkulisse Brückensanierungen:
Der Ausbau von Bestandsbauwerken (z. B. Brückensanierungen) oder der Neubau von Bauwerken (z. B. Brückenneubauten) ist gemäß GVFG grundsätzlich förderfähig, wenn schienengebundene Verkehrsmittel wie z. B. eine Straßenbahn über diese verkehren. Hierbei gibt es i. d. R. keine Abschläge, d. h. Brückenbaumaßnahmen würden mit dem GVFG-Fördersatz von bis zu 90 % gefördert.
Der Denkmalschutz ist grundsätzlich zu berücksichtigen und förderfähig. Die Integrität und Authentizität der Welterbestätte „Lübecker Altstadt“ ist unbedingt zu bewahren, falls eine Straßenbahn wiedereingeführt werden sollte. Sind mehrere denkmalschutzgerechte Varianten möglich, wäre mit dem Zuwendungsgebenden zu besprechen, ob bei Wahl der teureren Variante nur ein Teil der Kosten gefördert wird.
Ohne Straßenbahn werden Sanierungsmaßnahmen von Straßenbrücken i. d. R. aus den GVFG-Fördertöpfen des Landes S-H gefördert. Dafür können Förderquoten um die 50 % erreicht werden. Derzeit haben die Fördertöpfe des Landes aber keine ausreichenden Mittel.
Im Folgenden sind die Aufwendungen für die Ertüchtigung der Brückenbauwerke aufgeführt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bei einer Ertüchtigung der Brücken eine deutlich kürzere Lebensdauer zugrunde gelegt werden muss.
| Ertüchtigung | Ersatzneubau |
Holstenbrücke | nicht möglich, da Gründung bereits instandgesetzt wurde und es dort keine Traglastreserven gibt | mit ca. 300 m² Brückenfläche (inkl. Verbreiterung) ca. 15 Mio. EUR |
Moltkebrücke | mit hohem Aufwand möglich (Überbau, Gründung, Ufermauern); Restlebensdauer 40 bis 50 Jahre; 15 Mio. EUR | mit ca. 500 m² Brückenfläche ca. 25 Mio. EUR |
Mühlentorbrücke | mit hohem Aufwand möglich, 35 Mio. EUR | mit ca. 1.600 m² Brückenfläche 20 Mio. EUR |
Burgtorbrücke | mit hohem Aufwand möglich, 35 Mio. EUR | mit ca. 1.600 m² Brückenfläche 20 Mio. EUR |
Puppenbrücke | mit hohem Aufwand möglich, 15 Mio. EUR | mit ca. 780 m² Brückenfläche 22 Mio. EUR |
Mühlenbrücke | nicht möglich, da die Gründung keine Traglastreserven hat | mit ca. 180 m² Brückenfläche 7 Mio. EUR |
Rehderbrücke | nicht möglich, da die Gründung und Ufermauern keine Traglastreserven haben Düker befindet sich längs unter der Brücke/unter ELK | mit ca. 800 m² Brückenfläche (inkl. Verbreiterung) 18 Mio. EUR |
Bahnhofsbrücke | nicht erforderlich, da das Lastmodell LMM die Lasten aus Straßenbahnverkehr bereits berücksichtigt. Konstruktiv sind Maßnahmen für die Gleisanlage vorzusehen. | |
Abgesehen von der Bahnhofs- und Moltkebrücke stehen die übrigen Brückenbauwerke kurz- bis mittelfristig zur Sanierung an (siehe VO/2022/11418) und fielen so in einen etwaigen Projektzeitraum der Straßenbahn.
Förderkulisse bei eigener Trasse und Mischverkehr:
Alle Oberbauformen sind förderfähig. Als Mindestbedingung gilt gemäß Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) eine sog. „überwiegende“ Führung auf besonderem Bahnkörper für die GVFG-Förderfähigkeit. Die Gesamtstreckenlänge des erarbeiteten Straßenbahnnetzes beträgt 31,4 Kilometer (siehe VO/2024/13418 Anlage 1 u. a. Kap. 4.3.3 Oberbauformen). Demzufolge müssten mindestens 15,75 Kilometer auf besonderem Bahnkörper bzw. eigener Trasse geführt werden, um die Mindestbedingung der GVFG-Förderfähigkeit zu erfüllen.
Ergebnisse
In Bezug auf die Wirksamkeit erzielt das Verkehrswendeszenario mit +5,48 Prozentpunkten knapp den höchsten Modal Split-Zuwachs, gefolgt vom Straßenbahnszenario mit +5,29. Beim Personenkilometer-Zuwachs liegt das Verkehrswendeszenario ebenfalls leicht vorne.
Bildet man einen Kosten-Wirksamkeits-Quotient (EUR/%-Punkt Modal Split), erlangt man folgende Ergebnisse:
- Straßenbahn mit Förderung: 4,51 Mio. EUR/%-Punkt
- 5. RNVP: 4,93 Mio. EUR/%-Punkt
- Straßenbahn ohne Förderung: 7,31 Mio. EUR/%-Punkt
- Verkehrswendeszenario: 10,64 Mio. EUR/%-Punkt
Im Ergebnis lässt sich feststellen, dass das Straßenbahnszenario mit Förderung am effizientesten ist und fast dieselbe Wirkung wie das Verkehrswendeszenario erreicht – aber zu deutlich geringeren Kosten. Das Zielnetz aus dem 5. RNVP ist wirtschaftlich am günstigsten umsetzbar, hat aber auch die geringste Wirkung. Das Verkehrswendeszenario ist zwar wirksam, aber sehr teuer (hohe Busbetriebskosten).

Abbildung 1: Kosten-Wirksamkeits-Analyse - hier mit dem Modal Split nach Wegen als Wirksamkeitsindikator

Abbildung 2: Kosten-Wirksamkeits-Analyse – hier mit Personen-km im ÖPNV als Wirksamkeitsindikator
Aus den Ergebnissen lassen sich folgende Erkenntnisse bzgl. des ÖPNV in Lübeck gewinnen:
- Die niedrige Kosteneffizienz des Verkehrswendeszenarios zeigt, dass es sehr teuer wird, falls versucht wird, eine maximale Nachfrage mit einem reinen Bussystem zu erreichen. Wirtschaftlich realisierbar wäre wahrscheinlich nur ein „abgespecktes“ Netz mit dann geringeren Nachfragewerten.
- Die vergleichbaren Kosteneffizienz-Werte des 5. RNVP und des Straßenbahnszenarios zeigen, dass die Abschreibungen der Investitionskosten nicht übermäßig ins Gewicht fallen. Die Abschreibungskosten des Straßenbahnszenarios stehen also in einem besseren Verhältnis zur Nachfragewirkung als die Betriebskosten eines sehr stark ausgebauten Bussystems wie dem Verkehrswendeszenario.
- Gemäß Potenzialanalyse Straßenbahn bestehen noch Möglichkeiten, die Nachfrage zu steigern, z. B. durch weitere Linien. Ob dies aber mit der gleichen Kosteneffizienz möglich ist, ist offen.
Einfluss der neuen MiD/MuiL-Daten
Bei der „Mobilität in Deutschland“ (MiD) handelt es sich um eine deutschlandweite Befragung zum Mobilitätsverhalten. Die letzte Befragung aus dem Jahr 2017 war Grundlage für die Modal-Split-Werte, mit denen in den vergangenen Jahren gearbeitet wurde. Aktuell liegt eine neue Befragung vor – „Menschen unterwegs in Lübeck“ (MuiL), die methodisch deckungsgleich ist und neue Ergebnisse liefert.
Mit Blick auf die parallel in die Gremien eingebrachten VO/2025/14410 sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die aktuellen neuen Daten aus der MiD/MuiL 2024 für Lübeck im Zeitraum von 2017 auf 2024 ein Wachstum des Modal Split im ÖPNV von 11,5 % auf 14,7 % aufzeigen.
Hintergrund dürfte hier auch der ab dem Fahrplanwechsel 12/2021 eingeleitete Angebotsausbau im ÖPNV sein, mit dem fortan ein stärkerer Fokus auf die Verkehrswende gelegt wurde:
- 12/2021 wurden Taktlücken auf einer Reihe von Linien geschlossen,
- 12/2022 wurden dann erste Taktharmonisierungen auf einigen Linien durchgeführt, die zu ersten gemeinsamen Überlagerungstakten führten,
- 04/2023 wurde der Nordabschnitt der Linie 40 zum Halbstundentakt verdichtet und
- 12/2023 der Lübeck-Takt auf vier Radialachsen eingeführt, der Abendverkehr durch die (Wieder-)Einführung von Sternfahrten verbessert, der neue Bahnhaltepunkt Moisling inklusive umfangreicher Busverknüpfung in Betrieb genommen und umfangreiche Angebotserweiterungen im SPNV eingeführt.
Insbesondere auf den neuen 10-Minuten-Taktachsen des Lübeck-Takts und bei den Sternfahrten gab es infolge eine deutliche Steigerung der Fahrgastzahlen, was letztlich auch durch die Einführung des Deutschlandtickets unterstützt und beflügelt wurde. Dies bedeutet, dass die Diskussionen im Rahmen des Grundlagenbeschlusses zum VEP, der Straßenbahn und des Verkehrswendeszenarios mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Basis nicht ganz aktueller Zahlen geführt wurden.
Es darf angenommen werden, dass bereits mit den o. g. Maßnahmen und der Einführung des Deutschlandtickets im Jahr 2023 eine Steigerung im Modal Split des ÖPNV in Lübeck zu verzeichnen gewesen ist. Die Auswirkungen des Deutschlandtickets konnten wiederum bei der Prognose der Effekte einer Straßenbahn oder eines Verkehrswendeszenarios nicht einfließen.
Letztlich ist dies allerdings kaum erheblich für die Frage, ob man eine Straßenbahn einführen möchte oder den Busverkehr massiv stärken möchte. Es ist aber eine relevante Erkenntnis in Bezug auf folgende Aspekte:
- Mit den Maßnahmen im ÖPNV der letzten Jahre hat es bereits eine signifikante Erhöhung des Modal Splits des ÖPNV gegeben. Den Basiswert aus der MiD 2017 von 11,5 % für die Berechnungen der Zukunftsszenarien zugrunde zu legen, war daher vermutlich zu niedrig angesetzt.
- Da die Effekte der Straßenbahn und des Verkehrswendeszenarios von einem älteren und geringeren Basiswert ausgegangen sind, ist davon auszugehen, dass deren Effekte (15,4 bzw. 16,0 %) bei einer Neubewertung höher ausfallen würden, z. B. wenn man die aktuellen MiD- und Angebots-Daten im Verkehrsmodell zugrunde legt.
- Somit sind wir sowohl im Status quo als auch bei den beiden Zukunftsszenarien mit hoher Wahrscheinlichkeit weniger weit vom Mindest-Zielwert von 20 % (ÖV Modal Split der Wege) entfernt als angenommen. Diese Werte zu aktualisieren wird allerdings nicht empfohlen, da dies sehr aufwendig wäre und keinen Einfluss auf die Grundfrage des zukünftigen Systems hat, da beide Zukunftsszenarien wahrscheinlich gleichermaßen höhere Werte aufweisen würden.
Die Differenz der Basiswerte (11,5 % und 14,7 %) liegt bei 3,2 %. Würde man diese Differenz auf die Zielwerte der Zukunftsszenarien anlegen, würden diese letztendlich bei 19,2 % (Verkehrswendeszenario) bzw. 18,6 % (Straßenbahn) liegen. Hierbei handelt es sich aber nur um eine grobe Schätzung!
Erforderliche Planungs- und Bauressourcen
Die Stadt Kiel hat eine „Organisationsstudie für die Planung, den Bau und den Betrieb eines hochwertigen ÖPNV-Systems in der Landeshauptstadt Kiel“ (2021) erarbeiten lassen („Organisationsstudie“, abrufbar unter: https://www.kiel.de/de/umwelt_verkehr/_dokumentation_der_weg_zur_kieler_stadtbahn.php). In der Empfehlungsvariante gehen die Autor:innen von einem durchschnittlichen Personalbedarf von insgesamt 34 Personen bis zur Inbetriebnahme der Kieler Stadtbahn aus (S. 39 f.). Für die Planung des neuen hochwertigen ÖPNV-Systems wird ein jährlicher Personalaufwand von durchschnittlich ca. 2,3 Mio. EUR für einen Zeitraum von 3 – 4 Jahren und während der Umsetzung der Baumaßnahmen von durchschnittlich ca. 2,9 Mio. EUR abgeschätzt (S. 41).
Die Stadt Kiel hat gemäß den Veränderungslisten der Stellenpläne für die Haushaltsjahre 2024 und 2025 fünf neue Planstellen in Vollzeit (E13, E13, A11, E11, E10) und zwei neue Planstellen in Teilzeit (E12) im Zusammenhang mit der Planung der Stadtbahn geschaffen.
Diese Werte dienen der Orientierung und sind nicht 1:1 auf Lübeck übertragbar. Auch wenn die beiden Straßenbahnnetze eine vergleichbare Gesamtlänge aufweisen, so hat Lübeck bspw. deutlich mehr betroffene Brücken. Nicht ausblenden darf man in diesem Zusammenhang auch die zunehmend schwieriger werdende Gewinnung von Fachkräften.
Vergleich der Klimaeffekte E-Bussystem/Straßenbahn (Bau und Betrieb)
Die durchschnittlichen Treibhausgasemissionen im Personenverkehr betragen in Deutschland[1] (Bezugsjahr 2023) 50 Gramm (g) pro Personenkilometer (Pkm) für Straßen- und Stadtbahnen sowie 92 g/Pkm für Linienbusse im Nahverkehr (alle Antriebe; Diesel, Elektro, Hybride, Erdgas). Davon entfallen gemäß Umweltbundesamt (2024) 66 g/Pkm auf Elektrobusse und 95 g/Pkm auf Dieselbusse.

Detaillierte Berechnungen über die Treibhausgasemissionen für den Bau der Trassen, die bei der etwaigen Wiedereinführung einer Straßenbahn in Lübeck anfallen würden, liegen in diesem frühen Planungsstadium der Potenzialanalyse nicht vor. Die Errichtung der Straßenbahn-Trassen, deren Unterhaltung sowie deren Entsorgung am Ende ihrer Nutzungsdauer ist mit der Emittierung von Treibhausgasemissionen verbunden. Diese Emissionen würden im Verfahren der standardisierten Bewertung berücksichtigt werden und gingen in die Bewertung der Maßnahme ein, sofern die zuständigen Gremien weitere Planungsschritte beschließen sollten. Das Verfahren der standardisierten Bewertung beruht auf der Annuitätenmethode mit jährlichen Nutzen und Kosten, sodass auch die Treibhausgasemissionen für die Errichtung der Infrastruktur auf Jahresraten umgerechnet würden (BMDV (Hrsg.), 2022: Entwicklung und Fortschreibung der Berechnungsverfahren zur Bewertung von Verkehrswegeinvestitionen des schienengebundenen ÖPNV).
Dittmer et al. (2023) haben „Die Klimabilanz Berliner U-Bahn- und Straßenbahnplanungen“ untersucht und kommen zum Ergebnis, dass sich die beim Neubau der betrachteten Straßenbahn-Trassen freigesetzten Treibhausgasemissionen durch jährliche Einsparungen während des Betriebs nach spätestens 9 ½ Jahren amortisieren würden.
Empfehlung der Verwaltung
Eine wesentliche Erkenntnis aus dem Gutachten ist, dass das Verkehrswendeszenario aufgrund des schlechteren Kosten-Wirksamkeitsverhältnisses im Vergleich zur Straßenbahn eindeutig schlechter abschneidet. Unter diesen Voraussetzungen stellt sich die Frage, ob es in dieser Form weiterverfolgt werden kann. Aber sollte vor diesem Hintergrund die Einführung der Straßenbahn, entgegen der ursprünglichen Einschätzung der Verwaltung, nun doch empfohlen werden?
Dafür spricht, dass auf Basis dieser Erkenntnisse nur mit einer Straßenbahn die ambitionierten Zielwerte von 20 % für den ÖPNV zumindest in greifbare Nähe rücken. Mehr oder gleich viel ÖPNV in einem akzeptablen Verhältnis von Kosten und Nutzen ist nicht möglich.
Dagegen spricht, dass sich die bislang ablehnende Haltung der Verwaltung letztlich nicht auf das Verhältnis von Aufwand und Ertrag bezog. Es bleibt dabei: Die Investitionskosten sind vor dem Hintergrund des derzeit und wahrscheinlich auch in den kommenden Jahren hoch belasteten städtischen Haushalts trotz Förderung sehr hoch (Anteil HL ca. 300 – 400 Mio. EUR) und die zu erwartenden Baustellen werden zur Belastungsprobe werden. Beides stellt ein unkalkulierbares Risiko in Bezug auf die Akzeptanz in der Bevölkerung und damit letztendlich auf die Realisierbarkeit dar.
Nur wenn der Bau der Straßenbahn zeitlich und baulich im Gleichschritt mit den weiteren (epochalen!) Herausforderungen der Brückensanierungen, dem Ausbau der Wärmenetze und der Vervollständigung des Abwasser-Trennsystems laufen würde, können die negativen Auswirkungen des Baus abgemindert werden. In diesem Fall können alle genannten Maßnahmen von der Straßenbahn-Förderung profitieren und dadurch den städtischen Haushalt weniger stark belasten. Angesichts der zeitlichen Zwänge und komplexen Abstimmungen wird dies allerdings als extrem komplex, wenn nicht sogar als unrealistisch eingeschätzt.
Dringend erforderlich ist nun eine möglichst klare Positionierung aller entscheidenden Akteure. Zum einen ist dies für den weiteren VEP-Prozess erforderlich – so lange keine anderslautenden Beschlüsse gefasst werden, wird die Verwaltung hier gemäß dem formulierten Beschlussvorschlag in VO/2024/13418 zunächst ohne Straßenbahn weiterplanen. Zum anderen steht in Folge des VEP und auch unabhängig davon (Stichwort Ausbau Wärmenetze) kurz- bis mittelfristig immer wieder die Frage im Raum, welche Anforderungen bei Investitionen in die Infrastruktur zu erfüllen sind. Bei Unklarheit beim Thema Straßenbahn wird auch hier wahrscheinlich im Zweifel immer ohne Straßenbahn geplant/gebaut werden. Ein Beispiel für drohende Doppelinvestitionen stellen bspw. Radschnellwege dar. Mit großer Wahrscheinlichkeit können diese aus Platzgründen nicht im gleichen Straßenraum geführt werden wie eine Straßenbahn.
Strategie zur Erreichung der verkehrspolitischen Ziele
Sollte die Straßenbahn nicht weiterverfolgt werden, stellt sich die Frage, wie mit dem Grundlagenbeschluss zum VEP umgegangen werden soll. Auch mit einer Straßenbahn ist der Zielwert von 20 % wahrscheinlich nicht zu erreichen. Ohne Straßenbahn und ohne Verkehrswendeszenario noch weniger. Die Potenziale anderer ÖPNV-Systeme wie das BRT werden in der VO/2025/14411 dargestellt, sind jedoch in Lübeck nicht zu empfehlen.
Grundsätzlich kann dies mit dem Grundlagenbeschluss in Einklang gebracht werden, da dieser flexibel ausgelegt ist, so lange für den Umweltverbund insgesamt 70 % erreicht werden. Wenn das Votum gegen die Straßenbahn ausfällt, wird im Rahmen des VEP wie folgt vorgegangen:
- Auch ohne Straßenbahn und Verkehrswendeszenario soll der ÖPNV gestärkt werden. Der Weg, der im Rahmen des 5. RNVP eingeschlagen wurde, wird weitergeführt werden und es werden gezielt Angebotsausweitungen im Busnetz vorgenommen, die über ein besonders gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis verfügen. Mehrere Ansätze aus dem Verkehrswendeszenario könnten hier eine Rolle spielen.
Im Abgleich zwischen RNVP-Netz und Verkehrswendeszenario werden die Bustrassen identifiziert, auf denen Busbeschleunigung zielführend und erforderlich ist. Diese werden im VEP festgelegt und mit konkreten Maßnahmen hinterlegt.
- Auch die Implementierung einer Regio-S-Bahn dient der nachhaltigen Stärkung des ÖPNV insbesondere im Stadt-Umland-Verkehr. Sie weist starke Wachstumspotentiale auf und wird seitens der HL angestrebt. Hier muss allerdings klargestellt werden, dass die HL dabei von Entscheidungen auf Landesebene abhängig ist, von wo aber in der Vergangenheit stets positive Signale ausgegangen sind. Auch ist zu konstatieren, dass Straßenbahn und Regio-S-Bahn keine alternativen Ansätze für die Verkehrswende sind, sondern unterschiedliche Verkehrsangebote darstellen. Das bedeutet, dass die Regio-S-Bahn in jedem Fall weiterverfolgt wird – mit oder ohne Straßenbahn.
- Wenn der ÖPNV die Zielmarke von 20 % nicht erreichen kann, sind deutlich höhere Anstrengung und zusätzliche Maßnahmen beim Ausbau des Radverkehrs als bisher vorgesehen erforderlich, um dies zu kompensieren.