Ein zukunftsfester Ausbau sowohl der Schieneninfrastruktur als auch des Angebots auf der Schiene in der Region Lübeck ist nicht nur für die Hansestadt Lübeck ein Anliegen mit hoher Priorität. Die Hansestadt Lübeck ist überzeugt davon, dass die Realisierung der Festen Fehmarnbeltquerung (FFBQ) mit deren Schienenhinterlandanbindung der wirtschaftlichen Entwicklung der gesamten Region zu Gute kommen kann und kommen sollte. Lübeck begrüßt ausdrücklich die Chancen, Möglichkeiten und Potentiale, die sich aus der neuen Anbindung an den internationalen Schienenverkehr bieten und setzt sich in diesem Sinne auch für einen attraktiven SPNV auf der Achse Lübeck – Ostholstein – Lolland – Nykøbing Falster ein. Zurzeit besteht aus Sicht der Hansestadt Lübeck noch keine vollständige Planungssicherheit für eine Verlängerung der geplanten Regionalexpress-Linie Lübeck – Burg auf Fehmarn durch den neuen Tunnel nach Dänemark. Ferner gibt es keine festen Aussagen über eine zukünftige Taktung dieser Verkehre.
Es ist z. Zt. eine offene Frage, ob diese Verkehre überhaupt bzw. womöglich lediglich im Zweistundentakt betrieben werden.
Die mit der FFBQ und dem neuen Fehmarnsundtunnel entstehende durchgängige Schienenverbindung auf deutscher und dänischer Seite zwischen Lübeck, Ostholstein und Nykøbing könnte und sollte ein Schlüsselprojekt für den grenzüberschreitenden Schienenpersonennahverkehr (SPNV) in Nordeuropa werden. Die umfassenden Zukunftsinvestitionen in die Infrastruktur schaffen die Grundlage für eine verbesserte Vernetzung und Anbindung in der Fehmarnbeltregion. Die Hansestadt Lübeck möchte sich daher als aktiver Treiber eines attraktiven, mindestens stündlich angebotenen SPNV auf der Fehmarnbeltquerung verstanden wissen. Das entspricht gleichzeitig dem europäischen Integrationsgedanken über Ländergrenzen hinweg. Gar kein SPNV oder lediglich ein Zweistundentakt auf dieser Strecke zwischen der Hansestadt Lübeck via Ostholstein und Nykøbing würde diesem Anspruch nicht genügen.
Die grenzüberschreitenden Fahrgastpotenziale sind derzeit noch im „Dornröschenschlaf“ und der Status Quo kann kein Anhaltspunkt für zukünftige Entwicklungen sein:
- Die zukünftigen Fahrgastzahlen in der Beltregion lassen sich weder aus einer historischen Kontinuität noch aus vergleichbaren Vorbildern in Europa ableiten. Zwar gibt es bereits heute erhebliche Pendler:innen-Bewegungen zwischen Deutschland und Dänemark, insbesondere im Zuge der Arbeitsmigration aus Schleswig-Holstein nach Jütland. Laut dem Bericht „The Labour Market Potential in the Fehmarn Belt Region“ des Fehmarn Belt Business Councils (FBBC) pendeln derzeit etwa 13.000 Menschen grenzüberschreitend, wobei jedoch ein großer Teil der Pendlerströme über die deutsch-dänische Grenze bei Flensburg verläuft.[1] Aus historischer Sicht handelt es sich bei der deutsch-dänischen Grenzregion bei Flensburg jedoch um einen gänzlich anderen Raum als die Fehmarnbeltregion. Es ist davon auszugehen, dass der Blick auf die erheblichen Potenziale eines grenzüberschreitenden Zusammenwachsens durch einen Status quo verstellt wurde, der vor allem von der Fährlinie Puttgarden – Rødby geprägt ist.
- In Ermangelung geeigneter Ticket-Angebote für Pendler:innen auf der Fährlinie Puttgarden – Rødby (kein Angebot für ein Abo-/Monatsticket zur regelmäßigen Nutzung, zu geringe Kontingente an vergünstigten Überfahrten) dürfte ein nennenswerter grenzüberschreitender Pendelverkehr am Fehmarnbelt zur Zeit kaum vorhanden sein. Die derzeitige Fährverbindung stellt somit trotz vergleichsweise dichtem Takt (alle 30 min) aufgrund fehlender Tarifoptionen einerseits, aber auch durch die langen Reisezeiten (45 min), eine erhebliche Barriere für grenzüberschreitendes Pendeln dar. Ein grenzüberschreitender Arbeitsmarkt kann sich entsprechend erst gar nicht ausbilden, da tägliche Pendler:innen derzeit für jede einzelne Überfahrt hohe Kosten tragen müssten, was potenzielle grenzüberschreitende Arbeitnehmer:innen erheblich abschrecken dürfte.
- Die Fährpreise der Fährlinie Puttgarden – Rødby waren und sind vor allem auf Tourist:innen, Gelegenheitsreisende und den Güterverkehr ausgerichtet, während für regelmäßigen Pendler:innen über den Fehmarnbelt keine vergünstigten Tarife angeboten werden. Ein Gutachten im Auftrage des dänischen Verkehrsministeriums von 2019 zeigt zudem auf, dass die Preispolitik auf der Fährroute über den Fehmarnbelt erheblich von der Preispolitik auf vergleichbaren Routen abweicht. So sind die Preise auf der Route Puttgarden – Rødby mehr als doppelt so hoch wie auf von der Charakteristik her ähnlichen Route Calais – Dover[2], und bei spontanen Fahrten ohne Vorausbuchung sogar bis um das Vierfache teurer.[3] Auch innerdänische Fährverbindungen wie von Sjælands Odde nach Aarhus überbrücken erheblich größere Distanzen – bieten dabei aber deutlich niedrigere Preise. Das Gutachten zeigt zudem die Barrierewirkung der Beltquerung per Fähre auf: eine durchschnittliche Reise mit dem Auto von Kopenhagen nach Hamburg ist unter Einbeziehung aller Kosten umgerechnet nur ca. 20 Euro günstiger als der ums Vielfache längere Weg über die Große-Belt-Brücke, Fünen und Jütland.
- Laut den Gutachter:innen des eingangs erwähnten FBBC-Berichts könnte die Zahl der Pendler:innen nach der Fertigstellung des Fehmarnbelt-Tunnels erheblich steigen, da die reduzierten Reisezeiten und direkten Verbindungen neue Arbeitsmarktchancen schaffen. Methodisch untermauern die Gutachter:innen dies mit von ihnen erarbeiteten Szenarien zur Verkehrs- und Arbeitsmarktentwicklung nach Eröffnung der FFBQ. Die Gutachter:innen analysierten zudem die Integration anderer grenzüberschreitender Arbeitsmärkte, insbesondere die Entwicklung in der Öresundregion.
- Neben dem Aspekt des grenzüberschreitenden Pendelverkehrs und verstärkter wirtschaftlicher Zusammenarbeit beiderseits des Belts gibt es mit dem Tourismus einen weiteren Faktor, der die potentiellen Fahrgastzahlen entsprechend beeinflusst: Die Region Ostholstein einschließlich Lübecker Bucht und der Hansestadt Lübeck sowie die dänischen Inseln Lolland und Falster sind bedeutende Tourismusziele. Eine attraktive Taktfrequenz könnte sowohl deutsche als auch dänische Tourist:innen dazu motivieren, klimafreundliche Zugverbindungen anstelle des eigenen PKW zu nutzen.
Die hohen Investitionssummen der FFBQ rechtfertigen nicht, dass Ostholstein und Lübeck lediglich einen Zweistundentakt nach Dänemark erhalten:
- Die Baukosten für den Fehmarnbelttunnel belaufen sich auf mehr als 7 Milliarden EUR, zusätzlich kommen erhebliche Investitionen in die Schieneninfrastruktur in Form von Aus- und Neubaustrecken (sowie den Fehmarnsundtunnel) auf beiden Seiten der Grenze hinzu.
- Ein Zweistundentakt könnte die potenzielle Nutzung der Strecke erheblich beschränken, da unattraktive Taktzeiten die Akzeptanz für den SPNV verringern. Aber gerade die Taktung ist essentiell, um als relevantes Verkehrsmittel in der Region Wahrnehmung und Akzeptanz zu finden. Ein attraktives SPNV-Angebot könnte dagegen dazu beitragen, den Straßenverkehr zu reduzieren.
Die Öresundverbindung könnte ein Vorbild für die Fehmarnbelt-Route sein:
- Die Öresundverbindung zwischen Kopenhagen und Malmö ist ein erfolgreiches Beispiel für grenzüberschreitenden SPNV. Trotz Sprachbarriere und unterschiedlicher Bahntechnik wird hier ein enger Takt (alle 20 Minuten) im Öresundzug-Angebot realisiert.
- Seit der Einführung des Öresundzuges 2000 sind die Fahrgastzahlen kontinuierlich gestiegen. Laut der Öresundsbro Konsortiet wurden bereits 2019 über 12 Mio. Fahrgäste über die Verbindung befördert, während es zur Eröffnung noch 2,9 Mio. waren. Die dichte Taktfrequenz, die kurzen Reisezeiten sowie grenzübergreifendes Ticketing haben dazu beigetragen, die Verbindung sowohl für Pendler:innen als auch für Gelegenheitsreisende sowie Tourist:innen attraktiv zu machen.
- Der Öresundzug zeigt, dass ein dichter Takt entscheidend für die Etablierung eines erfolgreichen grenzüberschreitenden Nahverkehrs ist. Auch wenn die Bevölkerungsdichte im Vergleichsfall Fehmarnbelt eine andere ist (und diese sicherlich auch keinen 20-Minuten-Takt erfordert), kann die Öresundverbindung schon auch ein Vorbild für den Fehmarnbelt-Korridor sein im Hinblick auf die grundsätzlich mögliche Verlagerung von Verkehr auf die Schiene sowie die grenzüberschreitende Arbeitsmarktintegration. Denn die Öresundverbindung hat zu einem verstärkten wirtschaftlichen und kulturellen Austausch zwischen Dänemark und Schweden geführt. Ähnliche Synergien könnten auf der Fehmarnbelt-Route entstehen.
Das dänische „Rote-Teppich-Programm“ und ein möglicher neuer Industriepark auf Lolland könnten das Potential eines grenzüberschreitenden SPNV weiter stärken:
- Mit dem „Roten-Teppich-Programm“ für Grüne Technologien verfolgt Dänemark z. Zt. eine ambitionierte Ansiedlungsstrategie für Zukunftsbranchen, die in fünf großflächigen Industrieparks umgesetzt werden soll. Innerhalb dieser Parks sollen Genehmigungserfordernisse für Industriebetriebe verringert werden. Hierbei handelt es sich um einen parteiübergreifenden Konsens vor dem Hintergrund wachsender globaler Unsicherheiten und einer damit einhergehenden strategischen Rückeinbettung von Wertschöpfungsketten innerhalb Europas.
- Die Kommunen Lolland und Guldborgsund haben sich um den Zuschlag für einen dieser Parks beworben; die Entscheidung soll noch in diesem Jahr erfolgen. Es besteht in Dänemark Konsens darüber, dass die Region struktureller Förderung bedarf.
- Die Bewerbung umfasst insgesamt 1.000 Hektar Gewerbe- und Industrieareal auf Flächen, die direkt vom nördlichen Tunnelende bis zum neuen Bahnhof Holeby reichen würden, neben der Tunnelfabrik z. B. für Industrie- und Gewerbebetriebe aus den Bereichen Windenergie, Offshore-Technik/-Servicedienstleistungen, CCS-Technologie).
- Sollte die Etablierung des Industrieparks bei Rødby erfolgreich sein, stärkt dies noch einmal deutlich das Potential für die Nachfrage nach einem zukünftigen SPNV.
Nicht unerwähnt sollte an dieser Stelle sein, dass auch auf deutscher Seite in der Fehmarnbeltregion neue Gewerbegebiete geschaffen werden (z. B. Semiramis in Lübeck, Unternehmenspark Hansebelt bei Gremersdorf) und sich weitere in der Planung befinden. Hinzu kommt, dass auch bestehende Unternehmen von einem SPNV profitieren würden, indem hierdurch ein funktionierender Arbeitsmarkt befördert wird.
Ein häufigerer Takt unterstützt den europäischen Gedanken, die Hochschulentwicklung und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit:
- Häufigere Zugverbindungen fördern den interkulturellen Austausch und stärken das Zusammenwachsen der Regionen diesseits und jenseits des Belts.
- Ein attraktives SPNV-Angebot würde den Hochschul- und Wissenschaftssektor in der Region stärken und neue Möglichkeiten eröffnen, indem z. B. die Lübecker Hochschulen für Studierende beiderseits des Belts schneller erreichbar sind und die Möglichkeit befördern, in der Region wissenschaftliche Einrichtungen anzusiedeln. Ebenso würde hierdurch eine Verzahnung der Bildungslandschaft z.B. in der beruflichen Qualifikation erleichert werden.
- Ein attraktives SPNV-Angebot kann dazu beitragen, den Straßenverkehr zu reduzieren und so die Klimaziele der EU zu unterstützen.
- Die Strecke ist Teil des transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN-V) und sollte auch mit einem modernen, frequentierten SPNV-Angebot ihrer Rolle gerecht werden.
Fazit:
Die Zukunft des grenzüberschreitenden SPNV auf der Achse Lübeck – Ostholstein – Lolland – Nyköbing erfordert ein Angebot, das den hohen Investitionen und den europäischen Zielen gerecht wird. Ein dichter, mindestens stündlicher Takt ist unverzichtbar, um die Potentiale der neuen Infrastruktur voll auszuschöpfen und einen nachhaltigen Beitrag zur europäischen Integration zu leisten.
Daher fordert die Hansestadt Lübeck die unverzügliche Aufnahme von Planungen für einen grenzüberschreitenden SPNV zw. Nykøbing/Falster, Ostholstein und der Hansestadt Lübeck mit dem Ziel einer Aufnahme des Betriebs mit Eröffnung des FFBQ. Dazu gehört die:
- Einführung eines mindestens stündlichen Takts im grenzüberschreitenden SPNV: Die Strecke sollte mindestens stündlich bedient werden, um die Bedürfnisse von Pendlern, Touristen und der regionalen Wirtschaft zu erfüllen und ein
- attraktives grenzüberschreitendes Ticketing: Einführung eines speziellen Fehmarnbelt-Tickets, das sowohl als Tageskarte als auch im Monatsabo verfügbar ist. Denn: Der SPNV muss von Anfang an faire und attraktive Tarifstrukturen bieten, damit Pendler:innen nicht durch hohe Kosten abgeschreckt werden und damit eine Barriere in tariflicher Sicht entstünde. Noch besser wäre das Schaffen tariflicher Brückenköpfe: Der dänische Tarif sollte bis Lübeck gelten, der Tarif des Deutschlandtickets bis Nyköbing, mit einer Überlappung der Tarife, um die Nutzung des SPNV über die Grenze hinweg zu erleichtern.
Die Hansestadt Lübeck wird sich auf verschiedenen Ebenen mit Nachdruck für diese Ziele stark machen.