1. Hintergrund
Auf Basis der »Washingtoner Prinzipien« von 1998 verpflichteten sich die Bundesregierung, die Länder und die kommunalen Spitzenverbände 1999 in der sogenannten »Gemeinsamen Erklärung« darauf hinzuwirken, NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter zurückzugeben. Die Erklärung ist eine Selbstverpflichtung ohne rechtliche, jedoch mit hoher moralischer und politischer Verbindlichkeit.
2003 wurde die sogenannte »Beratende Kommission« gegründet, um bei Differenzen zwischen Anspruchstellenden und Kulturgut bewahrenden Einrichtungen zu vermitteln (Mediationsprinzip). Auch ihre Empfehlungen haben keinen rechtsverbindlichen Charakter und sind nicht rechtlich überprüfbar (»soft law«).
Bereits im Koalitionsvertrag von 2021 hatte man sich auf die Weiterentwicklung der Beratenden Kommission verständigt. Im Rahmen des 22. Kulturpolitischen Spitzengesprächs am 26. März 2025 haben Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände durch Unterzeichnung eines gemeinsamen Verwaltungsabkommens nun die Einrichtung einer Schiedsgerichtsbarkeit NS-Raubgut in Kraft gesetzt (Anlage 2).
Das Schiedsgericht ist ein privates Gericht, welches in der Zivilprozessordnung (§§ 1029-1066 ZPO) ausdrücklich als Alternative zu staatlichen Gerichten erwähnt wird. Mit Einrichtung einer solchen Schiedsgerichtsbarkeit wird die Rechtsverbindlichkeit im Verfahren gewährleistet und das bisherige problematische Empfehlungsprinzip beseitigt. So wird die Position der Opfer und ihrer Nachfahren gestärkt. In der Folge wird die »Beratende Kommission« durch die Schiedsgerichtsbarkeit abgelöst.
2. »Stehendes Angebot« der Kommunen
Vor diesem Hintergrund hat der Deutsche Städtetag seinen Mitgliedskommunen die Abgabe »stehender Angebote« zum Abschluss von Schiedsvereinbarungen dringend angeraten. Schiedsvereinbarungen kommen durch den Abschluss eines Schiedsvertrages zustande. Wie jeder Vertrag wird auch ein Schiedsvertrag durch Angebot und Annahme geschlossen. Dabei kann eine potentielle Partei eines möglichen Schiedsverfahrens ein sogenanntes »stehendes Angebot« auf Abschluss eines Schiedsvertrages abgeben, dessen Annahme jederzeit durch eine einseitige Erklärung erfolgen kann. Durch die Abgabe eines »stehenden Angebotes« wird folglich die einseitige Anrufbarkeit des Schiedsgerichts ermöglicht.
Das »stehende Angebot« ist verbindlich und richtet sich an alle nach dem Verwaltungsabkommen Antragsberechtigten. Mit ihm erteilen die Kommunen die uneingeschränkte Zustimmung, ein Verfahren der gemeinsamen Schiedsgerichtsbarkeit gemäß dem Verwaltungsabkommen zu führen und unter Ausschluss des ordentlichen Rechtsweges endgültig durch das Schiedsgericht NS-Raubgut entscheiden zu lassen. Mit Annahme des Angebots wird auf der Basis der Musterschiedsvereinbarung zum Verwaltungsabkommen (Anlage 5) eine Schiedsvereinbarung herbeigeführt.
2. Organisation und Ablauf des Schiedsverfahrens
Die Schiedsstelle wird organisatorisch beim Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste (DZK) angesiedelt. Sitz der Schiedsstelle wird in Berlin sein.
Für die Schiedsgerichtsbarkeit wird ein paritätisch besetztes Schiedsrichterverzeichnis mit 36 Mitgliedern, davon 22 Jurist:innen mit Befähigung zum Richteramt oder einer durch geeignete Nachweise feststellbaren vergleichbaren internationalen juristischen Qualifikation sowie 14 Personen mit historischer oder kunsthistorischer Expertise im Bereich Provenienzforschung zu NS-Raubgut.
Das Schiedsgericht setzt sich im Schlichtungsfall aus fünf Schiedsrichter:innen zusammen, wobei jede Partei je zwei benennt und der fünfte Sitz – der Vorsitz – durch die vier benannten Schiedsrichter:innen ausgewählt wird. Es arbeitet auf der Basis einer eigenen Schiedsordnung (Anlage 3). Es fällt seine Entscheidungen auf der Grundlage eines umfassenden und verbindlichen Bewertungsrahmens (Anlage 4).
Parteien des Verfahrens sind die oder der Antragsberechtigte (Opferseite) und die andere Partei (in der Regel Kulturgut bewahrende Einrichtung bzw. deren Träger). Die Opferseite soll das Schiedsgericht erst nach Durchführung eines erfolglosen Vorverfahrens anrufen, in dem sich der/die Antragsberechtigte mit ihrem/seinem Begehren zunächst an die Kulturgut bewahrende Einrichtung wenden muss. Erst wenn keine gütliche Einigung möglich ist, kommt es zu einem Schiedsverfahren. Für das Vorverfahren stehen den beiden Parteien 20 Monate zur Verfügung.
Es ist vorgesehen, dass das neue Verfahren nach zehn ergangenen Schiedssprüchen bzw. spätestens drei Jahren evaluiert wird.
3. Weitere rechtliche Grundlagen
Gesetzliche Regelungen zur Schiedsgerichtsbarkeit enthalten die §§ 1029-1066 ZPO. Nach § 1051 Absatz 3 ZPO ist es möglich, dass ein Schiedsgericht Billigkeitsentscheidungen trifft. So sollen faire und gerechte Lösungen im Sinne der Washingtoner Prinzipien getroffen werden. Einmal getroffene schiedsgerichtliche Entscheidungen sind vor den staatlichen Gerichten nur äußerst eingeschränkt überprüfbar.
Da gemäß § 1055 ZPO der vom Schiedsgericht zu treffende Schiedsspruch unter den Parteien die Wirkungen eines rechtskräftigen gerichtlichen Urteils entfaltet, ist es künftig möglich, über das Schiedsverfahren rechtsverbindliche und vollstreckbare Entscheidung herbeizuführen. Im Vergleich zur bisherigen »Beratenden Kommission« ergibt sich hierdurch eine erheblich ausgeweitete Bedeutsamkeit.
Dabei ist bei Entscheidungen des Schiedsgerichts zu Gunsten der antragstellenden Partei für eine gerechte und faire Lösung die Rückgabe des Kulturguts vorrangig. Lösungen, die unmittelbare Geldzahlungen beinhalten, sind aus haushaltsrechtlichen Gründen grundsätzlich ausgeschlossen und können von den Parteien auch vor einem Schiedsgericht nur im Rahmen einer gütlichen Einigung herbeigeführt werden.
4. Finanzielle Auswirkungen
Die Abgabe eines »stehenden Angebotes« hat keine finanziellen Auswirkungen. Die laufenden Kosten der Schiedsgerichtsbarkeit tragen Bund und Länder.