Ausgangslage
Zwischen der Hansestadt Lübeck und den Nachbarkreisen in Schleswig-Holstein gilt im ÖPNV der Schleswig-Holstein-Tarif. Dabei sind Fahrten mit einer durchgehenden Fahrkarte sowie Umstiege zwischen den verschiedenen Verkehrsmitteln (Bus, Nahverkehrszug) möglich.
In Richtung des Landkreises Nordwestmecklenburg in Mecklenburg-Vorpommern stellt sich die Situation z. T. anders dar, wobei hier organisatorisch zwischen dem Stadtverkehr Lübeck und dem Regionalverkehr in Aufgabenträgerschaft des Landkreis Nordwestmecklenburg zu unterscheiden ist.
Die städtischen Linien 5 und 12 fahren mit mehreren Fahrten nach Herrnburg (Gemeinde Lüdersdorf) und Selmsdorf. Diese Fahrten können dabei mit Fahrkarten des Schleswig-Holstein-Tarifs genutzt werden. Für Fahrten aus dem Lübecker Stadtgebiet in diese beiden Orte gilt jeweils Preisstufe 3 (Preis für eine Einzelfahrkarte: 3,70 €).
Daneben verkehren in Aufgabenträgerschaft des Landkreis Nordwestmecklenburg mehrere Regionalverkehrslinien des Verkehrsunternehmens NAHBUS Nordwestmecklenburg GmbH (NAHBUS) zwischen verschiedenen Gemeinden des Landkreises und der Hansestadt Lübeck. Neben Einzelfahrten im Schülerverkehr auf den Linien 300, 301 und 390, die überwiegend nur bis zu den Haltestellen Eichholz und Schlutup Markt verkehren, spielt hier im Wesentlichen die Linie 335 eine größere Rolle, die Lübeck ZOB/Hauptbahnhof über Schlutup mit Selmsdorf, Dassow und Grevesmühlen verbindet. Die Linie verkehrt montags bis freitags in einem Zwei-Stunden-Takt, der zur Hauptverkehrszeit auf ein stündliches Angebot verdichtet wird. Innerhalb Lübecks fährt die Linie 335 beschleunigt und hält nur an wenigen Unterwegsstationen. So benötigt die Linie 335 zwischen Schlutup Markt und dem Stadttheater 18 Minuten (Stadtbuslinie 11 = 30 Minuten) und zum ZOB/Hauptbahnhof 25 Minuten (Stadtbuslinie 11 = 38 Minuten).
Auf den Fahrten der NAHBUS gilt der Schleswig-Holstein-Tarif derzeit jedoch nicht. Dies ist in mehreren Hinsichten nachteilig: Fahrgäste aus Nordwestmecklenburg können mit den Bussen der NAHBUS zwar nach Lübeck fahren, aber dort mit ihrer Fahrkarte im NAHBUS-Tarif nicht in die Stadtbusse, weitere Regionalbusse oder die Nahverkehrszüge umsteigen. Betroffene Fahrgäste müssen sich also zusätzlich eine weitere Fahrkarte im Schleswig-Holstein-Tarif kaufen.
Gleichzeitig wurde – außer für Fahrgäste mit dem Deutschlandticket – innerhalb Lübecks lange ein sogenanntes Beförderungsverbot kommuniziert. Hintergrund hierfür ist die Tarifunterlaufung, da der NAHBUS-Tarif erheblich günstiger als der Schleswig-Holstein-Tarif ist. Eine theoretisch denkbare Einzelfahrt zwischen Lübeck ZOB/Hauptbahnhof und Schlutup Markt kostet so im NAHBUS-Tarif lediglich 2,10 €, während die Fahrt mit den Stadtbuslinien 3,00 € kostet.
Die daraus resultierende Nicht-Nutzbarkeit der Linie 335 innerhalb Lübecks ist insbesondere für Fahrgäste aus Schlutup unglücklich. Die Linie stellt die schnellste Verbindung zwischen Schlutup und Innenstadt/ZOB dar. Dementsprechend sieht auch der aktuell gültige 4. Regionale Nahverkehrsplan (RNVP) die Prüfung einer tariflichen Kooperation vor. Diese sollte möglichst kostenneutral für die Hansestadt Lübeck ausgestaltet sein.
Tarifkonzept
Die NSH Nahverkehr Schleswig-Holstein GmbH als tarifverantwortliche Stelle für den Schleswig-Holstein-Tarif hat ein Konzept (Anlage 1) vorgelegt, das in Abstimmung mit den Aufgabenträgern Hansestadt Lübeck und Nordwestmecklenburg sowie den beiden betroffenen Verkehrsunternehmen erarbeitet wurde. Eine Umsetzung ist – vorbehaltlich der etwaig notwendig werdenden Zustimmung der Genehmigungsbehörde auf Grundlage des § 39 PBefG – ab dem 1. April 2024 möglich, wozu ein Beschluss der Bürgerschaft bis Ende November notwendig ist. Der nächstmögliche Umsetzungstermin wäre der 1. August 2024.
Das Konzept sieht vor, dass die heutigen Tarifzonen Herrnburg (9020) bzw. Selmsdorf (9030) den Lübecker Tarifzonen (sogenannte „6000er-Zonen“) zugeordnet werden. Selmsdorf würde in die Zone 6001 (Schlutup) integriert und Herrnburg als neue Zone 6008 dem Netz hinzugefügt werden. Damit würde dann für Fahrten Selmsdorf – Lübeck Kernzone (Zone 6000) und Herrnburg – Lübeck Kernzone Preisstufe 2 Anwendung finden. Damit können auch Fahrgäste mit Zeitkarten einer der anderen „6000er-Zonen“ mit ihrer Fahrkarte nach Herrnburg und Selmsdorf fahren.
In den Bussen der NAHBUS soll ein eingeschränktes Sortiment des Schleswig-Holstein-Tarifs vertrieben werden. Hierzu zählen die Fahrkarten zu allen Zielen in der „Region Lübeck“, also neben den Haltestellen in Lübeck auch nach Stockelsdorf, Bad Schwartau und Sereetz.
Durch die Absenkung des Fahrpreises von aktuell Preisstufe 3 auf Preisstufe 2 für Fahrten mit Bussen der SWL mobil kann die im RNVP vorgesehene Kostenneutralität für die Hansestadt Lübeck bei der Umsetzung der Tarifmaßnahmen nicht vollständig erreicht werden. Die zusätzlich zu beachtenden Verpflichtungen und die entsprechenden Ausgleichsleistungen werden im Rahmen des bestehenden öDA vorgenommen und sind als gemeinwirtschaftliche Verpflichtung bereits dessen Bestandteil.
Eine Anwendung der Preisstufe 3 für die integrierten Verkehre ist wegen des ansonsten besonders hohen Preissprungs zwischen dem bestehenden NAHBUS-Tarif und dem Schleswig-Holstein-Tarif nicht sinnvoll. Der Preis für eine Einzelfahrkarte zwischen Selmsdorf und Lübeck wäre von 2,10 € im NAHBUS-Tarif auf 3,70 € im Schleswig-Holstein-Tarif gestiegen. Zudem hätte sich dann erneut die Frage der Tarifunterlaufung gestellt, da eine Einzelfahrkarte zwischen Lübeck und Dassow (dem nächsten Ort in Nordwestmecklenburg) im NAHBUS-Tarif 3,20 € kostet.
Eine genaue Prognose der durch die Absenkung des Fahrpreises auf den Linien 5 und 12 entstehenden Mindereinnahmen ist im Vorfeld nicht möglich. In den beidenSegmenten Bartarif (Verkauf in den Bussen, also vor allem Einzelfahrkarten, 4er-Karten etc.) und Zeitkarten (Monatskarten, Abonnements etc.) wurden seitens SWL mobil auf Basis der Verkäufe von 2019 inkl. der jährlichen SH-Tarifanpassungen bis 2023 jährliche Mindereinnahmen in Höhe von ca. 18.000 € geschätzt. Bei den Zeitkarten ist davon auszugehen, dass ein überwiegender Teil der Kunden inzwischen das Deutschlandticket benutzt, das deutlich günstiger ist als die Monatskarten bzw. Abo-Monatskarten im Schleswig-Holstein-Tarif.
Diesen verhältnismäßig geringen Kosten steht aber ein deutlicher Nutzen entgegen. Zum einen steigt die Attraktivität der Busverbindung für Fahrgäste aus Nordwestmecklenburg, wodurch die Nutzung des ÖPNV in dieser Relation gesteigert werden kann.
Zum anderen profitieren insbesondere Fahrgäste aus dem Stadtteil Schlutup erheblich, da ihnen ein weiteres, dazu noch beschleunigtes, Fahrtangebot in Richtung Innenstadt zur Verfügung steht, denn sie dürften in Zukunft auch die Fahrzeuge des NAHBUS nutzen. Ab dem Fahrplanwechsel im Dezember 2023 verkehrt die Stadtbuslinie 11 (Moisling – Buntekuh – Innenstadt – Kaufhof – Schlutup) zudem in einer angepassten Zeitlage und einem 10-20-Minuten-Takt (Abfahrten ab Schlutup Markt in Richtung Innenstadt zu den Minuten 6, 16, 36 und 46). Die Abfahrten der Linie 335 zur Minute 28 ergänzen diesen Takt also weiter.
Aufgrund des hohen Nutzens für Relationen im Gebiet der Hansestadt Lübeck ist es an dieser Stelle auch als sinnvoll einzuschätzen, dass die entstehenden Mindereinnahmen aus dem bestehenden ÖPNV-Haushalt der Hansestadt Lübeck finanziert werden, zumal derzeit kein Ausgleich für die Betriebskosten der Linie 335 erfolgt. Es ist somit in gewisser Weise auch als Punkt der Fairness in der Metropolregion Hamburg anzusehen, dass wenigstens der anfallende Kostenbetrag zunächst durch die Hansestadt übernommen wird.
Aus Vereinfachungsgründen im Prozess wird auf eine Einnahmeaufteilung zwischen NAHBUS und SWL mobil vorläufig verzichtet. Das heißt, dass die jeweiligen Verkehrsunternehmen alle erzielten Einnahmen behalten. Die sich bei SWL mobil ergebenden Mindereinnahmen werden von der Hansestadt Lübeck getragen. Hierbei wird – zunächst für zwei Jahre – der oben abgeschätzte Pauschalbetrag von 18.000 €/a angesetzt. Nach der Umsetzung der Tarifmaßnahme werden die tatsächlichen Effekte ermittelt, sodass der Ausgleichsbetrag sich dann ggf. ändert. Ein Einstieg in ein vollständiges Einnahmeaufteilungsverfahren wäre zu diesem Zeitpunkt dann ebenfalls denkbar. Der Pauschalbetrag kann aus den bestehenden Mitteln des ÖPNV-Haushalts getragen werden.
Ausblick
Im 5. Regionalen Nahverkehrsplan, der sich derzeit in der Erstellung befindet, sollen auch die Regionalverkehre vertieft behandelt werden. Im Zuge der Netzgestaltung soll hierbei die Frage geklärt werden, ob die Regionalbusse – wie heute überwiegend – als Schnellbusse die außenliegenden Stadtteile mit der Innenstadt und dem ZOB verbinden oder ob die Regionalbusse in die zu bildenden Taktachsen integriert werden sollen.
Sofern das ÖPNV-Angebot zwischen der Hansestadt Lübeck und dem Landkreis Nordwestmecklenburg weiter ergänzt wird (z. B. wird in der dortigen Kommunalpolitik eine Verlängerung der Stadtbuslinie 5 von Herrnburg in den Ortsteil Wahrsow diskutiert), ist eine weitere Anpassung des Tarifkonzepts notwendig.