Die Antwort VO 2019/08500 auf die Anfrage der BM Antje Jansen "Warmes Mittagessen an den betreuten Grundschulen" förderte zu Tage, dass an zahlreichen Grundschulstandorten bis zu 32% der betreuten Grundschulkinder nicht am Mittagessen teilnehmen (im Schnitt im ganzen Stadtgebiet rund 15% aller an Grundschulen betreuten Grundschüler*innen). Die Verwaltung gab im Bericht als Grund an, dass dies auf Wunsch der Eltern erfolge. Der Grund, warum die Eltern die Kinder abmeldeten, wird im Bericht nicht benannt, wir müssen daher davon ausgehen, dass die Gründe der Verwaltung nicht bekannt sind.
Verdeckte Kinderarmut
Auffallend an den Daten im Bericht war, dass die Mehrzahl der vom Mittagessen abgemeldeten Kinder in den Stadtteilen zur Grundschule gehen, die von relativ hoher Kinderarmut betroffen sind (Kinderarmut in St. Lorenz Süd: 35%, St. Lorenz Nord: 32,4%, Kücknitz 29,6%, St. Gertrud:23,1%; Innenstadt: 27,8%; St. Jürgen: 10,4%, vgl. Hansestadt Lübeck, 1.102, "Kommunale Statistikstelle/2.500 Sozialberichterstattung" in: Jugendhilfeplanung, Fachbereich Kultur und Bildung Jugendhilfeplanung und Bereich Jugendarbeit Juni 2019, S. 31). Um verdeckte Kinderarmut nicht zu übersehen und jedem betreuten Grundschulkind ausnahmslos jeden Tag ein warmes Mittagessen zu ermöglichen, erachten wir es daher als unverzichtbar an, dass die Teilnahme am Mittagessen verpflichtend für alle Kinder in der Grundschulkinderbetreuung erfolgt.
Eltern, die Schwierigkeiten bei der Finanzierung des Mittagessens haben oder dies seitens der pädagogischen Kräfte in der Schule und/oder der Schulkinderbetreuung vermutet wird, sind auf die Fördermöglichkeiten hinzuweisen und ggf. Hilfestellung durch den Träger der Schulkinderbetreuung bei der Antragsstellung zu geben, damit nicht aus Scham Antragsstellungen unterbleiben und Kinder zur Verbergung der Armut von den Eltern vom Mittagessen abgemeldet werden.
Pädagogische Bedeutung des gemeinsamen warmen Mittagessens im betreuten Schulganztag
Die Qualität in der Ganztagsbetreuung in Lübeck inkl. des Ganztags an Schule soll den höheren Qualitätsstandards der Kita-Horte angehoben werden. Hierzu gibt es verschiedene Jugendhilfe- und Bürgerschaftsbeschlüsse sowie eine AG Schulkinderbetreuung bestehend aus Verwaltung, Trägervertretungen, Politik, Kreis- und Stadtelternvertretung, die ein entsprechendes Eckpunktepapier erarbeitet hat (vgl. Dokumente Jugendhilfeausschuss und Bürgerschaft in Allris 2018-2019). Es besteht fachwissenschaftlicher Konsens darüber, dass "Die gemeinsame Einnahme der Mahlzeit (…) eine pädagogische Aufgabe [ist], in der Verhaltensregeln, Kommunikationsregeln und Kulturtechniken vermittelt werden.",( vgl. https://www.dge.de/gv/dge-qualitaetsstandards/?L=0). In einem Kita-Hort nimmt jedes Kind automatisch und verpflichtend an dem warmen Mittagessen teil, da dies Bestandteil des pädagogischen Konzeptes gemäß den bestehenden pädagogischen fachwissenschaftlichen Standards ist. Dieser Standard sollte zukünftig gemäß der bereits vorliegenden Jugendhilfe- und Bürgerschaftsbeschlüsse für jedes betreute Grundschulkind sichergestellt werden, egal, ob die Betreuung in einem Kita-Hort oder (was in der Mehrzahl der Fälle gegeben ist) in einer Grundschule erfolgt (Betreute Grundschule, Ganztag an Schule). Hinzuweisen ist darauf, dass zum Teil sogar an weiterführenden Schulen in Lübeck die die Teilnahme am Mittagessen an langen Schultagen für Kinder der 5. und 6. Klasse aus den o.g. pädagogischen Gründen verpflichtend ist, z.B. an der Geschwister-Prenski-Schule in Lübeck an drei Tagen die Woche, wenn der Unterricht inkl. des Mittagessens bis 15h geht. Wenn diese Pflicht für 11-12jährige fachlich als unverzichtbar angesehen wird, dann sollte eine gemeinsame warme Mittagsmahlzeit zu den Mindeststandards der Betreuten Grundschulkinder Lübecks gehören und zukünftig eine Selbstverständlichkeit darstellen.
Kindgerechtes, für Kinder schmackhaftes Mittagsangebot
Sollte als Grund der Abmeldung vom Mittageseesen an den betreffenden Grundschulen von Eltern angegeben worden sein oder werden, dass das Essen den Kindern nicht schmecke, so ist es Aufgabe des Trägers der Betreuten Grundschule in einem zeitlich kurzgefassten und niedrigschwelligen Beteiligungsprozess mit den Kindern gemeinsam einen neuen Speiseplan zu erarbeiten, der - analog den Standards in Kita-Horten - sicherstellt, jedes Kind jeden Tag zumindest einen Teil der warmen Mahlzeit essen mag und kann. Bei dem neuen Speiseplan sind - neben den Wünschen der Kinder - mindestens die Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung in Bezug auf Schulessen einzuhalten, vgl.: https://www.schuleplusessen.de/fileadmin/user_upload/medien/DGE_Qualitaetsstandard_Schule.pdf Hilfreiche Unterstützungsangebote bietet auch die Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein den Freien Trägern bei Fragen rund um ein bedarfsgerechtes warmes Mittagesessen an Schulen.
Kindgerechte Uhrzeit und Länge des Mittagessens
Der o.g. Bericht der Verwaltung VO 2019/08500 zeigte auf, dass das Mittagessen auch aufgrund der beengten Raumkapazitäten an zahlreichen Grundschulstandorten in Schichten eingenommen wird. Hierbei fällt auf, dass einige Grundschulkinder ihr Mittagessen erst nach 13h, teilweise erst um 14:30h erhalten. Bei einem Unterrichtsbeginn um ca. 8:00h ist dies zu spät und wirkt sich negativ auf die Konzentrationsfähigkeit der Kinder und damit auf ihre Aufnahme- und Lernfähigkeit aus (vgl. Vgl. Heindl l: Sinnliche Intelligenz - Perspektiven einer ästhetisch-kulturellen Ernährungsbildung. In: Institut für Qualitätssicherung an Schulen IQSH: Geschmack bildet - Sinnliche Intelligenz ist der Ursprung fu?r Leben und Lernen. IQSH, Kiel (2007), 38-48; Kaiser B, Kersting M: Frühstücksverzehr und kognitive Leistungsfähigkeit von Kindern. Ernährung im Fokus (1/2001), 5-13; Loch W: Stufen kindlichen Lernens als Aufgabe der Erziehung. In: Loch W (Hrsg.): Lebensform und Erziehung. Neue Deutsche Schule Verlagsgesellschaft mbH, Essen (1983), 47-59)). Um Bildungschancengleichheit für alle Grundschulkinder sicherzustellen, ist daher das Mittagessen für jedes Kind an jedem Grundschulstandort bis 13:00h (Beginn) vom Träger der Betreuen Grundschule in Zusammenarbeit mit der Schule zu ermöglichen. Im Bedarfsfall gilt es, neue Raumkonzepte und Räume zur Sicherstellung einer bedarfsgerechten Mittagsessenszeit zu finden.
Ebenfalls fällt im Bericht der Verwaltung auf, dass die Zeiten für das Essen zum Teil sehr eng bemessen sind - so haben die Kinder pro Schicht zum Beispiel an der Heinrich-Mann-Schule je ein Essenszeitfenster von ca. 22 Minuten (Essen und Getränk holen, hinsetzen, Essen, Essen abräumen). Ein solches Schnellessen entspricht nicht den Bedarfen der Kinder und steht den pädagogischen Aufgaben des gemeinsamen Mittagessens entgegen. Wir erachten es daher als wichtig an, dass jedem Grundschulkind eine reine Essenszeit von 30 Minuten zugebilligt wird, die exklusive des Holens des Essens, der Sitzplatzsuche und des Abräumen des Platzes nach Essensende kalkuliert wird. An den grundschulstandorten, an denen dies bisher nicht sichergestellt wird, ist dies zukünftig sicherzustellen, ggf. neue Raumkonzepte und neue Räume für das Mittagessen zu finden.