1. Ausgangslage
Der Bereich Familienhilfen / Jugendamt der Hansestadt Lübeck hat die Aufgabe, Familien, Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene durch Beratung, Unterstützung, Krisenintervention und präventive Hilfen zu stärken, das Kindeswohl zu schützen und chancengerechte, kinder- und familienfreundliche Lebensbedingungen zu sichern. Dabei nimmt der Bereich gesetzlich vorgeschriebene Pflichtaufgaben gemäß dem Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) wahr, die zuverlässig und umfassend zu erfüllen sind.
Auf Grundlage des Beschlusses der Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck (VO/2020/08926-06) aus dem Jahr 2020 hat der Bereich in Erwartung der bundesgesetzlichen Regelung (IKJHG) zum 01.01.2024 die Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit geistigen oder körperlichen Behinderungen nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) übernommen. Damit wurde ein entscheidender Schritt hin zu einer „inklusiven Jugendhilfe“ eingeleitet. Die damit verbundene Verantwortung umfasst die Gewährleistung, dass die spezifischen Bedürfnisse von Kindern mit Behinderungen oder besonderen Förderbedarfen angemessen berücksichtigt und in die bestehenden Hilfesysteme integriert werden.
Im Bereich Familienhilfen / Jugendamt sind - Stand 07/2025 - rund 200 Fachkräfte beschäftigt. Die aktuelle Organisationsstruktur ist in Form eines Organigramms in der Anlage I abgebildet.
Die komplexen Hilfebedarfe in der Kinder- und Jugendhilfe sowie in der Eingliederungshilfe unterliegen vielfältigen, oft nicht beeinflussbaren gesellschaftlichen, demografischen und wirtschaftlichen Faktoren, sodass der Bereich nur begrenzt auf deren Entwicklung Einfluss nehmen kann. Gleichzeitig setzt der Bereich Familienhilfen / Jugendamt aktiv auf Qualitätssicherungs- und Entwicklungsverfahren, um den steigenden fachlichen wie auch finanziellen Herausforderungen verantwortungsvoll zu begegnen und dem Steuerungsauftrag gerecht zu werden. Festzuhalten ist, dass die Verantwortung der Mitarbeitenden hoch ist und mit einer erheblichen Arbeitsbelastung einhergeht. Vor diesem Hintergrund gewinnen Maßnahmen zur strukturellen Unterstützung und zur Sicherstellung arbeitsfähiger Rahmenbedingungen zunehmend an Bedeutung.
2. Gesetzliche Verpflichtung zur Personalbemessung
Gemäß § 79 Abs. 3 SGB VIII sind Jugendämter verpflichtet für eine ausreichende Ausstattung – insbesondere einer bedarfsgerechten Personalausstattung – zu sorgen. Dazu ist verpflichtend ein Verfahren zur Personalbemessung zu nutzen. Dies umfasst sowohl die quantitative Ermittlung des Personalbedarfs wie auch die qualitative Sicherstellung der Aufgabenwahrnehmung sowie die regelmäßige Überprüfung der Standards.
Das Deutsche Institut für Jugendhilfe und Familienrecht betont, dass trotz der starken Krisenwahrnehmung in der Kinder- und Jugendhilfe gerade jetzt, Investitionen in die organisationale Handlungsfähigkeit der öffentlichen Jugendhilfe notwendig sind, um gegenwärtige und bevorstehende Aufgaben zu bewältigen (DIJuF Themengutachten in JAmt 2025, 181).
Mit Unterstützung des Instituts für Sozialplanung und Organisationsentwicklung e.V. (IN/S/O) hat der Bereich Familienhilfen / Jugendamt eine umfassende Analyse der Strukturen und Prozesse durchgeführt. IN/S/O gilt bundesweit als eines der führenden Institute auf diesem Gebiet und bringt durch die Begleitung von über 180 Jugendämtern fundierte Benchmarking-Erfahrungen in die Analyse ein. Die Personalbemessung wurde nicht isoliert betrachtet, sondern in Verbindung mit einer qualitativen Betrachtung der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität. Der Abschlussbericht enthält umfangreiche fachliche Empfehlungen, die bei der weiteren Entwicklung des Stufenplans berücksichtigt werden.
3. Prozess der durchgeführten Organisationsuntersuchung und Personalbemessung
Im Fokus der im Zeitraum 04/2024 bis 05/2025 durchgeführten Organisationsuntersuchung standen die sozialpädagogischen Dienste, die mit dieser Aufgabenerfüllung unmittelbar verbundenen Verwaltungsdienste sowie die Abteilung Beistandschaften und Unterhaltsvorschuss. Bei der Entwicklung des Leitbildes sowie der Erarbeitung einer zukünftigen Aufbaustruktur und strategischer Ausrichtung wurde ganzheitlich der gesamte Bereich in den Blick genommen.
Der Prozess der Organisationsentwicklung durch das Institut IN/S/O wurde umfassend geplant und beinhaltet mehrere Stufen, insbesondere die Analyse in Workshops mit Mitarbeitenden, die Berechnung des Personalbedarfes sowie die Fortsetzung und Begleitung im Rahmen der Umsetzungsplanung.
In den einzelnen Fachworkshops wurden spezifische Themen bearbeitet, die sich auf die Aufgabenwahrnehmung innerhalb der o.g. Organisationseinheiten beziehen. Die Personalbemessung und die Qualitätsentwicklung wurden als integrierter Prozess betrachtet, wobei auch Fragen der Organisationsstruktur, Leitungsspannen und Steuerungspotentiale berücksichtigt wurden. Die vorangegangene Leitbildentwicklung (Anlage II) rahmte diesen Prozess.
Eine Übersicht der einzelnen Fachworkshops und der weiteren Termine im Rahmen des Prozesses ist in der Anlage III abgebildet.
4. Strategische Ausrichtung und Zielbild
Den handlungsleitenden Rahmen bildet der Prozess „Aufwachsen in Lübeck“, in dem bereits 2008 Leitlinien zur strategischen Ausrichtung der Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsinfrastruktur erarbeitet wurden, um die Lebensbedingungen von Kindern und Jugendlichen in der Hansestadt zu verbessern. Die Ergebnisse werden kontinuierlich fortgeschrieben und weiterentwickelt, unter anderem im Jahr 2019 mit dem Fachtag „Aufwachsen in Lübeck 2.0“ sowie im Jahr 2022 im Rahmen des Fachtags zur Weiterentwicklung der Sozialraumorientierung.
Die mit IN/S/O erarbeiteten Standards und Qualitätsaspekte bauen auf diesen gesamtstädtischen Prämissen auf. Die strategische Ausrichtung des Bereichs Familienhilfen / Jugendamt der Hansestadt Lübeck sieht eine konsequente Bündelung von Leistungen im Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) vor. Dadurch wird die Fallverantwortung gestärkt und eine ganzheitliche Familienarbeit ermöglicht. Dieses Vorgehen orientiert sich insbesondere am Konzept „Hilfen aus einer Hand“ im Bereich der Inklusion und zielt auf eine koordinierte sowie integrierte Bereitstellung von Unterstützungsleistungen ab. Dadurch wird der Zugang zu Hilfen für Familien erleichtert und die Effizienz der Betreuung erhöht.
Prinzipiell ist es wichtig, die Balance zwischen Generalisierung und Spezialisierung in den Diensten und Einrichtungen zu wahren. Spezialisierte Aufgabenwahrnehmung wird dort vorgehalten, wo sie zwingend erforderlich ist. So kann einerseits eine koordinierte und sozialraumorientierte Hilfe angeboten werden, während gleichzeitig fachliche Expertise für spezifische Bedarfe erhalten bleibt. Dieses Vorgehen wird durch regelmäßige Qualitätsdialoge begleitet, die sicherstellen, dass notwendige Hilfen weiterhin bedarfsgerecht gewährt werden. Dabei wird auch berücksichtigt, dass aufgrund der verfügbaren Ressourcen nicht immer eine vollständige Aufteilung der Hilfen in die Sozialräume möglich ist.
Unter Berücksichtigung dieser handlungsleitenden Rahmenbedingungen und der strategischen Ausrichtung wurde für den Bereich Familienhilfen / Jugendamt ein Zielbild definiert und zukünftige Strukturen zur besseren Bewältigung der Herausforderungen beschrieben. Demnach ist vorgesehen, in zeitlichen Stufen die Integration von Hilfeplanung, Fallsteuerung und staatlichem Wächteramt im Allgemeinen Sozialen Dienst zu erreichen. Eine stärkere Sozialraumorientierung soll Doppelstrukturen vermeiden und die Hilfen noch enger an den Bedarfen der Familien ausrichten. Übergänge und Schnittstellen zwischen den Leistungen für junge Menschen und Familien sollen aktiv und passgenau gestaltet werden. Die Steuerungspotenziale in den Hilfen zur Erziehung werden auf diese Weise künftig stärker genutzt, sodass Hilfen proaktiv passgenau gesteuert werden können – ohne Einschränkung der Gewährung notwendiger Hilfen. Die Steuerung erfolgt über fachliche Qualitätsdialoge und Evaluationen, um Ressourcen bedarfsgerecht einzusetzen und die Wirksamkeit der Hilfen zu erhöhen. Folgende Aspekte sind hierbei für die fachlich-konzeptionelle Weiterentwicklung im Bereich Familienhilfen zentral:
- Spezialisierte Fachkräfte sollen als Teil des ASD mit Blick auf die kostenintensiven stationären Hilfen ein intensives Clearing vor Einleitung neuer Hilfen, Perspektivklärungen und die Begleitung junger Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf sicherstellen. Wenn durch gezielte Interventionen eine stationäre Unterbringung vermieden oder verkürzt werden kann, bedeutet dies nicht nur eine fachlich geeignete Lösung im Sinne der Familien, sondern entlastet auch den städtischen Haushalt erheblich. Vor diesem Hintergrund gewinnt auch die strategische Weiterentwicklung der stationären Hilfen an Bedeutung: Der anhaltend steigende Bedarf an stationären Unterbringungen bei zugleich rückläufigem Leistungsangebot stellt die Kinder- und Jugendhilfe vor erhebliche Herausforderungen. Über diese Entwicklung wurde der Jugendhilfeausschuss bereits im Jahr 2023 informiert (VO/2023/12807).
- Der Pflegekinderdienst war bisher sowohl für die Steuerung der Vollzeitpflegen durch die Hilfeplanung als auch für die pädagogische Unterstützung der Pflegefamilien zuständig. Zukünftig wird er als spezialisierter Fachdienst ohne eigene Hilfeplanung etabliert. Er übernimmt die sozialpädagogische Begleitung und Beratung von Pflegestellen und deren Familien, während die Hilfeplanung für die Pflegekinder im ASD erfolgen wird, der die Hilfen in der Regel eingeleitet hat. Dies ermöglicht eine intensivere sozialpädagogische Begleitung und Beratung, die auf die individuellen Bedürfnisse der Pflegestellen abgestimmt ist. Die klare Aufgabenteilung im Sinne des jugendhilferechtlichen Dreiecks nach dem SGB VIII führt zu einer höheren Betreuungsqualität und trägt dazu bei, dass Pflegekinder in einem stabilen und unterstützenden Umfeld aufwachsen können.
- Im Zuge der bundesrechtlich vorgesehenen vollständigen Zusammenführung der Leistungen der Eingliederungshilfe für junge Menschen mit (drohender) Behinderung unter dem Dach der Kinder- und Jugendhilfe, die zum 1. Januar 2028 in Kraft treten soll, hat der Bereich Familienhilfen / Jugendamt die Zuständigkeit für Leistungen nach dem SGB IX für Minderjährige bereits zum 01.01.2024 übernommen. Grundlage hierfür ist ein Beschluss der Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck (VO/2020/08926-06) aus dem Jahr 2020, mit dem die frühzeitige Übernahme dieser Aufgaben politisch befürwortet und ermöglicht wurde. Damit geht Lübeck einen wichtigen Schritt in Richtung frühzeitiger struktureller Anpassung und leistet aktive Vorarbeit zur Umsetzung der künftigen gesetzlichen Vorgaben. Die Übernahme dieser Aufgaben bedeutet nicht nur eine formale Zuständigkeitsverlagerung, sondern erfordert auch eine inhaltliche Weiterentwicklung der konzeptionellen Grundlagen und fachlichen Prozesse. Entscheidend ist dabei, dass die Leistungen der Eingliederungshilfe im Kontext der Kinder- und Jugendhilfe ganzheitlich gedacht werden. Sie orientieren sich nicht allein an der Bewilligung einzelner Leistungen, sondern an der umfassenden Lebenssituation junger Menschen mit Behinderung – unter Berücksichtigung ihrer individuellen Entwicklung, familiärer Rahmenbedingungen und sozialräumlichen Bezüge. Die Entwicklung eines Kindes mit Behinderung verläuft nicht immer linear, sondern ist häufig durch wechselnde Entwicklungsverläufe geprägt. Dem muss sowohl im pädagogischen Handeln als auch in der administrativen Umsetzung Rechnung getragen werden – durch flexible, ressourcensensible und fachlich fundierte Verfahren. In der Praxis bedeutet dies regelmäßig einen erhöhten zeitlichen und fachlichen Aufwand in der Fallarbeit sowie in der rechtskonformen Leistungsgewährung. Die inklusive Ausgestaltung des Leistungsangebots erfordert darüber hinaus ein hohes Maß an Qualifizierung, Haltung und interdisziplinärer Zusammenarbeit. Damit dies gelingen kann, müssen notwendige strukturelle Voraussetzungen geschaffen und dauerhaft ausreichend personelle Ressourcen vorgehalten werden. Ziel ist es, jungen Menschen mit Behinderung eine verlässliche, passgenaue Unterstützung zu bieten – eingebettet in die Strukturen einer integrierten und sozialraumorientierten Kinder- und Jugendhilfe.
5. Stufenplan zur Umsetzung
Der Stufenplan zur Umsetzung der strategischen Ziele sieht eine schrittweise Übertragung der Hilfeplanung aus den Spezialdiensten in den Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) vor, um eine kontinuierliche Anpassung der Arbeitsabläufe und eine praxisnahe Einführung der neuen Strukturen sicherzustellen. Zentral ist dabei die Entwicklung und regelmäßige Fortschreibung einer Empfehlung zur sozialräumlichen Zuordnung der Fallzuständigkeiten, die Erfahrungen und Einschätzungen der Mitarbeitenden berücksichtigt. Die im Beteiligungsprozess definierten Qualitätsziele können zudem auch aufgrund des Fachkräftemangels nur schrittweise umgesetzt werden.
Auf Basis der fachlichen Empfehlungen aus dem Abschlussbericht des IN/S/O werden begleitend Maßnahmen ergriffen, die unter anderem die Anpassung der Fachsoftware, die Förderung fachlicher Spezialisierung sowie Schulungen der Mitarbeitenden umfassen. Darüber hinaus werden die stationären Hilfen durch intensives Clearing, Perspektivklärungen und Qualitätsdialoge mit freien Trägern weiterentwickelt. Eine stärkere Sozialraumorientierung wird durch die Einführung sozialräumlicher Fallzuständigkeiten und die Weiterentwicklung der fachlichen Arbeit im Sozialraum angestrebt. Zur Verbesserung der Bürger:innen-freundlichkeit und Klient:innenzentrierung werden einheitliche Familienzuständigkeiten eingeführt, die klarere Ansprechpartner und effizientere Abläufe ermöglichen. Parallel erfolgt die Prüfung von Prozessoptimierungen, insbesondere im Hinblick auf die weitere Digitalisierung administrativer Arbeitsvorgänge.
Die inklusive Kinder- und Jugendhilfe wird durch den Ausbau von Unterstützungsnetzwerken und die Integration der Eingliederungshilfe im ASD nachhaltig gestärkt. Zur effizienten Fallsteuerung werden geeignete Steuerungsinstrumente implementiert und fortlaufend weiterentwickelt. Schließlich gewährleistet der Stufenplan eine flexible Anpassung an neue rechtliche Rahmenbedingungen und die kontinuierliche Fortschreibung der Personalbedarfe.
Diese strukturierte und umfassende Vorgehensweise schafft die Voraussetzung für eine bedarfsgerechte, sozialraumorientierte Kinder- und Jugendhilfe, die den Anforderungen der Praxis und des KJSG gerecht wird sowie die Hilfen für junge Menschen und Familien nachhaltig verbessert.
Die einzelnen Zielsetzungen und Maßnahmen (Umsetzungsschritte) werden in der folgenden Übersicht dargestellt. Die Darstellung ist dynamisch und dient einer groben Übersicht. Im 4. Quartal 2025 erfolgt eine detaillierte Ausarbeitung des Stufenplans und Feinjustierung der zeitlichen Umsetzungsschritte.
Tabelle 1: Zielsetzungen und Maßnahmen
Zielsetzung | Maßnahme | vorläufiger Zeitrahmen |
Übereinstimmung der Personalressourcen mit den Qualitätsstandards | Orientierung der Leistungserbringung an den aktuellen personellen Ressourcen (Leistungseinschränkungen) | 2025 / 2026 |
Anpassung der Fachsoftware | Änderungen/Umstellungen in PROSOZ für Erfassung der Teilprozesse, Verbesserung der Dokumentation, Steuerungszwecke | 2026 - 2028 |
Integration von Hilfeplanung im ASD | Schulung der Mitarbeitenden im ASD | Fortlaufend ab 2026 |
Förderung der fachlichen Spezialisierung | Fortbildung der Fachkräfte in den Vertiefungs- und Spezialdiensten; Entwicklung einer entsprechenden Stütz- und Steuerungsstruktur | 2026 / 2027 |
Weiterentwicklung der stationären Hilfen | Intensives Clearing und Perspektivklärung vor Neueinleitungen, Qualitätsdialoge mit freien Trägern der Jugendhilfe | 2026 / 2027 |
Effiziente Fallsteuerung | Implementierung bzw. Weiterentwicklung von Steuerungsinstrumenten, u.a. bei der Bedarfsermittlung vor Hilfeeinleitung (Clearing/sozialpäd. Diagnostik) | Fortlaufend ab 2027 |
Anpassung an neue rechtliche Rahmenbedingungen | Kontinuierliche Überprüfung und Fortschreibung der Personalbemessung | Fortlaufend ab 2027 |
Stärkere Sozialraumorientierung | Einführung von sozialräumlichen Fallzuständigkeiten in allen Organisationseinheiten im Bereich Familienhilfen / Jugendamt; (Weiter-) Entwicklung der fachlichen Arbeit im Sozialraum | 2027 / 2028 |
Verbesserung der Bürger:innenfreundlichkeit/ Klient:innenzentrierung | Einführung einheitlicher Familienzuständigkeiten für klarere Ansprechpartner und effizientere Abläufe | 2027 / 2028 |
Förderung einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe | Integration und Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe durch Ausbau von Unterstützungsnetzwerken und Verortung im ASD | 2027 /2028 |
Die stufenweise Umsetzung der Empfehlungen ermöglicht es, die dargestellten Qualitätsentwicklungsschritte sukzessive zu entwickeln und in der Praxis einzusetzen. Die Verbesserungen auf Struktur- und Prozessebene bedingen sich gegenseitig, um den Bedarfen von jungen Menschen und ihren Familien in Lübeck noch besser zu begegnen und die Ergebnisqualität (Wirksamkeit) der Hilfen zu erhöhen. Die entwickelten Maßnahmen zur Verbesserung der Struktur- und Prozessqualität werden durch das hier skizzierte nachhaltige Change Management wirksam.
Voraussetzung hierfür bildet die politische Zustimmung zur Umsetzung der Ergebnisse der Personalbemessung. Der benötigte Stellenmehrbedarf ist auf die Jahre bis 2030 zu verteilen, sodass bei Zustimmung eine Besetzung dieser Stellen und die Anpassung der Organisationsstrukturen realistisch umsetzbar sind. Der in Teilen festgestellte Stellenminderbedarf ist bereits zur Deckung der festgestellten Mehrbedarfe berücksichtigt.
Tabelle 2: Stufenplan ab 2026

Der für die fortlaufenden Jahre benötigte Stellenmehrbedarf wird in den kommenden Haushaltsentwürfen enthalten sein. Durch die jährliche Fortschreibung des Ergebnisses der Personalbemessung mit dem durch das Institut zur Verfügung gestellten Tool wird der Stellenbedarf entsprechend konkretisiert und angepasst werden.
6. Schlussbetrachtung
Im Rahmen der Organisationsuntersuchung wurden die bestehenden Strukturen und Prozesse im Bereich Familienhilfen / Jugendamt umfassend analysiert, um darauf aufbauend passgenaue Qualitätsstandards und Verbesserungsmaßnahmen zu entwickeln. Auf Grundlage einer systematischen, beteiligungsorientierten Erfassung und Bewertung der Prozesse sowie der Aufbauorganisation konnten Optimierungspotenziale in Bezug auf Struktur- und Prozessqualität identifiziert werden. Die Untersuchung konzentrierte sich ausschließlich auf die gesetzlich vorgeschriebenen Leistungen und Aufgaben. Dabei wurde deutlich, dass die aktuellen Personalressourcen bei Weitem nicht ausreichen, um die derzeitigen Herausforderungen und anstehenden Aufgaben in der erforderlichen fachlichen und qualitativen Tiefe zu erfüllen. Eine bedarfsgerechte Ausweitung der personellen Ausstattung ist deshalb erforderlich, um sowohl den gesetzlichen Verpflichtungen nachzukommen als auch den individuellen Bedarfen von Kindern, Jugendlichen und Familien den gebotenen fachlichen Standards entsprechend zu begegnen. Die geplanten Maßnahmen schaffen darüber hinaus die Grundlage, Steuerungspotenziale im Hilfeprozess effektiver zu nutzen, um Fallverläufe zu verbessern und Hilfen zielgerichteter und effizienter zu gestalten – ohne dabei die notwendige Gewährung von Hilfen einzuschränken.
Ein zentraler Fokus liegt zudem auf der gezielten Steuerung besonders kostenintensiver stationärer Hilfen. Hier sollen spezialisierte Fachkräfte im Allgemeinen Sozialen Dienst eine wichtige Rolle einnehmen: durch intensives Clearing vor Neueinleitung von Hilfen, fundierte Perspektivklärungen und die Begleitung junger Menschen mit besonders hohem Unterstützungsbedarf (den sogenannten „Systemsprengern“). Ziel ist es, dem Grundsatz „ambulant vor stationär“‘ verstärkt zu folgen und stationäre Unterbringungen soweit möglich zu vermeiden oder deren Dauer zu verkürzen, ohne dabei die fachlich gebotene Inanspruchnahme stationärer Maßnahmen außer Acht zu lassen. Dieses Vorgehen stellt nicht nur eine fachlich geeignete und familienorientierte Lösung dar, sondern kann auch zur finanziellen Entlastung des städtischen Haushalts beitragen.
Der Bereich Familienhilfen / Jugendamt bewegt alleine im Rahmen der klassischen Jugendhilfe ein jährliches Haushaltsvolumen von rund 60 Millionen Euro. Ein erheblicher Teil dieser Mittel entfällt auf kostenintensive stationäre Hilfemaßnahmen für junge Menschen. Die durchschnittlichen Kosten für eine stationäre Unterbringung in Einrichtungen belaufen sich auf etwa 80.000 Euro pro Kind bzw. Jugendlichen – in Einzelfällen können die Kosten sogar deutlich über 100.000 Euro jährlich liegen.
Zum Vergleich: Die Personalkosten für eine vollzeitbeschäftigte sozialpädagogische Fachkraft betragen im Durchschnitt ebenfalls über 80.000 Euro pro Jahr. Diese Gegenüberstellung verdeutlicht, dass ein angemessener personeller Ressourceneinsatz, insbesondere im ASD, nicht nur fachlich sinnvoll, sondern auch aus haushälterischer Sicht wirtschaftlich sein kann. Investitionen in Prävention und frühzeitige, niedrigschwellige Hilfen durch ausreichend qualifiziertes Personal können dazu beitragen, kostenintensive stationäre Maßnahmen zu vermeiden oder zu verkürzen – und gleichzeitig die Qualität der Hilfen für Kinder, Jugendliche und Familien nachhaltig zu verbessern.
Auch im Bereich der ambulanten Hilfen zur Erziehung bestehen nachweislich relevante Steuerungspotenziale. Zwar sind diese Leistungen pro Fall weniger kostenintensiv als stationäre Hilfen, doch summieren sie sich aufgrund ihrer Vielzahl zu einem erheblichen Anteil an den Gesamtausgaben. Eine gezieltere Steuerung kann somit auch in diesem Bereich spürbare haushaltsentlastende Effekte erzielen. In der Fachliteratur (DIJuF Aufsatz in JAmt 2011, 238) wird in diesem Zusammenhang schon länger vom sogenannten „Bugwellen-Effekt“ gesprochen: Kurzfristige, unkoordinierte Reaktionen auf Belastungssituationen führen mittel- bis langfristig zu zusätzlicher Arbeit und steigenden Fallzahlen – ein Effekt, dem durch vorausschauende Steuerung gezielt entgegengewirkt werden kann.
Das begleitende Institut betont in seinem Bericht das hohe Engagement der Fach- und Führungskräfte und bestätigt, dass trotz der beschriebenen Weiterentwicklungspotentiale der Bereich Familienhilfen / Jugendamt in der Ausübung des staatlichen Wächteramtes handlungsfähig ist und der Kinderschutz in Lübeck auch unter den aktuellen Bedingungen nach bundesweiten Standards erfüllt wird. Akute Gefährdungsmeldungen werden prioritär bearbeitet. Die Fokussierung auf Schutzaufgaben führt jedoch zu Verzögerungen bei nachgelagerten Hilfeverfahren, was die Bearbeitungszeiten insgesamt verlängert. Oftmals führt dies wiederum zu einem steigenden Unterstützungsbedarf, da Beratung und Begleitung nicht frühzeitig genug geleistet werden können. Ziel ist es hingegen, durch eine verbesserte präventive und proaktive Arbeit, Familien frühzeitig und passgenau zu unterstützen, um – im Sinne der Hilfe zur Selbsthilfe – intensive pädagogische Hilfebedarfe zu vermeiden.
Das ständige Erfordernis zur Priorisierung von Fällen sowie die damit verbundene hohe Arbeitsbelastung der Fachkräfte im Kinderschutz erhöhen zudem die Wahrscheinlichkeit für Fehler im Arbeitsalltag. Unter Zeitdruck und bei begrenzten personellen Ressourcen steigt das Risiko deutlich, dass Hinweise auf eine mögliche Kindeswohlgefährdung nicht immer mit der gebotenen Aufmerksamkeit bearbeitet werden können. Dies kann die Umsetzung des Schutzauftrags nach § 8a SGB VIII erschweren.
Darüber hinaus führt die hohe Belastung häufig zu einer erhöhten Fluktuation, welche die Qualität der fachlichen Arbeit erheblich beeinträchtigt. Der häufige Personalwechsel erschwert eine kontinuierliche Fallbearbeitung und führt zu einem Verlust von Erfahrungswissen und fachlicher Kontinuität. Diese Faktoren beeinträchtigen nachhaltig die Qualität der Hilfeplanung und der Schutzmaßnahmen, was insbesondere in sensiblen Bereichen wie dem Kinderschutz gravierende Folgen haben kann.
Insgesamt bilden die Ergebnisse der Organisationsuntersuchung und die darauf basierenden Empfehlungen den Grundstein für eine bedarfsgerechte, wirksame und wirtschaftliche Kinder- und Jugendhilfe, die den Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft Stand halten kann und zugleich die Lebenssituation der Kinder, Jugendlichen und Familien in Lübeck nachhaltig verbessert.