Die Verfügbarkeit der vorgeschlagenen Immobilie, die ehemalige „Oase“, wurde geprüft. Sie ist im Besitz des evangelisch-lutherischen Kirchenkreises in St. Jürgen (Lübeck-Lauenburg) und stand 2020 und in den Folgejahren nicht als Ort für Gemeinwesenarbeit zur Verfügung.
Die Hansestadt Lübeck ist bestrebt, Orte zu schaffen, an denen (selbst-)organisierte Treffen und andere Aktivitäten stattfinden können. Angebote der Gemeinwesenarbeit würden in allen Quartieren in Lübeck wertvolle Räume anbieten und eine gemeinschaftsfördernde Wirkung erzielen. Um die begrenzten Ressourcen zielgerichtet einzusetzen, konzentriert der Bereich Jugendarbeit seine Bemühungen bislang auf objektiv und per Datenlage nachweisbar sozialstrukturell besonders belastete Quartiere.
Sinnvollerweise sollte eine Erweiterung dieses wertvollen Ansatzes von niedrigschwelliger, sozialräumlich orientierter Sozialarbeit planvoll geschehen und zunächst Quartiere berücksichtigen, die eine hohe sozialstrukturelle Belastung aufweisen und bisher durch die Angebote der Nachbarschaftsbüros nicht erreicht werden können. Anschließend sind Quartiere in den Blick zu nehmen, in denen Gemeinwesenarbeit ebenfalls Nachbarschaften und ansässige Familien unterstützen und positiv verstärken könnte, ohne dass die Datenlage eine prekäre Situation in vielen Haushalten belegt.
Einen ersten Hinweis, um welche Quartiere es sich handeln könnte, liefert ein Blick auf die derzeitigen Standorte der Nachbarschaftsbüros in Verbindung mit dem Anteil der Minderjährigen, die in Bedarfsgemeinschaften nach dem SGB II (Bürgergeld) leben. Dies ist ein Indikator mit hoher Aussagekraft hinsichtlich des Anteils der Kinder, die in Armut aufwachsen oder davon bedroht sind. Die Betrachtung auf Ebene der Stadtbezirke ist eine erste Annäherung an eine sozialraumbezogene und kleinräumige Bedarfsanalyse.
Durchschnittlich leben in den Lübecker Stadtbezirken 21,1 % der unter 18-Jährigen in Bedarfsgemeinschaften nach dem SGB II. Der Anteil reicht von 0,0 % bspw. auf dem Priwall, in Brodten und Krummesse bis zu 39,5 % in Alt-Moisling. Die große Spannweite liefert starke Hinweise auf eine sozialräumliche Segregation, die die Verschärfung von individuellen Risikofaktoren im Quartier zur Folge haben kann, insbesondere wenn die Sozialräume über wenige Ressourcen verfügen. Die Stadtbezirke St. Lorenz Süd (28,7 %), Holstentor-Nord (27,0 %), Falkenfeld/Vorwerk (29,1 %) sowie Eichholz (24,7 %) und Buntekuh (37,3 %) verfügen über Nachbarschaftsbüros. Die folgenden Stadtbezirke weisen ebenfalls eine überdurchschnittliche Kinderarmutsgefährdungsquote auf, verfügen aber nicht über eine familienbezogene Gemeinwesenarbeit: das oben genannte Alt-Moisling (39,5 %), Marli/Brandenbaum (28,8 %), Dornbreite (20,1 %) und Alt-Kücknitz (29,1 %).
Die große Stärke der Gemeinwesenarbeit ist die Beratung, Unterstützung und Hilfe, die nicht nach Zuständigkeit unterscheidet und direkt vor Ort im Quartier stattfindet. So werden nicht nur Zielgruppen erreicht, die für andere Leistungen nicht gewonnen werden konnten, sondern es wird auch eine Beziehung zum Quartier im Allgemeinen und den Klient:innen im Speziellen entwickelt. Sie wirkt außerdem auf eine bessere Vernetzung und Kooperation im Quartier hin, wodurch Bürger:innen schneller und direkter die passenden Leistungen erhalten. Durch diesen besonderen Ansatz hat die Gemeinwesenarbeit die Chance, nachhaltige Veränderungen für eine gelingende Lebensführung anzustoßen. Die Gemeinwesenarbeit in Lübeck leistet in den Quartieren, in denen sie vorgehalten wird, einen Beitrag zur Prävention von Armut und ihren Folgen. Deshalb soll eine strukturierte Bestands- und Bedarfserhebung der Nachbarschaftsbüros die priorisierten Handlungsempfehlungen (1778-01) zum Armuts- und Sozialbericht ergänzen, damit eine qualifizierte Entscheidungsbasis für das weitere Vorgehen den kommunalen Gremien vorgelegt werden kann.

Abbildung 1: Standorte der Nachbarschaftsbüros in Lübeck 2024
Stadtbezirk | Anteil der Minderjährigen in Bedarfsgemeinschaften an der altersgleichen Bevölkerung im Jahr 2023 | Nachbarschaftsbüro im Stadtbezirk? |
01 - Innenstadt | 17,8 % | |
02 - Hüxtertor | 11,6 % | |
03 - St. Lorenz Süd | 28,7 % | Ja |
04 - Holstentor-Nord | 27,0 % | Ja |
05 - Falkenfeld/Vorwerk | 29,1 % | Ja |
06 - Burgtor | 6,3 % | |
07 - Marli/Brandenbaum | 28,8 % | |
08 - Eichholz | 24,7 % | Ja |
09 - Strecknitz/Rothebek | 8,7 % | |
10 - Blankensee | 10,8 % | |
11 - Wulfsdorf | 8,0 % | |
12 - Beidendorf | 0,0 % | |
13 - Krummesse | 0,0 % | |
14 - Kronsforde | 0,0 % | |
15 - Niederbüssau | 10,9 % | |
16 - Vorrade | 12,5 % | |
17 - Schiereichenkoppel | 2,2 % | |
18 - Oberbüssau | 3,7 % | |
19 - Niendorf | 1,0 % | |
20 - Reecke | 0,0 % | |
21 - Alt-Moisling | 39,5 % | |
22 - Buntekuh | 37,3 % | Ja |
23 - Groß Steinrade | 4,0 % | |
24 - Dornbreite | 20,1 % | |
25 - Karlshof | 9,2 % | |
26 - Schlutup | 14,6 % | |
27 - Dänischburg | 10,9 % | |
28 - Herrenwyk | 17,0 % | |
29 - Alt-Kücknitz | 29,1 % | |
30 - Pöppendorf | 0,0 % | |
31 - Ivendorf | 2,6 % | |
32 - Alt-Travemünde | 7,7 % | |
33 - Priwall | 0,0 % | |
34 - Teutendorf | 0,0 % | |
35 - Brodten | 0,0 % | |
99 - Hansestadt Lübeck | 21,1 % | |
Die Sozialstruktur der Quartiere in St. Jürgen ist im Vergleich zu den anderen Stadtteilen relativ günstig, sodass Risikofaktoren für eine gelingende Lebensführung und verstärkende Effekte wie bspw. Segregation seltener zu beobachten sind als an anderen Stellen in Lübeck. Deshalb empfiehlt die Verwaltung, andere Quartiere für einen Ausbau der Gemeinwesenarbeit zu priorisieren.