Vorlage - VO/2021/10629-01  

Betreff: Bericht bzgl. des Antrags des Beirats für Senior:innen und des Beirats für Menschen mit Behinderungen: E-Scooter
Status:öffentlich  
Dezernent/in:Senatorin Joanna HagenBezüglich:
VO/2021/10629
Federführend:5.610 - Stadtplanung und Bauordnung Bearbeiter/-in: Bahr, Oliver
Beratungsfolge:
Senat zur Senatsberatung
Bauausschuss zur Kenntnisnahme
07.11.2022 
75. Sitzung des Bauausschusses zur Kenntnis genommen / ohne Votum   
Hauptausschuss zur Kenntnisnahme
08.11.2022 
71. Sitzung des Hauptausschusses zur Kenntnis genommen / ohne Votum   
Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck zur Kenntnisnahme
24.11.2022 
36. Sitzung der Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck zur Kenntnis genommen / ohne Votum   

Beschlussvorschlag
Sachverhalt
Anlage/n
Anlagen:
Anlage 1_Qualitätsvereinbarung zur Sicherstellung eines stadtverträglichen E-Tretroller-Verleihsystems
Anlage 2_Straßenrechtliche Bewertung der E-Scooter im Sharing-Modell

Beschlussvorschlag


In der Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck wurde in der Sitzung am 25.11.2021 der folgende Antrag zur VO/2021/10629 beraten:

 

Die Bürgerschaft möge beschließen:

 

  1. Die E-Scooter-Verleihfirmen dürfen ihre E-Scooter nur noch an festgelegten Plätzen des öffentlichen Raumes (Mobilitätsstationen) anbieten. Dort müssen die Ausleihenden die Roller auch wieder abgeben. Ausleih- und Rückgabemobilitätsstation müssen nicht identisch sein.
  2. Dazu gehört, dass die Verleihfirmen die Voraussetzungen technischer Art schaffen, dass die GPS-überwachten Geräte sich nur an Mobilitätsstationen ein- und auschecken lassen.
  3. Die Verleihfirmen werden als Sondernutzer öffentlichen Raumes in geeigneter Weise zur Zahlung von Gebühren herangezogen.

 

Wir sehen unseren Antrag als einen ersten Schritt, dass auf Bundesebene andere gesetzliche Rahmen geschaffen werden. Ein bloßes Warten auf den Bund halten wir aufgrund der Gefährdungslage und Mobilitätseinschränkung großer Anteile der Bevölkerung (Ältere und Menschen mit Behinderung) für nicht zielführend.“

 

Der Antrag wurde auf Grund der noch ausstehenden rechtlichen Prüfung der Entscheidung des OVG Münster zu diesem Thema vertagt. Die Prüfung konnte zwischenzeitlich abgeschlossen werden.

 

Daneben wurde im Bauausschuss in der Sitzung am 01.11.2021 zur VO/2021/10552 folgende Frage durch AM Silke Mählendorf (Bündnis 90/Die Grünen) gestellt:

 

  1. Wurden den in Lübeck aktiven E-Scooter-Verleihern (Voi, Lime, Bird, Tier) jeweils Genehmigungen für ihr Angebot erteilt oder gibt es sonstige Vereinbarungen oder Absprachen mit ihnen? Wenn ja, welche?
  2. Wie beurteilt die Verwaltung vor dem Hintergrund des Beschlusses des OVG Münster (vom 20.11.2020 11 B 1459/20) die Frage, ob die Nutzung des öffentlichen Raums für das Abstellen von E-Scootern als Gemeingebrauch oder Sondernutzung anzusehen ist?

 

Die Antwort auf die Frage 1 ist unter Vorbemerkung, die Antwort zur Frage 2 ist unter rechtliche Einschätzung beantwortet.


 


Begründung

Vorbemerkung:

Zur Sicherstellung eines stadtverträglichen E-Scooter-Verleihsystems hat die Stadtverkehr Lübeck GmbH (SL) in enger Abstimmung mit der Hansestadt Lübeck Regelungen getroffen, die dazu dienen, ein geordnetes Stadtbild zu erhalten sowie auf zukünftige Entwicklungen reagieren zu können. Auf Grund der zunehmenden Beschwerden aus der Bevölkerung wurde die Qualitätsvereinbarung nochmals zum 01.04.2022 angepasst und verschärft.

 

In Lübeck sind derzeit vier Anbieter aktiv. Das Betriebsgebiet teilt sich in unterschiedliche Zonen, für die jeweils eine Maximalanzahl an Fahrzeugen festgelegt ist, die sich auf die in den jeweiligen Zonen aktiven Anbieter aufteilt. Insgesamt sind im gesamten Stadtgebiet derzeit 2000 Fahrzeuge zulässig.

 

Anpassungen der Fahrzeuganzahlnnen zwei Mal im Jahr jeweils zum 01. April und 01. Oktober vorgenommen werden. Das Unternehmen BIRD hat den Betrieb in Lübeck zum 31.08.2022 eingestellt. Die Gesamtflotte ist ab dem 01.10.2022 wie folgt aufgeteilt:

 

 

In der Qualitätsvereinbarung sind an verschiedenen Stellen (Nummer 4 bis 6) Regelungen getroffen worden, die darauf abzielen den Betrieb störungsfrei für andere Verkehrsteilnehmer:innen sicherzustellen.

 

-          Beim Abstellen von E-Scootern sind Flächen für den fließenden Verkehr, Rettungswege, Durchgänge, Zufahrten, Eingänge, Haltestellen, Bahnsteige, Fahrradabstellanlagen, Brücken, direkt am Wasser gelegene Wege und Plätze, Spielplätze, Bordabsenkungen, Fußgängerquerungen, Mittelinseln, Rampen, Behindertenleiteinrichtungen (taktile Elemente), Anlagen des Straßenbegleitgrüns, Automaten, Aufzüge, Schaltkästen (z.B. für Strom, Telekom, Lichtsignalanlagen), Werbeanlagen, Anlagen der öffentlichen Ver und Entsorgung etc. freizuhalten.

-          Für Fußwege gilt eine Mindestdurchgangsbreite von 1,50 Metern, die nicht durch abgestellte E-Scooter eingeschränkt werden darf. Zudem sind erkennbare Laufachsen freizuhalten.

-          SL definiert überdies freizuhaltende Flächen, in denen das Abstellen der E-Scooter grundsätzlich nicht erlaubt ist („Abstellverbotszonen“). Nutzer:innen, die ihren E-Scooter trotzdem abstellen möchten, werden durch den Anbieter mit geeigneten Maßnahmen daran gehindert.

-          Die E-Scooter werden seitens des Anbieters so aufgestellt, dass keine anderen Verkehrsteilnehmer:innen (insbesondere keine Fußgänger:innen sowie Personen mit Mobilitätseinschränkungen) behindert werden.

 

Ebenfalls ist ein Kontroll- und Sanktionssystem installiert worden:

 

-          Der Anbieter muss die Einhaltung der nach dieser Vereinbarung festgelegten Regelungen durch die Nutzer:innen regelmäßig kontrollieren und bei Nichteinhaltung erforderliche Maßnahmen einleiten.

-          Der Anbieter ist für die Verkehrssicherheit und das gesetzeskonforme Abstellen der E-Scooter verantwortlich.

-          Der Anbieter übernimmt die Kosten für den Fall einer Umsetzung bzw. Entfernung von E-Scootern durch die öffentliche Hand (z.B. aufgrund von Baustellen oder Veranstaltungen oder bei Verstößen gegen diese Vereinbarung).

-          Der Anbieter verpflichtet alle Kund:innen ein Foto vom Abstellort zu machen, überprüft diese Fotos auf nicht erwünschtes Abstellverhalten und leitet ggf. notwendige Maßnahmen ein damit der E-Scooter korrekt aufgestellt wird.

-          Der Anbieter führt fortlaufende Sichtkontrollen durch und ergreift möglichst auch technische Maßnahmen (z.B. GPS-Monitoring), um die Einhaltung des ordnungsgemäßen Abstellens der E-Scooter zu gewährleisten

-          Der Anbieter muss in der Lage sein, die E-Scooter in Echtzeit zu überwachen, um beschädigte, nicht betriebsbereite oder unsachgemäß abgestellte Fahrzeuge schnellstmöglich - innerhalb von zwei Stunden - zu entfernen

 

Die vollständige Qualitätsvereinbarung ist als Anlage 1 diesem Bericht beigefügt.

 

Der Kommunale Ordnungsdienst hat an der Entwicklung der neuen Qualitätsvereinbarung mitgewirkt. Als primäre Behörde zur Verkehrsraumüberwachung begegnet sie den vielfältigen Auswirkungen der E-Tretroller tagtäglich.

 

Die oben genannten Punkte werden durch den Kommunale Ordnungsdienst im Rahmen der normalen Streife überwacht. Werden Verstöße festgestellt, wird darauf im Rahmen der Verhältnismäßigkeit reagiert. Bei gravierenderen Verstößen erfolgen eingriffsintensive Maßnahmen wie Sicherstellungen sowie ggf. die Einleitung von Strafverfahren gegeber den Fahrzeugführer:innen. Parkverstöße nnen selten mit einem Bußgeld belegt werden. Verstöße gegen die Qualitätsvereinbarung sind durch das Ordnungsamt nicht sanktionierbar. Es wird allerdings beobachtet, ab die Anbieter Ihren vereinbarten Pflichten nachkommen. Hier gab es in den vergangenen Wochen und Monatenr den Kommunalen Ordnungsdienst keinen Grund tätig zu werden.

 

Rechtliche Einschätzung:

Die Abteilung Sondernutzung des Bereiches 5.660 - Stadtgrün und Verkehr hat sich inhaltlich mit der Frage auseinandergesetzt, ob der Verleih nicht stationsgebundener E-Scooter, dem sogenannten Free-Floating, im öffentlichen Straßenraum der erlaubnispflichtigen Sondernutzung oder dem erlaubnisfreien Gemeingebrauch zuzuordnen ist. Im Ergebnis wird dabei festgestellt, dass durch den Bundesgesetzgeber die Einordnung in den Gemeingebrauch vorgesehen worden ist. Rechtliche Regelung zur Anwendung des Sondernutzungsrechts sind bisher weder durch den Gesetzgeber noch durch Gerichtsentscheidungen erkennbar.

 

Die vollständige Einschätzung ist als Anlage 2 der Vorlage beigefügt.

 

Diese Einschätzung wird durch den Bereich Recht gestützt. Dort wird Bezug auf das Urteil des OVG Münster genommen.

 

Einzig und erstmalig hat das OVG Münster im Eilverfahren entschieden, dass das Betreiben einer nicht stationsgebundenen Leihfahrräderflotte den Tatbestand der Sondernutzung erfülle. Ob sich diese Einschätzung im Hauptsacheverfahren bestätigt, bleibt abzuwarten, ebenso ob sich diese Regelung analog auf E-Scooter anwenden lässt. Die Entscheidung ist nicht unumstritten und kann nicht generalisierend auf die Einordnung der E-Scooter-Nutzung als Sondernutzung in der Hansestadt Lübeck übertragen werden.

 

Auch der Deutsche Städtetag sowie eine Empfehlung der Ausschüsse für Verkehr, Inneres, Recht und Umwelt des Bundesrates konnten keinen einvernehmlichen Lösungsansatz für die Einordnung der E-Scooter-Nutzung herbeiführen.

 

E-Scooter unterliegen seit 15.06.2019 gemäß der Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung den Vorschriften der StVO. Parken von zugelassenen Fahrzeugen auch Dauerparken ist dem Gemeingebrauch zuzuordnen, solange das Fahrzeug nicht objektiv zu Werbezwecken abgestellt wird.

 

Das Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus kommt zu der Einschätzung, dass auch der neue § 22 StrWG, welcher die Sondernutzung durch stationsbasiertes Carsharing regelt, nicht analog auf E-Scooter anwendbar ist. Das E-Scooter-Verleihmodell sei keine Sondernutzung, sondern als Gemeingebrauch zu qualifizieren.

 

Die vorgenannte Argumentation spricht dafür, dass es zunächst bei der Einordnung als Gemeingebrauch verbleibt.

 

Fazit

Die Entscheidung des OVG Münster hat keine rechtliche Bindung für die Hansestadt Lübeck. Die Entscheidung ist zudem vorerst nur in einem Eil- und noch nicht in einem Hauptsacheverfahren ergangen. Sowohl das Sachgebiet Sondernutzung als auch der Bereich Recht der Hansestadt Lübeck stufen den Verleih von E-Scootern als Gemeingebrauch ein. Das Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus kommt ebenfalls zu einer gleichlautenden Auffassung.

 

Die Beschlusspunkte 1 3 der VO/2021/10629 sind daher nach Einschätzung der Verwaltung auf Basis der bestehenden rechtlichen Regelung nicht möglich und können nicht umgesetzt werden. Sollte das OVG Münster im noch nicht abgeschlossenen Hauptsacheverfahren seine Entscheidung bestätigen, wird eine erneute rechtliche Bewertung erfolgen. Bis zu dieser rechtlichen Klärung ist die Qualitätsvereinbarung ein wirksames Instrument zur Regulierung des Angebots an E-Scootern. Sie wurde 2022 erheblich verschärft und die Anzahl der Fahrzeuge deutlich reduziert. Dies hat bereits zu einer deutlichen Verbesserung im Stadtbild beigetragen. Eine weitere Nachsteuerung ist zudem bei Bedarf glich.

 

 


Anlagen

 

Anlage 1: Qualitätsvereinbarung zur Sicherstellung eines stadtverträglichen E-Tretroller-Verleihsystems

Anlage 2: Straßenrechtliche Bewertung der E-Scooter im Sharing-Modell

 

Anlagen:  
  Nr. Status Name    
Anlage 1 1 öffentlich Anlage 1_Qualitätsvereinbarung zur Sicherstellung eines stadtverträglichen E-Tretroller-Verleihsystems (352 KB)    
Anlage 2 2 öffentlich Anlage 2_Straßenrechtliche Bewertung der E-Scooter im Sharing-Modell (146 KB)    
Stammbaum:
VO/2021/10629   Antrag des Beirats für Senior:innen und des Beirats für Menschen mit Behinderungen: E-Scooter   1.100 - Büro der Bürgerschaft   Antrag des Seniorenbeirates
VO/2021/10629-01   Bericht bzgl. des Antrags des Beirats für Senior:innen und des Beirats für Menschen mit Behinderungen: E-Scooter   5.610 - Stadtplanung und Bauordnung   Bericht öffentlich