Anfrage des AM Dr. Axel Flasbarth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) im Hauptausschuss am 30.04.2024:
In der Bürgerschaftssitzung am 28.3.2024 zog die Verwaltung den Satzungsbeschluss für den Bebauungsplan Geniner Ufer (VO/2024/13013) kurzfristig von der Tagesordnung zurück, weil der städtbauliche Vertrag vom Bauherren noch nicht unterschrieben war. Streitpunkt war der Ausschluss von Zweitwohnungen in ca. 100 der rund 650 dort geplanten Wohneinheiten.
Hierzu erklärte der Bürgermeister in der o. a. Bürgerschaftssitzung, die Verwaltung wäre aufgrund eines Bürgerschaftsbeschlusses von 2019 daran gebunden, dort Zweitwohnsitze auszuschließen. Die Lübecker Nachrichten zitierten den Bürgermeister hierzu am 31.03.2024 mit den Worten: “Ändern Sie den Beschluss, dann haben wir freie Fahrt für freie Investoren.”
Vor diesem Hintergrund möge der Bürgermeister die folgenden Fragen beantworten.
1. In welchem Beschluss hat die Lübecker Bürgerschaft entschieden, in Bebauungsplänen oder städtebaulichen Verträgen generell und außerhalb von Travemünde Haupt-/ Erstwohnsitze vorzuschreiben?
2. In welchen Bebauungsplänen oder städtebaulichen Verträgen außerhalb von Travemünde wurden nach diesem Beschluss der Bürgerschaft Zweitwohnsitze ausgeschlossen? In welchen nicht und warum nicht?
3. Warum hat die Verwaltung trotz dieses Beschlusses versucht, im städtebaulichen Vertrag zum o. a. Bebauungsplan Zweitwohnsitze nur in ca. 100 der rund 650 geplanten Wohneinheiten auszuschließen?
4. Auf welchen Daten über Zweitwohnungen in Lübeck außerhalb von Travemünde beruhte die Entscheidung der Verwaltung, im städtebaulichen Vertrag zum o. a. Bebauungsplan Haupt-/Erstwohnsitze vorzuschreiben? Welche Informationen hat die Verwaltung über die Anzahl und Verbreitung von Zweitwohnungen in Lübeck außerhalb von Travemünde?
5. Wie hoch ist der Anteil von Zweitwohnungen in Wohnquartieren außerhalb von Travemünde, deren Lage und Attraktivität mit dem Geniner Ufer vergleichbar sind?
6. Die von der Verwaltung angestrebten Regelungen zum Ausschluss von Zweitwohnsitzen im städtebaulichen Vertrag zum o. a. Bebauungsplan wurden u. a. kritisiert, da sie für Verkäufer:innen, Vermieter:innen und Erb:innen kaum effektiv zu kontrollieren, aber mit hohen Pönalen versehen waren. Wie vergleichen sich die von der Verwaltung angestrebten Regelungen mit denen in anderen deutschen (Groß-)Städten?
Antwort:
Frage 1: In welchem Beschluss hat die Lübecker Bürgerschaft entschieden, in Bebauungsplänen oder städtebaulichen Verträgen generell und außerhalb von Travemünde Haupt-/ Erstwohnsitze vorzuschreiben?
In der Bürgerschaftssitzung am 28.3.2019 wurde unter der Überschrift Kurswechsel in der Wohnungspolitik (VO/2019/07446) u. a. beschlossen, dass bei der Vermarktung von Baugrundstücken und Wohnungen bevorzugt Lübecker Bürger:innen zu berücksichtigen sind. Entsprechende Städtebauliche Verträge sind mit den Bauherren zu schließen.
Damit hat die Bürgerschaft mittelbar das Anliegen zum Ausdruck gebracht, Baugrundstücke und Wohnungen an Personen zu vergeben, die auch ihren Hauptwohnsitz in der Stadt begründen, da es andernfalls nicht Lübecker Bürger:innen wären.
Im Zuge des Bebauungsplanverfahrens Neue Teutendorfer Siedlung (NTS) wurde im Bauausschuss zudem explizit das Anliegen an die Verwaltung herangetragen, Zweitwohnsitze auszuschließen. Dem Anliegen folgend wurde im Städtebaulichen Vertrag zur Aufstellung des Bebauungsplans 32.61.00 (NTS) eine Eigennutzungs- und Hauptwohnsitzverpflichtung aufgenommen.
Gleichfalls prädestiniert für die Zweitwohnsitznahme sind die Altstadt als Bereich der touristischen Destination Lübeck sowie ergänzend die umliegenden altstadtnahen Bezirke. Gemäß Melderegister lag der Anteil an Nebenwohnungen in der Innenstadt am Jahresende 2024 bei 3,9 %, in St. Jürgen bei 3,2 % sowie in St. Gertrud bei 3,0 %. Diese Anteile liegen signifikant über dem Lübecker Durchschnitt ohne Travemünde von 2,5 %.
Der einzigartige und weite Blick von den Wohnungen der Kopfbauten am Geniner Ufer auf die Kanaltrave und die sieben Türme der historischen Altstadt macht den Bereich für Zweitwohnungen attraktiv. Im Vergleich zu den Wohnungen in der NTS wird die Lage als wesentlich attraktiver für Zweitwohnsitznahmen bewertet.
Mit dem Anliegen der Gleichbehandlung von Entwickelnden und dem Ziel durch neues Baurecht geschaffene Wohnungen für Dauerwohnen vorzusehen, hat die Verwaltung entsprechend auch für diese Teilflächen am Wasser im Entwurf des Städtebaulichen Vertrags zur Erstwohnsitznahme verpflichten wollen.
Frage 2: In welchen Bebauungsplänen oder städtebaulichen Verträgen außerhalb von Travemünde wurden nach diesem Beschluss der Bürgerschaft Zweitwohnsitze ausgeschlossen? In welchen nicht und warum nicht?
Eine Erstwohnsitzverpflichtung ist dort ein effektives Steuerungsinstrument um dauerhaft bewohnte Wohnungen durchzusetzen, wo von einem nennenswerten Umfang an Zweitwohnsitzen aufgrund der Attraktivität der Lage auszugehen ist. Dies betrifft außerhalb von Travemünde insbesondere die Altstadt (3,9 %) und die altstadtnahen Quartiere, insbesondere die mit Wasserbezug östlich und südöstlich der Altstadt (3,5 – 4,7 %). Im neuen Wohnquartier am Falkendamm mit vergleichbarer Lage zum Quartier am Geniner Ufer beträgt der Anteil an Nebenwohnungen sogar knapp 6 %.
Das rechtliche Instrument der grundbuchlichen Sicherung ist erst seit wenigen Jahren bekannt, so dass in den genannten Gebieten mangels aktueller Bebauungsplanverfahren bisher i. d. R. keine Maßgaben erfolgten.
Auf der Nördlichen Wallhalbinsel wurde jedoch die verpflichtende Erstwohnsitznahme im Städtebaulichen Vertrag geregelt. Im Februar 2025 erfolgte die Abstimmung mit dem Grundbuchamt für die Eintragung der Dienstbarkeit.
Während des Verfahrens zur Quartiersentwicklung im Bereich Geniner Ufer war es entsprechend Ziel, dieses Instrument für die Wohnungen in den Kopfbauten gleichbehandelnd vorzusehen.
Aufgrund des Votum des Bauausschusses wurde dieser Passus jedoch wieder aus dem städtebaulichen Vertrag herausgenommen.
Frage 3: Warum hat die Verwaltung trotz dieses Beschlusses versucht, im städtebaulichen Vertrag zum o. a. Bebauungsplan Zweitwohnsitze nur in ca. 100 der rund 650 geplanten Wohneinheiten auszuschließen?
Ein Ausschluss von Zweitwohnungen durch grundbuchliche Sicherung der Erstwohnsitznahme sollte vor dem Hintergrund des attestierten, angespannten Wohnungsmarktes für die Gebäude mit Wasserblick entlang des Geniner Ufers vereinbart werden. Die Wohnungen verfügen neben dem weiten grüngesäumten Wasserblick zudem über einen einmaligen Blick auf die sieben Türme. Die Wohnungen sind für den Verkauf als Eigentumswohnungen vorgesehen. Die Wahrscheinlichkeit der Zweitwohnsitznahme als investive Anlage ist hier aufgrund der Lage am Größten.
Frage 4: Auf welchen Daten über Zweitwohnungen in Lübeck außerhalb von Travemünde beruhte die Entscheidung der Verwaltung, im städtebaulichen Vertrag zum o. a. Bebauungsplan Haupt-/Erstwohnsitze vorzuschreiben? Welche Informationen hat die Verwaltung über die Anzahl und Verbreitung von Zweitwohnungen in Lübeck außerhalb von Travemünde?
Die Kommunale Statistikstelle der Hansestadt Lübeck erhebt auf Basis des Melderegisters die Zahl der Nebenwohnungen. Diese können für die Stadtteile, die statistischen Bezirke und die Baublöcke abgefragt werden.
Frage 5: Wie hoch ist der Anteil von Zweitwohnungen in Wohnquartieren außerhalb von Travemünde, deren Lage und Attraktivität mit dem Geniner Ufer vergleichbar sind?
Im Wohngebiet am Falkendamm gibt es Zweitwohnsitze, optisch feststellbar als Rolladen-Wohnungen. Der Anteil liegt bei knapp 6 %.
Frage 6: Die von der Verwaltung angestrebten Regelungen zum Ausschluss von Zweitwohnsitzen im städtebaulichen Vertrag zum o. a. Bebauungsplan wurden u. a. kritisiert, da sie für Verkäufer:innen, Vermieter:innen und Erb:innen kaum effektiv zu kontrollieren, aber mit hohen Pönalen versehen waren. Wie vergleichen sich die von der Verwaltung angestrebten Regelungen mit denen in anderen deutschen (Groß-)Städten?
Das Vorgehen wird mit dem Vorgehen in den Gebieten in Travemünde, in welchen auf Wunsch der Politik Zweitwohnsitze ausgeschlossen wurden (vier Bestands-Wohngebiete, NTS und Pommernzentrum) verglichen.
Die LEG als erster Entwickler der NTS wurde im Bauausschuss aufgefordert, die Ausschlussmöglichkeiten von Zweitwohnsitzen rechtlich zu prüfen. Der von der LEG beauftragte Rechtsanwalt hat als geeignetes Instrument die grundbuchliche Sicherung ermittelt und hierbei Bezug auf die Prüfung dieses Instruments auf der Insel Sylt genommen. In der Zwischenzeit wurde auf Sylt bei einem uns bekannten Bebauungsplanverfahren der Vorhabenträger verpflichtet eine Dienstbarkeit mit erster Rangstelle in das Grundbuch einzutragen, dass die Grundstücke nur durch Personen mit Hauptwohnsitz und Lebensmittelpunkt auf Sylt oder durch für mindestens fünf Monate pro Jahr in Sylter Betrieben arbeitende Personen genutzt werden dürfen.
Die Regelungen in anderen (Groß-)Städten bei der Neuentwicklung von Wohnquartieren wurden nicht recherchiert.
Mit dem beschriebenen Vorgehen werden in Lübeck nur neu zu entwickelnde Wohngebiete mit der Verpflichtung zur Erstwohnsitznahme belegt. Es erfolgt somit kein Eingriff in bestehendes Eigentum, die jeweiligen Käufer:innen erwerben das Wohneigentum in Kenntnis dieser Auflagen. Bei den vier B-Plänen für die vorhandenen Wohnquartiere in Travemünde wurde entsprechend für genutzte Nebenwohnungen Bestandsschutz auch für nachfolgende Bewohner:innen geregelt.
Zu den v. g. vier B-Plangebieten gibt es durchaus Anfragen, die wir entsprechend rückmelden. Die Verwaltung geht davon aus, dass die Regelungen befolgt werden. Grundsätzlich sind Eigentümer zur Erfüllung von Dienstbarkeiten verpflichtet. Eine Kontrolle würde bei Vorliegen eines begründeten Verdachts des Verstoßes gegen die Grunddienstbarkeit erfolgen. Die Stadt hat als Begünstigte der Grunddienstbarkeit einen Anspruch auf Unterlassung bzw. Beseitigung fortdauernder Verstöße gegenüber dem jeweiligen Grundstückseigentümer. Der Anspruch kann auch klageweise durchgesetzt werden.