Veröffentlicht am 23.06.2014

Senator Schindler legt dritten Armuts- und Sozialbericht vor

Umfangreiche Faktensammlung wird in Fachausschüssen und Bürgerschaft beraten

Sozialsenator Sven Schindler hat heute gemeinsam mit der Leiterin des Bereichs Soziale Sicherung, Claudia Schwartz, den dritten Armuts- und Sozialbericht vorgelegt. Die Faktensammlung knüpft weitgehend an den Stand von 2006 an und beschreibt die Entwicklung bis zum Stichtag 31. Dezember 2012, teilweise auch darüber hinaus. Der Bericht verzichtet auf wertende Darstellungen und enthält auch keine Handlungsempfehlungen. Die Autorinnen und Autoren - Christa Nötzel (Soziale Sicherung), Dr. Gerhard Bender (Statistik), Renate Heidig und Petra Albrecht (Jugendhilfeplanung) - waren bemüht, eine möglichst objektive und wissenschaftlich fundierte Beschreibung der sozialen Verhältnisse zu leisten. Der rund 130 Seiten starke Bericht soll damit die im politischen Diskurs notwendige sachliche Basis bereitstellen.

Nachdem die Kernaussagen des Berichts heute den Medien vorgestellt worden sind, wird er in den Fachausschüssen beraten, ehe er von der Bürgerschaft zur Kenntnis genommen wird. Schindler: „Ich würde mich freuen, wenn der Armuts- und Sozialbericht zu einer strategischen Auseinandersetzung über soziale Ungleichheit in Lübeck führt und durch eine gemeinsame Anstrengung der Politik und der sozialen Akteurinnen und Akteure zum Engagement und gezielten Handeln zum Wohle der betroffenen Menschen in unserer Stadt beiträgt.“

Mit dem nun vorliegenden Armuts- und Sozialbericht werden die im Armutsbericht 2006 beschriebenen Sachverhalte fortgeschrieben und um weitere Analysen ergänzt. Diese Beschreibung der sozialen Lage in der Hansestadt Lübeck kann jedoch nur eingeschränkt unterstützend für die weitere Bekämpfung der Armut sein, denn die sozialen und gesellschaftlichen Entwicklungen werden heute zunehmend durch nationale oder globale Rahmenbedingungen bestimmt. So stehen insbesondere den Kommunen durch die Höhe der Schulden aller öffentlichen Körperschaften immer weniger finanzielle Mittel zur Schaffung von Arbeitsplätzen, zur Weiterentwicklung des Bildungssystems und somit auch zur Vermeidung von Lebensbedingungen, die Armut überhaupt erst entstehen lassen, zur Verfügung.

Die Hansestadt Lübeck hat eine lange Tradition in den Bemühungen zur Bekämpfung der Armut. Dafür steht symbolisch nicht nur das Heilig-Geist-Hospital, auch die privaten Stiftungen und Verfügungen sind ein besonderes Merkmal der lübeckischen städtischen Entwicklung, denn es gehörte zur guten Tradition wohlhabender Bürger, einen Teil des Vermögens den Armen testamentarisch zu widmen.

Die dem Bericht zugrunde liegenden Daten sind zum Teil Aufbereitungen aus der amtlichen Statistik des Statistischen Landesamtes für Hamburg und Schleswig-Holstein bzw. der Bundesagentur für Arbeit. Ein weiterer Teil entstammt Auswertungen kommunaler Verwaltungsregister. Die Statistiken werden intern monatlich, quartalsweise bzw. jährlich im Sinne einer laufenden Raumbeobachtung fortgeschrieben. Ausgesuchte Basisdaten zur sozialen Entwicklung in der Hansestadt Lübeck werden regelmäßig auf den Statistikseiten der Hansestadt Lübeck im Internet veröffentlicht.

Die Arbeitsmarktstrukturen befinden sich im Wandel. Im Zuge der Flexibilisierung und Deregulierung des Arbeitsmarktes sinkt die Zahl der Normalarbeitsverhältnisse. Dagegen nehmen Teilzeitarbeit und andere atypische Beschäftigungsverhältnisse wie Leiharbeit und geringfügige Beschäftigung an Bedeutung zu. Rund 43 Prozent der Lübecker Beschäftigungsverhältnisse sind lt. Datenbank des WSI (Wirtschaft- und Sozialwissenschaftliches Institut) derzeit (2012) atypisch. In 2006 waren es erst 40 Prozent. Von 2008 bis 2012 hat sich der Anteil der Teilzeitbeschäftigten an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Hansestadt Lübeck um 34 Prozent erhöht. Der Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung (+ 6,3 Prozent) und die Abnahme der Arbeitslosigkeit (- 2,2 Prozent) gründen ganz wesentlich auf den Ausbau der Teilzeitbeschäftigung. Rund 28 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Lübeck waren 2012 Teilzeitbeschäftigte. Ca. 79 Prozent aller Teilzeitbeschäftigten sind Frauen.

Durch die Ausweitung atypischer Beschäftigungsverhältnisse, die nur selten Existenz sichernde Einkommen garantieren, geraten zunehmend mehr Erwerbstätige - zumal wenn sie im Niedriglohnbereich beschäftigt sind - in Abhängigkeit staatlicher Fürsorgeleistungen. In 2012 waren rund 30 Prozent der ALG II-Bezieher nicht arbeitslos, sondern erwerbstätig. In 2006 lag der Anteil der „Aufstocker“ um rund 40 Prozent niedriger. Auch deswegen ist die Zahl der erwerbsfähigen ALG II-Bezieher - trotz sinkender Arbeitslosigkeit - nur mäßig von 22.732 in 2006 auf 20.282 Personen in 2012 zurückgegangen.

Insgesamt hat sich die Zahl der SGB II-Leistungsbezieher (inkl. Kinder) um elf Prozent auf rund 28.000 reduziert, ist die Hartz IV-Quote (SGB II Leistungsbezieher pro 100 Einw. < 65 Jahre) von 18,8 auf 16,9 Prozent gesunken. Zurückzuführen ist das auf die Zunahme der Beschäftigung und auf Reformen des Kindergeld- und Wohngeldgesetzes, die es erwerbstätigen einkommensschwachen Familien ermöglichen, aus dem Hartz IV Leistungsbezug auszusteigen. Gleichwohl sind diese Menschen aufgrund ihres niedrigen Einkommens zumeist aber weiterhin armutsgefährdet. So ist die Zahl der Haushalte, die Wohngeld beziehen, von 2006 bis 2012 um fast ein Drittel von 2.998 auf 3.976 gestiegen. Das Wohngeld soll einkommensschwache Haushalte vor dem Abgleiten in die Hilfebedürftigkeit bewahren. Viele Haushalte, insbesondere Rentner-Haushalte, versuchen daher zunächst mit Hilfe des Wohngeldbezuges über die Runden zu kommen, obgleich sie damit finanziell nicht wesentlich besser gestellt sind, als wenn sie Mindestsicherungsleistungen beanspruchen würden. Rund 40 Prozent der Wohngeldbezieherhaushalte sind Rentner-Haushalte. Hinter den Zahlen der Wohngeldbezieherhaushalte verbirgt sich ein Potenzial der Hilfebedürftigkeit, das, sollten die Renten weiter sinken, die Altersarmut (Grundsicherung im Alter) weiter ansteigen lassen würde.

Fast die Hälfte der Lübecker Rentner, davon sind zwei Drittel Frauen, beziehen Renten, deren Zahlbeträge unterhalb des Existenzminimums liegen. Sofern die Einkommensdefizite in der Haushaltsgemeinschaft nicht kompensiert werden können – weil auch die Rentner häufiger denn je allein leben - sind vermehrt viele von ihnen auf Sozialhilfeleistungen angewiesen. Von 2006 bis 2012 ist die Zahl der Bezieher von Grundsicherung im Alter in Lübeck um fast 40 Prozent auf rund 2600 Personen gestiegen. Die Lübecker Grundsicherungsquote der über 65-Jährigen erhöhte sich von 3,9 auf 5,2 Prozent und lag damit über dem schleswig-holsteinischen Landesdurchschnitt von 2,8 Prozent.

Aufgrund der finanziellen Problemlage der vielen Alleinerziehenden-Haushalte ist auch die Kinderarmut nur mäßig zurückgegangen. Ende des Jahres 2012 lebten in Lübeck rund 7.200 Kinder von Fürsorgeleistungen nach SGB II, das waren 1.100 hilfebedürftige Kinder weniger als 2006. Gegenüber 2006 ist die Hartz IV-Quote der Kinder unter 15 Jahren zwar von 29,9 auf 27,3 Prozent (2012) gefallen, lag damit aber noch weit über dem schleswig-holsteinischen Landesdurchschnitt von 15,2 Prozent. Regionale Unterschiede bestehen aber nicht nur zwischen Stadt und Land, sondern auch innerhalb der Stadt selbst. So liegt die Hartz IV-Quote der Kinder in Moisling z.B. bei über 50 Prozent.

Familien bzw. Haushalte mit Kindern sind besonders armutsgefährdet. Auch deswegen konzentriert sich die Armut der erwerbsfähigen Bevölkerung Lübecks hauptsächlich auf die kinderreichen Wohnquartiere. Zwar ist die Hartz IV-Quote der Haushalte in Moisling und Buntekuh etwas gesunken, mit 35,9 bzw. 31,9 Prozent stehen Moisling und Buntekuh aber immer noch ganz oben auf der innerstädtischen Rangliste der Armutsverteilung. Überdurchschnittlich viele (über 18,5 Prozent) nach SGB II hilfebedürftige Haushalte finden sich z. B. aber auch in Eichholz, Kücknitz und Falkenfeld.

Obgleich der finanzielle Spielraum auf Grund der prekären Haushaltslage stark eingeschränkt ist, ist die Hansestadt Lübeck sehr engagiert, das Bildungsangebot für alle Altersgruppen zu optimieren. Unterstützend wirkt dabei der Lübecker Bildungsfonds.

Hintergrund: Lübecker Armutskonferenzen. Seit 2007 werden in Lübeck von einem breiten Zusammenschluss von Verbänden Armutskonferenzen zu verschiedenen Schwerpunktthemen durchgeführt. Bisher haben stattgefunden:

1. Lübecker Armutskonferenz (2007)

2. Lübecker Armutskonferenz (2008)

3. Die Armut Jugendlicher (2009)

4. Altersarmut (2010)

5. Migration und Armut (2011)

6. Alleinerziehende und Armut (2012)

7. Armut als Krankheitsrisiko (2013)

8. Gesellschaftliche Teilhabe (2014)

Die jährlich stattfindenden Lübecker Armutskonferenzen sind im politischen Alltag inzwischen fest verankert.

Lübecker Armutsberichte: Bereits im Frühjahr 1989 wurde durch das damalige Sozialamt der Hansestadt Lübeck die Erstellung eines Gutachtens zur Bekämpfung der Armut beauftragt, welches 1991 durch ein Sozialforschungsbüro vorgelegt wurde. (Lübeck 1991). Am 22. Februar 2001 beschloss die Bürgerschaft die Erstellung eines „ersten“ Lübecker Armuts- und Sozialberichtes, der sich in die zwei Teile Datengrundlage und Textteil gliederte. Daraufhin wurde 2003 zunächst der Lübecker Sozialatlas als Datengrundlage vorgelegt, der seinen Schwerpunkt in der graphischen und erstmalig auch kleinräumigen kartographischen Darstellung hatte. Aufgrund des Bürgerschaftsbeschlusses vom 25. 09. 2003 wurde dann in 2005 der zugehörige Textteil erstellt. Am 29. Juni 2006 wurde von der Bürgerschaft einstimmig beschlossen, den Armuts-Sozialbericht Teil 1 ‚Sozialatlas’ fortschreiben zu lassen. Dies führte im Juni 2008 zur Erstellung des zweiten Lübecker Armuts- und Sozialberichtes, der über einen Textteil und einen umfangreichen Tabellenanhang verfügte, der es ermöglichte, alle 20 Sozialbezirke der Hansestadt Lübeck anhand eines Indikatorenkataloges differenziert zu betrachten. Der Bericht hatte überwiegend die soziale Entwicklung der Jahre 2002 – 2006 im Blickpunkt. +++