Veröffentlicht am 29.04.2014

Gesundheitsamt: Kinder müssen sich mehr bewegen!

Kinder- und Jugendärztlicher Dienst: Sitzender Lebensstil ungesund – Eltern als Vorbild

Der Kinder- und Jugendärztliche Dienst des Gesundheitsamtes der Hansestadt Lübeck unterstützt gemeinsam mit zahlreichen Menschen aus Wissenschaft, öffentlichem Dienst, Wirtschaft und Gesellschaft, die sich in der Plattform Ernährung und Bewegung e. V. (peb) engagieren, den Aufruf für mehr Bewegung von Kindern. Denn „viele gesundheitlichen Beeinträchtigung und Krankheiten von Kindern und Jugendlichen lassen sich auch aus unseren Untersuchungen auf ‚ungesunde’ Verhaltensweisen und Lebensstile zurückführen. Es ist zusätzlich zu den organischen Beeinträchtigungen auch das Befinden, die seelische Ausgeglichenheit, die durch den Bewegungsmangel leidet. Für eine ‚gesunde’ und gute Entwicklung der Lübecker Kinder hat ihr Befinden höchste Bedeutung. Der Gesundheit und dem Befinden gilt unsere Aufmerksamkeit und dafür setzt sich der Kinder- und Jugendärztliche Dienst des Gesundheitsamtes ein“, so Dr. Kaschlin Butt, Leiterin des Kinder- und Jugendärztlichen Dienstes des Gesundheitsamt der Hansestadt Lübeck.

Der sitzende Lebensstil umfasst alle Verhaltensweisen, die im Sitzen oder Liegen ausgeführt werden und damit einen niedrigen Energieverbrauch aufweisen. Typische Beispiele sind Mediennutzungszeiten, Lernsituation in der Schule und Zuhause oder der Transport in motorisierten Fahrzeugen. Der Alltag lädt in vielfältiger Art und Weise zum Sitzen ein und ist dominiert von langen Sitzzeiten. Ein bereits im Kindesalter „erlernter“ sitzender Lebensstil wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch im Jugend- und Erwachsenenalter beibehalten – dem sollte möglichst früh entgegengewirkt werden.

Der sitzende Lebensstil ist neben weiteren Faktoren, wie beispielsweise Fehlernährung, Bewegungsmangel und Schlafmangel ein ausgewiesener Risikofaktor für die Gesundheit. Er erhöht das Risiko u.a. für Typ 2 Diabetes und Herz- Kreislauferkrankungen. Bereits im Kindes- und Jugendalter sind unterschiedliche negative Zusammenhänge zwischen einem sitzenden Lebensstil und der Gesundheit zu beobachten, wie ein höheres Risiko für Übergewicht und Stoffwechselerkrankungen. Darüber hinaus zeigt sich eine geringere körperliche Fitness, motorische und intellektuelle Leistungsfähigkeit sowie eine verringerte Knochendichte. Zudem kommt es häufiger zu aggressiven Verhaltensweisen.

Dr. Butt: „Daher setzen auch wir uns dafür ein, zur Bewegung zu aktivieren. Sitzen unterbrechen, sitzen reduzieren!“ Der Kinder- und Jugendärztliche Dienst gibt folgende Empfehlungen:

In der Kinderkrippe und im Kindergarten kann dem sitzenden Lebensstil bereits sehr früh und damit besonders nachhaltig entgegengewirkt werden, indem das ganze „System“ Kita berücksichtigt wird und beispielsweise

  • Bewegungszeiten und -rituale zum täglichen festen Bestandteil des Kita-Alltags werden (vergleichbar mit Essenszeiten),
  • Bewegung als „natürlicher Modus“ von Kindern akzeptiert und ermöglicht wird,
  • das Verhältnis von Bewegungsplatz und Sitzmöbeln überdacht wird und Bewegungsräumen und Freiflächen im Zweifel Vorrang gegeben wird,
  • Kinder täglich draußen spielen und Wegstrecken (z.B. bei Ausflügen) möglichst zu Fuß zurücklegen,
  • Bewegungsanforderungen beim Neu- und Umbau von Kitas sowie bei der Planung des Alltags Berücksichtigung finden,
  • die Gesundheit der pädagogischen Fachkräfte gestärkt wird, damit sie als Vorbilder wirken können.

Mit dem Schuleintritt steigen die Sitzzeiten sprunghaft an. Dem können Schulen entgegenwirken, indem das ganze „System“ Schule berücksichtigt wird und beispielsweise

  • Sitzen alle 20 min. durch Bewegung (-s-Einheiten) unterbrechen,
  • Steh-Lernplätze schaffen sowie bewegungsorientierte Didaktik umsetzen,
  • einen aktiven Schulweg (zu Fuß, per Roller, per Rad usw.) fördern,
  • kurze Pausen (5-Minuten-Pausen) als Bewegungspausen nutzen,
  • die Kinder in jeder großen Pause auf den Schulhof gehen– in jedem Alter, bei jedem Wetter,
  • Pausenhof und -halle bewegungsfördernd gestaltet werden,
  • Kooperationen mit Sportvereinen angeregt und gestärkt werden,
  • der Bewegungsanteil im Sportunterricht ausgebaut wird,
  • die Gesundheit der Lehrkräfte gefördert wird, damit diese als Vorbilder wirken können.

In der Kommune leben, lernen und bewegen sich Kinder mit ihren Familien Tag für Tag. Auch die Kommune kann dem sitzenden Lebensstil entgegenwirken, indem das ganze „System“ Kommune berücksichtigt wird und beispielsweise

  • die bewegungsförderliche Gestaltung des Wohnumfeldes in der Landschafts- und Stadtplanung als Prinzip etabliert wird, so dass Bewegungsanlässe in Alltag und Freizeit als eine naheliegende und einfache Option ermöglicht werden,
  • Frei- und Bewegungsflächen (z.B. Schulhöfe, Brachen) freigegeben werden,
  • neue Freiflächen und Bewegungsräume unter Beteiligung der Kinder geschaffen werden,
  • sichere und attraktive Kita- und Schulwege (z.B. Walking Bus) unterstützt werden,
  • sichere und attraktive Bewegungsmöglichkeiten im Wohnumfeld geschaffen werden, die eine eigenständige Mobilität von Kindern ermöglichen,
  • Schwimmunterricht und Kooperationen zwischen Schulen und Sportvereinen gefördert werden.

Das Zuhause ist und bleibt der prägende Ort für Kinder und ist damit entscheidend dafür, dem Sitzenden Lebensstil entgegenzuwirken, indem das ganze „System“ Familie berücksichtigt wird und beispielsweise

  • Mediennutzungszeiten dem Alter entsprechend begrenzt werden und die Selbstwahrnehmung für Medienkonsum unterstützt wird,
  • Kinderzimmer frei von Bildschirmmedien bleiben,
  • Begrenzungen und verbindliche Regeln für Medienzeiten gemeinsam aufgestellt werden,
  • alle 20 min. für Sitzunterbrechungen gesorgt wird,
  • Tragevorrichtungen, Mobilitätshilfen, Wippen u. ä. für Babys und Kleinkinder nur dosiert einsetzt werden, Kinder täglich mind. eine Stunde draußen spielen,
    • Kinderzimmer zu Bewegungszimmern gemacht werden,
  • gemeinsam verbindliche Bewegungszeiten im Alltag geplant werden,
  • Alltagswege aktiv zurückgelegt werden (keine „Rücksitzkinder“)
  • Eltern als bewegte und bewegende Vorbilder wirken.

Kinder- und Jugendärzte genießen das Vertrauen der Eltern. Dies können sie nutzen, um dem Sitzenden Lebensstil entgegenzuwirken, indem sie beispielsweise

  • Sitzzeiten, Bewegungsverhalten und Medienkonsum in Vorsorgeuntersuchungen ansprechen,
  • Eltern altersentsprechende Handlungsempfehlungen für den Familienalltag geben,
  • die Wartezimmersituation für Information und alltagspraktische Anregungen nutzen. +++