Vorlage - VO/2024/12975  

Betreff: Umbenennung der Völkerkundesammlung der Hansestadt Lübeck
Status:öffentlich  
Dezernent/in:Senatorin Monika Frank
Federführend:4.041.7 - Lübecker Museen Bearbeiter/-in: Schulenburg, Silke
Beratungsfolge:
Senat zur Senatsberatung
Ausschuss für Kultur und Denkmalpflege zur Vorberatung
11.03.2024 
8. Sitzung des Ausschusses für Kultur und Denkmalpflege unverändert beschlossen   
Hauptausschuss zur Vorberatung
26.03.2024 
12. Sitzung des Hauptausschusses unverändert beschlossen   
Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck zur Entscheidung
28.03.2024 
7. Sitzung der Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck in der Wahlpriode 2023 - 2028 unverändert beschlossen   

Beschlussvorschlag
Finanzielle Auswirkungen
Sachverhalt
Anlage/n

Beschlussvorschlag

Der Bürgermeister wird beauftragt, die »lkerkundesammlung« der Hansestadt Lübeck in »Sammlung Kulturen der Welt« umzubenennen.


 


Verfahren

 

Bereiche/Projektgruppen

Ergebnis

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Beteiligung von Kindern und Jugendlichen

 

Ja

gem. § 47 f GO ist erfolgt:

X

Nein- Begründung:

Die Belange von Kindern und Jugendliche sind durch die Umbenennung nicht berührt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Maßnahme ist:

 

neu

 

X

freiwillig

 

 

vorgeschrieben durch: 

 

 

 

 

 

 

Finanzielle Auswirkungen:

 

Ja (Anlage 1)

 

X

Nein

 

Auswirkung auf den Klimaschutz:

 

Nein

 

 

Ja Begründung:

 

 

 

 

 

 

Begründung der Nichtöffentlichkeit

gem. § 35 GO:

 

 

 

 


Begründung

 

Zur Problematik des »lkerkunde«-Begriffes

 

Die »lkerkunde« entstand als Wissenschaft in der Hochzeit des Europäischen Kolonialismus. Anders als die heutige Ethnologie war sie weniger von der Wertschätzung kultureller Vielfalt geprägt, sondern strebte danach, Menschen in vermeintlich universell gültigen Entwicklungshierarchien zu klassifizieren. Ausgehend von der Annahme, dass nur die Menschen Westeuropas die höchste Entwicklungsstufe erreicht hätten, diente die Völkerkunde auch der Rechtfertigung des deutschen Herrschaftsanspruches in aller Welt, einschließlich der Ausbeutung und Unterdrückung der kolonisierten Länder und Menschen. Auch nach Ende der Deutschen Kolonialzeit 1918 blieb die Völkerkunde weitgehend kolonialrevisionistisch, li sich im Dritten Reich von den Nationalsozialisten vereinnahmen und leistete die theoretische Legitimation für deren faschistische Rassenideologie.

 

 

Ethnologische Einrichtungen im Umbruch

 

Die Entstehung der Völkerkundesammlungen und der eigenständigen völkerkundlichen Museen in Deutschland sind untrennbar mit dem Kolonialismus verbunden. Mit ihrer stereotypen Beschreibung von abgegrenzten »lkern« und »Ethnien« waren sie lange Zeit Anschauungsort kolonialer Haltungen. Heute ist sowohl eine solche Haltung als auch der mit diesen Anschauungen aufgeladene Begriff der »lkerkunde« nicht mehr zeitgemäß.

Seit 1945 befinden sich ethnologische Museen und Sammlungen in Deutschland und Europa daher in einem Umbruch. Um sich von den einstigen Ideologien zu distanzieren, hinterfragen sie ihr schwieriges koloniales Erbe aus heutiger Sicht, kontextualisieren ihre Sammlungen in größeren und historischen Weltzusammenhängen und bemühen sich um eine multiperspektivische Betrachtung von Kulturen und deren Beziehungen untereinander, indem sie die Zusammenarbeit mit Herkunftsgesellschaften und Migrationsgemeinschaften suchen.

Da öffentlich verwendete Begriffe immer auch Zeitgeist bezeugen, haben nahezu alle Studiengänge, Museen und Sammlungen in Deutschland seit 1945 die Bezeichnung »lkerkunde« abgelegt, sei es das »Museum Fünf Kontinente« in München, das »Museum der Weltkulturen« in Frankfurt, das »Humboldt Forum« in Berlin oder das Hamburger »Das Museum am Rothenbaum Kulturen und Künste der Welt«. Und die einstige »Deutsche Gesellschaft für Völkerkunde« hat sich in »Deutsche Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie« umbenannt.

 

 

Zum Selbstverständnis und zur Umbenennung der Lübecker »lkerkundesammlung«

 

Auch die jüngsten Erfahrungen der Lübecker Völkerkundesammlung zeigen, dass ihr Name oft falsche Assoziationen weckt. Er schreckt nicht nur ein jüngeres Publikum und Menschen mit Migrationshintergrund ab, sondern erschwert auch die Gewinnung von überregionalen Geldgebern oder Kooperationspartnern. Die vielleicht naheliegende, simple Umbenennung in »ethnologische Sammlung« erscheint dabei nicht zielführend, da dieser Name für ein nichtakademisches Publikum unverständlich ist.  Der Name wäre zudem unzutreffend, da die Sammlung mehrheitlich eben keine nach streng wissenschaftlichen Kriterien zusammengetragene Studiensammlung ist. Sie setzt sich vielmehr überwiegend aus Schenkungen von in Übersee tätigen Lübecker:innen ohne akademische Ambitionen zusammen, ist also ein Zeugnis der vielfältigen globalen Beziehungen der Hansestadt und ein Stückweit auch der Weltoffenheit ihrer Bürger:innen.

In ihrem heutigen Selbstverständnis versteht sich die Sammlung als ein durchaus auch selbstkritischer Spiegel globaler Beziehungen und kulturellen Vielfalt der Welt. Indem sie fundiert und dialogisch über historische und heutige Zusammenhänge informiert, übernimmt sie eine wichtige Funktion in der Erinnerungskultur, der gesellschaftspolitischen Bildung sowie der Förderung von Frieden und Demokratie in Lübeck und der Welt. Sie arbeitet dabei wissenschaftlich über die Ethnologie hinaus multidisziplinär, ihr Fokus und Fundament bleiben bedingt durch ihren Objektbestand und in Abgrenzung zu den anderen Häusern der Lübecker Museen aber stets die Betrachtung von Kulturen. Als zeitgemäßer Name bietet sich daher die Bezeichnung »Sammlung Kulturen der Welt« an.

 

 

Abstimmung mit der »interfraktionellen Arbeitsgruppe« und der »Gesellschaft für Geographie und Völkerkunde e.V.«

 

Die Umbenennung der Sammlung wurde im Grundsatz bereits von der interfraktionellen Arbeitsgruppe befürwortet, die gem. Bürgerschaftsbeschluss von 2018 eingesetzt wurde (VO/2018/06754), um die Umsetzung der Einrichtung eines Museums zur dauerhaften Präsentation der ethnologischen Sammlungsbestände zu begleiten. Eine weitere politische Befassung mit dem von der Arbeitsgruppe abgestimmten Konzeptpapier hat noch nicht stattgefunden, da die Standortfrage noch nicht geklärt werden konnte.

Die Namensänderung sollte nun jedoch losgelöst von weiteren Entscheidungen zur zukünftigen Präsentation der Völkerkundesammlung zügig erfolgen, um dem Selbstverständnis der Lübecker Sammlung auch nach außen adäquat und deutlich Ausdruck zu verleihen.

Darüber hinaus hat sich die Sammlung bei der Namensfindung eng mit der »Gesellschaft für Geographie und Völkerkunde zu Lübeck« abgestimmt, die aus den o.a. Gründen ebenfalls eine Umbenennung anstrebt und in ihrer Jahreshauptversammlung im März über den Namensvorschlag »Gesellschaft für Geographie und Kulturen der Welt« entscheiden lassen wird.

Mit ihrer abgestimmten, zeitgleichen Umbenennung möchten Sammlung und Gesellschaft gemeinsam ein starkes und deutliches Zeichen für eine offene, demokratische und friedliche Stadtgesellschaft setzen.


 


Anlagen

keine