Rot-Buche

Fagus sylvatica - Baum des Jahres 1990 und 2022

Außer Konkurrenz
Natürlich macht es mich stolz, dass ich schon zum zweiten Mal zum Baum des Jahres gewählt wurde. Wundern tut es mich allerdings nicht, denn ich bin die häufigste Laubbaumart in deutschen Wäldern. Bis zu 45 Metern kann ich dort im Bestand in die Höhe wachsen. Je dichter dieser Bestand ist, um so schlanker und astfreier entwickelt sich mein Stamm. Oben auf sitzt dann eine zum Licht hin orientierte Krone. Sie ist es auch, die mich gegenüber anderen Bäumen so konkurrenzstark macht. Das Zauberwörtchen heißt Schatten und meine Schattenstrategie hat gleich mehrere Dimensionen. Wegen meines dichten Blätterdachs kann erstens kaum ein anderer Baum unter mir heranwachsen. Zweitens treiben meine Blätter über mehrere Wochen von unten nach oben aus. So bekommen auch diejenigen Triebe, die später von meiner Krone überschattet werden, ausreichend Licht, um auszutreiben. Und drittens kann mein eigener Nachwuchs über viele Jahre geduldig warten, bis eine alte Buche fällt und er genug Licht zum Heranwachsen bekommt. Wenn Sie beim nächsten Spaziergang einmal darauf achten, werden Sie einen Buchenwald am fehlenden Unterwuchs sehr leicht erkennen. Finden Sie mich auf freier Fläche, sieht das anders aus: Dort nehme ich mir Platz, um mich richtig zu entfalten. Schon nach wenigen Metern entwickele ich auf Freiflächen einen stattlichen Stamm mit einer breit ausladenden Krone.

Ein europäischer, ja typisch deutscher Baum
Was meine Ansprüche betrifft, würde ich mich als umgänglich beschreiben. Das Klima darf für mich nur nicht allzu kontinental sein. Das heißt, die Sommer nicht zu trocken, die Winter nicht zu kalt und das Frühjahr möglichst ohne Spätfröste. Als Richtwert können Sie sich außerdem merken: Solange mehr als 650 mm Regen pro Jahr fallen, kann mir kaum ein anderer Baum das Wasser reichen. Von der Atlantikküste bis in den Süden und Südosten Europas gibt es daher genug Standorte, die für mich in Frage kommen. Ich bin also ein durch und durch europäischer Baum. Dürfte ich mir aber nur ein Land zum Leben aussuchen, wählte ich Deutschland. Vom norddeutschen Flachland über die Mittelgebirge bis zum Alpenraum finde ich hier in allen Regionen geeignete Lebensräume.

Und trotzdem: Obwohl ich als waschechte Europäerin wahrgenommen werde, bin ich aus erdzeitlicher Perspektive noch nicht sehr lange hier. Zwar gab es im heutigen Mitteleuropa schon vor 3 Millionen Jahren Buchen, doch meine Art war nicht darunter. Allerdings die Orient-Buche. Sie hat die späteren Eiszeiten überlebt, indem sie sich Richtung Kaukasus zurückgezogen hat. Dort habe ich mich aus einer genetischen Variante der Orient-Buche entwickelt und nach der letzten Eiszeit die Eichen-Mischwälder Europas erobert. Um es zeitlich einzuordnen: Vor 2000 Jahren war ich in Deutschland die vorherrschende Baumart. Plinius der Ältere drückte es 47 n. Chr. so aus: „Wälder bedecken das ganze Germanien und verbinden die Kälte mit dem Dunkel.“ Sie erinnern sich: Mein Zauberwörtchen hieß Schatten!

Dunkle Zeiten
Spätestens im Mittelalter brachen jedoch auch für mich dunkle Zeiten an. Die Bevölkerung wuchs, die Siedlungen und Städte wurden größer. Wälder wurden zugunsten von Ackerflächen gerodet und zur Holzernte ausgebeutet. Bauholz, Brennholz, Möbelholz – für alles musste der Wald herhalten – und die vorherrschende Baumart dort war bis dato ich. Als dann groß angelegte Programme zur Wiederaufforstung begannen, hatte ich das Nachsehen. Man entschied sich für Kiefern und Fichten. Ich möchte nichts Schlechtes über die Fichten sagen, aber hinsichtlich Holzqualität und Brennwert bin ich ihnen haushoch überlegen. Mein Nachteil ist: Ich bin kein schnell verfügbares Wirtschaftsholz, sondern wachse langsam. Trotz Schattenstrategie wurde so aus mir die am stärksten durch den Menschen zurückgedrängte Baumart Deutschlands.

Wasserwerk des Waldes
Klugen Förstern und Waldfreunden sei Dank, steigen die Buchenbestände in Deutschland seit etwa 30 Jahren wieder an. Das heißt jedoch nicht, dass es mir in meinem Lieblingsland überall gut geht. Weil die Landwirtschaft immer noch große Mengen Stickstoff in die Böden einträgt, reagiere ich zum Beispiel häufiger mit Mastjahren. Dies sind Jahre, in denen ich besonders viele Früchte produziere – die aber deshalb auch besonders kräftezehrend für mich sind. Wenn sich dann auch noch die Trockenheit der letzten Sommer verstetigt, weiß ich nicht, wo das hinführt. Experten glauben jedoch, dass ich meinen Platz in den Wäldern trotz des Klimawandels halten kann. Zum einen, weil ich hoffentlich aufgegebene Fichtenstandorte zurückerobern kann. Zum anderen, weil ich mit Wasser ziemlich gut umgehen kann. So reagiere ich zum Beispiel auf die immer trockeneren Sommer, indem ich weniger Blätter entwickele und dadurch weniger Wasser verdunste. Ähnliches passiert, wenn meine Äste im Winter kahl sind. Dann fließen Regen- und Schneewasser an meiner glatten Rinde so schnell ins Erdreich hinab, wie bei keinem anderen Baum. Jetzt, wo ich das alles so aufzähle, scheint es mir fast, als hätte ich nicht nur ein Zauberwörtchen, sondern einen ganzen -kasten zur Hand. Bleibt nur zu hoffen, dass meine Tricks auch in Zukunft funktionieren.

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