Vorlage - VO/2023/12807  

Betreff: Bericht zur Situation in der stationären Jugendhilfe
Status:öffentlich  
Dezernent/in:Senatorin Monika Frank
Federführend:4.041 - Fachbereichs-Dienste Bearbeiter/-in: Drescher, Thorsten
Beratungsfolge:
Senat zur Senatsberatung
Jugendhilfeausschuss zur Kenntnisnahme
07.03.2024 
5. Sitzung des Jugendhilfeausschusses (Wahlperiode 2023 - 2028) zur Kenntnis genommen / ohne Votum   

Beschlussvorschlag
Sachverhalt
Anlage/n
Anlagen:
Anlage 1 - 2023 Bestand und Bedarf an Plätzen der stationären Jugendhilfe und Inobhutnahme

Beschlussvorschlag

Bundesweit wird seit längerer Zeit mit Sorge die angespannte Lage in der stationären Jugendhilfe beobachtet, die die adäquate Unterbringung von Kindern und Jugendlichen im Rahmen der stationären Hilfen erheblich erschwert. Fachkräftemangel, zunehmende Bedarfe bei betreuungsintensiven Kindern und Jugendlichen, steigende Zuweisungszahlen bei den unbegleiteten minderjährigen Ausländer:innen (umA), u.a., führen auch in der Hansestadt Lübeck zu einer extrem angespannten Situation bei der Suche nach adäquaten stationären Hilfen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Anzahl der jüngeren Kinder, die aufgrund fehlender geeigneter Pflegefamilien in stationären Maßnahmen untergebracht werden müssen, steigt. Nicht selten sind in Einzelfällen bis zu 80 (bundesweite) Anfragen erforderlich, um überhaupt ein Angebot für eine stationäre Aufnahme zu erhalten.


 


Begründung

 

1. Ausgangslage und Bedarfe

 

Es ist die Aufgabe der verantwortlichen Akteure der Kinder- und Jugendhilfe vor Ort, den Ausbau der Infrastruktur wohnortnaher Unterbringungs- und Unterstützungsstrukturen für junge Menschen (und ihren Familien) sicherzustellen und aktiv voranzutreiben.

 

Der Bereich Familienhilfen Jugendamt will bei der Unterbringung von jungen Menschen darauf hinwirken, dass diese innerhalb Lübecks untergebracht werden können. Dies bringt die Vorteile mit sich, dass soziale und familiäre Beziehungen erhalten werden können, insofern dies mit dem Erhalt bzw. Förderung des Kindeswohls vereinbar ist, dass das Ankommen des jungen Menschen in der Einrichtung erleichtert wird und die fallbetreuenden Fachkräfte der Hansestadt Fahrtzeiten einsparen. Eine Unterbringung außerhalb des Stadtgebietes soll aufgrund von fachlichen Gründen geschehen und nicht aufgrund von fehlenden Kapazitäten getroffen werden. Dies ist derzeit aufgrund der Versorgungslage nicht immer möglich.

 

Vor diesem Hintergrund wurde in Kooperation durch die Jugendhilfeplanung der in der
Anlage 1 beigefügte Bericht „Bestand und Bedarf an Plätzen der stationären Jugendhilfe und Inobhutnahme“ erstellt. Dieser Bericht gibt eine Übersicht über aktuelle Trends und Entwicklungen im Bereich der stationären Jugendhilfe und Inobhutnahme gem. §§ 34, 41, 42, 42a SGB VIII. Es werden Bedarfe und Handlungsansätze der Hansestadt Lübeck als örtlicher Träger der öffentlichen Jugendhilfe dargestellt. Die Anlage gibt einen detaillierten Einblick in die fachlichen Hintergründe und macht die Berechnungsmodelle des Bedarfes transparent.

Unter Punkt 4 „Fazit und Empfehlungen“ werden Aussagen über den quantitativen Bedarf an stationären Plätzen r die Versorgung in der Hansestadt Lübeck getroffen:

 

 

Stationäre Einrichtungen gem. §§ 34, 41 SGB VIII

 

  • Schaffung von Kapazitäten für die stationäre Unterbringung von unter 6-Jährigen. Zunächst werden bis zu 3 Plätze empfohlen. Diese könnten mit entsprechendem Personalschlüssel an bestehende Einrichtungen für jüngere Kinder angeschlossen werden oder in Form von familienanalogen Wohnformen.
  • Empfohlen werden zusätzliche 16 bis 20 Plätze in stationären Jugendhilfeeinrichtungen
    gem. §§ 34, 41 SGB VIII in beck für 6 bis unter 18-Jährige. Dies entspricht in etwa zwei neuen Einrichtungen.
  • Erweiterung des Angebotes von trägereigenem Wohnraum (TEW) und Wohngruppen zur Befriedigung der Bedarfe von älteren Jugendlichen und jungen Volljährigen. Auf Basis der durchgeführten Untersuchung wird ein Bedarf von 20 bis 25 Plätzen angenommen.

 

 

Inobhutnahmen gem. §§ 42, 42a SGB VIII

 

  • Ausbau der Inobhutnahmekapazitäten und Schaffung einer bedarfsgerechten Vorhaltekapazität. Diese sollten stufenweise eingeführt und der Bedarf kontinuierlich kritisch überprüft werden.
  • Es wird empfohlen, zunächst auf Basis der geschätzten Inanspruchnahme für 2023 zu starten und eine Vorhaltekapazität von 25 % zu berücksichtigen. Dies entspricht einem Mehrbedarf von rund 8 Inobhutnahmeplätzen. Ein Drittel der neuzuschaffenden Plätze sollte davon für Mädchen vorgehalten werden.
  • Somit könnten bis zu 22 ION gleichzeitig durchgeführt werden. Es ist weitergehend zu prüfen, inwiefern diese Kapazität die gleichzeitigen Belegungsbedarfe befriedigt. Auf Basis der vorliegenden Datenquellen war dies nicht möglich.

 

 

2. Aktuelle Situation und Steuerungsmaßnahmen

 

Gemeinsam mit den in Lübeck ansässigen freien Trägern der Jugendhilfe hat sich der Bereich Familienhilfen/Jugendamt unter Beteiligung der Jugendhilfeplanung auf den Weg gemacht, unter Berücksichtigung der dringendsten Bedarfe Lösungsmöglichkeiten zu schaffen:

 

 

2.1 Stationäre Clearing Wohngruppe/Inobhutnahme

 

Im Rahmen eines Interessenbekundungsverfahrens wurde die Errichtung einer „stationären Clearing Wohngruppe“ angeschoben, die als Zielgruppe Kinder im Alter von 6-11 Jahren (im Einzelfall auch ab 3 Jahren) mit

  • kurzfristigen/sofortigen Unterbringungsbedarfen hat und
  • deren komplexe Gesamtsituation ein institutionell gestaltetes Hilfesetting erfordert.

 

Die Unterbringung soll befristet zur Klärung der mittel- und langfristigen Perspektive erfolgen.

Vorgesehen sind 7 Plätze, inklusive Inobhutnahmemöglichkeit, die ausschließlich von der Hansestadt Lübeck belegt werden. Dieses macht eine pauschale Entgeltfinanzierung erforderlich.

Mit einem Trägerverbund sind die Verhandlungen aufgenommen und so weit fortgeschritten, dass aktuell nach einer geeigneten Immobilie gesucht wird.

 

 

2.2 Erweiterung der Inobhutnahmeeinrichtung

 

Aktuell verfügt die Inobhutnahmeeinrichtung, die von der Diakonie Nord-Nord-Ost (Diakonie NNO) in Lübeck betrieben wird, 14 Plätze für die Unterbringung von jungen Menschen ab 12 Jahren (5 Plätze für Mädchen und 9 für Jungen).

Aufgrund der angespannten Unterbringungssituation sind die Inobhutnahmeplätze nahezu ganzjährig belegt, in Spitzenzeiten kommt es zu Überbelegungen, die jeweils einer Einzelgenehmigung durch die Heimaufsicht bedürfen.

Eine weitere Besonderheit ergibt sich temporär, wenn aufgrund fehlender Anschlussmaßnahmen eine Vielzahl von Kindern/Jugendlichen mit besonders herausforderndem Verhalten gleichzeitig in der Inobhutnahmestelle untergebracht sind. Dieses führt zu Eskalationen, die in der Vergangenheit auch schon den vorübergehenden Einsatz eines Sicherheitsdienstes notwendig machten.

Vor diesem Hintergrund ist auch hier der Bereich Familienhilfen/Jugendamt mit der
Diakonie NNO im Gespräch hinsichtlich der Erweiterung der Plätze. Es besteht Konsens, dass die Platzzahlerweiterung räumlich getrennt von dem jetzigen Standort erfolgen soll. Es gibt bereits eine entsprechende Immobilie, die geeignet ist, fünf weitere Inobhutnahmeplätze vorzuhalten. Insoweit sind die Platzzahlerweiterung und die Entzerrung in absehbarer Zeit realistisch. Das Vorhalten der Inobhutnahmeplätze erfordert auch hier die pauschale Entgeltfinanzierung, die in die bereits bestehende mit einfließen wird.

 

 

2.3 Erweiterung des Angebotes von trägereigenem Wohnraum (TEW) und Wohngruppen zur Befriedigung der Bedarfe von älteren Jugendlichen und jungen Volljährigen

 

Es ist in 2023 gelungen, ein weiteres Angebot im Rahmen des trägereigenen Wohnraumes bzw. der sonstigen betreuten Wohnform mit insgesamt sechs Plätzen zu schaffen, die zunächst für die Unterbringung der umA diente. Darüber hinaus wird dieses Angebot in 2024 weiter ausgebaut, so dass insgesamt 22 Plätze für die Unterbringung von älteren Jugendlichen und jungen Volljährigen mit dem Ziel der Verselbständigung zur Verfügung stehen werden. Die Finanzierung erfolgt über Einzelabrechnungen auf Grundlage von Fachleistungsstunden, die sich am individuellen Bedarf orientieren. Die Kosten pro Belegungstag liegen bei durchschnittlich 125,00 €.

 

 

2.4 Schaffung weiterer stationärer Plätze gemäß Empfehlung

 

r die Schaffung weiterer stationärer Plätze auf dem Lübecker Stadtgebiet ist der Bereich Familienhilfen/Jugendamt gemeinsam mit der Jugendhilfeplanung im regelmäßigen Austausch mit den freien Trägern der Jugendhilfe. Die Kooperationsbereitschaft wird von dem Geist getragen, dass die anstehenden Herausforderungen von beiden Seiten, d.h. vom öffentlichen Jugendhilfeträger als auch von den freien Trägern der Jugendhilfe als eine Aufgabe wahrgenommen wird, die nur gemeinsam im Sinne einer Verantwortungsgemeinschaft zu meistern ist. Insoweit wird es in diesem Zusammenhang als notwendig erachtet, sich mit den Forderungen der freien Träger aus dem Aktionsbündnis KINDESWOHL IN SCHLESWIG-HOLSTEIN auseinanderzusetzen und sich diesen zu stellen.

 

 

3. Ausblick

 

Der Bereich Familienhilfen Jugendamt befindet sich in einem ständigen Austausch mit den anderen Kommunen in Schleswig-Holstein zu Handlungsoptionen, um den gegenwärtigen Herausforderungen in den stationären Hilfen zur Erziehung zu begegnen. Darüber hinaus gibt es eine enge Abstimmung mit den Trägern der freien Jugendhilfe im Rahmen des laufenden Geschäftes, in der UAG der AG 78 zu stationären Hilfen sowie zu dem o.g. Aktionsbündnis Kindeswohl. Gleichzeitig muss den beschriebenen Herausforderungen durch konkrete Maßnahmen Rechnung getragen werden. Diese können weitestgehend kostenneutral durchgeführt werden, da die entsprechenden Fallkosten für die Hansestadt Lübeck unabhängig davon entstehen, ob die Kinder inner- oder außerhalb des Stadtgebietes untergebracht werden. Die folgende Tabelle zeigt daher nicht den finanziellen Mehraufwand, sondern den Betrag, der innerhalb des Budgets des Bereichs Familienhilfen Jugendamt bedarfsgerecht verschoben wird. 

 

Umsatzschätzung für die Umsetzung der vorgenannten Maßnahmen

 

Maßnahmen mit pauschaler

Entgeltfinanzierung

Aktuelle Kosten

Zukünftige Kosten

Differenz

Stationäre Clearingwohngruppe/

Inobhutnahme

 

0,00 €

 

1,3 Mio. €

 

+ 1,3 Mio. €

 

Erweiterung Inobhutnahmeeinrichtung

 

1,85 Mio. €

 

2,51 Mio. €

 

+ 0,66 Mio. €

 


 


Anlagen

Anlage 1 - 2023 Bestand und Bedarf an Plätzen der stationären Jugendhilfe und Inobhutnahme

Anlagen:  
  Nr. Status Name    
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