- Gibt es bei Objekten, die in der Zeit zwischen 1933 und 1945 zu den Sammlungen der Stadt/der Kulturstiftung hinzukamen (z. B. Museen, Bibliothek, Archiv), systematische Überprüfungen der Anschaffungsumstände? Ist diese systematische Überprüfung abgeschlossen worden?
Antworten:
Die LÜBECKER MUSEEN:
Seit 1999 sind alle deutschen öffentlichen Institutionen nach den Washingtoner Prinzipien von 1998 und nach der Gemeinsamen Erklärung von 1999 moralisch verpflichtet, ihre Bestände auf unrechtmäßige Erwerbungen zu überprüfen. Auch die LÜBECKER MUSEEN kommen dieser Verpflichtung nach. Seit 2016 werden die Bestände der Sammlungen systematisch auf ihre Provenienzen untersucht. Begonnen wurde mit den Erwerbungen des Museums Behnhaus Drägerhaus und des St. Annen-Museums, die zwischen 1933 und 1945 auf verschiedene Wege in die Sammlung gekommen sind. Es wurden 66 Gemälde, 98 Handzeichnungen, 6 Skulpturen und 325 kunstgewerbliche Objekte untersucht. Die Untersuchungen fanden im Rahmen des folgenden Forschungsprojektes statt, das von der Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste (DZK) gefördert wurde:
- Dreijähriges Projekt »Systematische Überprüfung der Provenienzen von Teilbeständen der Sammlungsbereiche Kunstgewerbe, Gemälde und Grafik der Sammlung der Museen für Kunst und Kulturgeschichte in Lübeck«
- Laufzeit: März 2016 – August 2019
Seit November 2019 erfolgt die Untersuchung der Gemälde und Skulpturen aus dem Bestand des Museums Behnhaus Drägerhaus im Rahmen des folgenden Projektes:
- Dreijähriges Projekt »Systematische Untersuchung der Erwerbungen 1946 bis 1999 des Museums Behnhaus Drägerhaus im Bereich Gemälde und Skulpturen«
- Laufzeit: November 2019 – Oktober 2022
Aufgeteilt nach den Erwerbungsjahren wird das dreijährige Projekt im Oktober 2022 mit den Erwerbungen 1990 bis 1999 enden. Wie das vorangegangene Projekt wird auch dieses Projekt vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste finanziert. Es werden 189 Gemälde und 14 Skulpturen untersucht.
Beim Deutschen Zentrum Kulturgutverluste wurde bereits ein neuer Antrag eingereicht, mit dem um Förderung der Untersuchung der Handzeichnungen gebeten wird. Begonnen werden soll mit der Sammlung Dräger/Stubbe.
Archiv:
Für die Sammlungsbestände des Archivs gibt es keine Hinweise auf unrechtmäßigen Erwerb bzw. Erwerb unter Verfolgungsumständen. Unterlagen von Privaten wurden/werden dem Bereich in der Regel von den Eigentümern angeboten. Die allermeisten Unterlagen im Archiv der Hansestadt Lübeck stammen aus der Verwaltung.
Stadtbibliothek:
Bereits vor 2011 fand hausintern eine Prüfung der Zugangsbücher auf mögliches NS-Raubgut statt. Die Durchsicht, die von einer leitenden Bibliothekarin vorgenommen wurde, ergab keine Hinweise auf verdächtige Stücke. Eine wissenschaftliche Untersuchung ersetzte dies selbstverständlich nicht.
Die Stadtbibliothek nimmt daher an einem Projekt zur Provenienzforschung teil, das der Deutsche Bibliotheksverband in Kooperation mit dem Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaften der Humboldt-Universität Berlin durchführt.
Das Projekt „Erstcheck NS-Raubgut in Öffentlichen Bibliotheken“ läuft seit November 2021 und ist auf zwei Jahre befristet. Im Laufe des Projektes wird die zuständige Fachperson für ca. zwei Monate in der Stadtbibliothek arbeiten und die Bestände untersuchen. Der Termin zur Untersuchung ist für Dezember 2022 geplant.
- Gibt es bei Objekten konkrete Hinweise auf Unrechtsumstände und Überlegungen, wie damit umgegangen werden soll?
Antworten:
Die LÜBECKER MUSEEN:
Die LÜBECKER MUSEEN haben dem Deutschen Zentrum Kulturgutverluste (DZK) aktuell 32 bedenkliche (Verdacht auf NS-Raubkunst) bzw. belastete (bestätigter Verdacht auf NS-Raubkunst) Objekte gemeldet. Diese wurden von dem DZK in der Datenbank Lost Art veröffentlicht und sind dort öffentlich einsehbar:
https://www.lostart.de/de/suche?filter[type][0]=Objektdaten&filter[report_type][0]=Fundmeldung&filter[institution][path]=Deutschland~Schleswig-Holstein~L%C3%BCbeck~Die%20L%C3%BCbecker%20Museen
Nach Abschluss des aktuellen Projektes (Untersuchung der Erwerbungen 1946 bis 1999 des Museums Behnhaus Drägerhaus im Bereich Gemälde und Skulpturen) werden dem DZK voraussichtlich 15 weitere Objekte gemeldet.
Bei allen belasteten Objekten - d.h. bei den Objekten, bei denen sich der Verdacht auf NS-Raubkunst bestätigt hat – wurde und wird zusätzlich zu der Veröffentlichung in der Lost-Art-Datenbank proaktiv nach den Erben gesucht. Können diese ermittelt werden, so werden deren Kontaktdaten bzw. die der Ansprechpartner:innen (z.B. Anwälte) ermittelt und der Kontakt aufgenommen, um das weitere Vorgehen abzustimmen.
Für 11 der aktuell gemeldeten Objekte gibt es konkretere Pläne zum weiteren Umgang:
- 2 kunstgewerbliche Objekte (so genanntes »Judensilber«) sollen The Conference on Jewish Material Claims Against Germany (Claims Conference) gemeldet werden. Die Meldungen in der Lost Art-Datenbank sind bereits erfolgt. Die Abschlussberichte zu den Forschungen liegen vor, die Ergebnisse werden vom DZK in der Datenbank Proveana dokumentiert, aufbereitet und öffentlich zugänglich gemacht. In einem nächsten Schritt soll Kontakt mit der deutschen Repräsentanz der Claims Conference mit Sitz in Frankfurt am Main aufgenommen werden. Die Objekte werden an die Claims Conference restituiert, die stellvertretend für alle Opfer des Holocaust sämtliche Objekte übernimmt.
- 3 Gemälde wurden in der Lost Art-Datenbank veröffentlicht, die Abschlussberichte zu den Forschungen liegen vor. Bei zwei der Gemälde sind die Erben bekannt und die Kontaktaufnahmen in Vorbereitung, d.h. die jeweiligen Ansprechpartner:innen werden zurzeit ermittelt. Bei dem dritten Gemälde konnten die Erben nicht ermittelt werden, es soll der Claims Conference übergeben werden.
- Bei einem weiteren Gemälde sind die Erben bekannt. Der Abschlussbericht ist ebenso wie die Meldung bei Lost Art noch in Vorbereitung. Eine Kontaktaufnahme wird anschließend erfolgen.
- 5 Objekte Beutekunst (historische Waffen, die belgische Bürger bei der Nachrichtenabteilung der 30. Infanterie-Division der Wehrmacht abgegeben haben) wurden in der Lost Art-Datenbank veröffentlicht, der Abschlussbericht zu den Forschungen wird aktuell noch erstellt. Anschließend sollen die Objekte den belgischen Regierungsbehörden gemeldet werden (Außenministerium oder Kulturministerium).
Archiv:
Darauf gibt es keine Hinweise.
Stadtbibliothek:
Nein.
- Gab es in den vergangenen Jahren Restitutionen aus den Sammlungsbeständen (Bibliothek, Archiv, Museen) der Hansestadt Lübeck? Um welche Objekte handelte es sich? Welchen Anlass und welche Hintergründe gaben den Anlass zur Restitution?
Antworten:
Die LÜBECKER MUSEEN:
Bislang wurden folgende Restitutionen vorgenommen:
Mechelner Christkind |
Entzug | • Ab 1921 als Teil eines Reliquienaltars Eigentum des Staatlichen Museums Schwerin • Seit 1945 Verlust der Figur und des Altars • 1948 Ankauf durch das St. Annen-Museum bei Kunsthändler Stief, Lübeck |
Restitution | • 1982 Rückgabeforderung vom Staatlichen Museum Schwerin • 1989 Rückgabe der Figur in Form von Austausch von Kulturgütern zwischen DDR und BRD; dafür erhält Lübeck zwei Tapeten-Supraporten zurück |
Kirchenglocke aus Staraja Russa |
Entzug | • 1672 Guss in Lübeck mit hoher Wahrscheinlichkeit im Auftrag von russischen Kaufleuten und Export nach Russland • 1942 Entdeckung von deutschen Soldaten in der St. Mina-Kirche in Staraja Russa/ Russland • 19. Januar 1943 Übergabe an Stadt Lübeck „als Gruß von der Ostfront an die Heimat“ |
Restitution | • Anfang 1999 erste Kontakte durch die Administration der Stadt Staraja Russa nach Lübeck • Sommer/ Herbst 2000 umfangreiche Abstimmungen mit allen infrage kommenden Institutionen; Organisation des Rücktransports • Rückgabe der Glocke am 18.02.2001 (Tag der Befreiung Staraja Russas) |
Cornelius Springer „Markt mit Rathaus und Marienkirche“ |
Entzug | • Bis 1938 Eigentum von Victor von Ephrussi, österreichischer Bankier und Kunstsammler • 1938/1939 Beschlagnahme der Kunstsammlung und des Palais Ephrussi • November/Dezember 1939 Transport von der Wiener Galerie St. Lukas nach Lübeck (nicht bekannt, ob Ankauf, Schenkung oder Tausch) |
Restitution | • 2003 Rückgabeforderung des Gemäldes durch den Anwalt Alfred Noll im Namen der Erben nach Victor von Ephrussi • 12. Juli 2004 Abholung und Versteigerung durch Auktionshaus Sotheby’s |
Kerckring-Altar |
Entzug | • Bis 1939 Eigentum der Familie Brederlo und deren Nachfahren Familie Sengbusch • 1940 Umsiedelung der Familie Sengbusch nach Posen; Überführung der Kunstsammlung in lettisches Staatseigentum • 1943 Schenkung an Stadt Lübeck von Lübecker Bürgermeister und Generalkommissar in Riga Dr. Heinrich Drechsler |
Restitution | • 1965 Rückgabeforderung durch die Erben nach Wilhelm von Sengbusch • 3. März 1967 Besprechung zwischen Hansestadt Lübeck und Erben • 2. Oktober 1992 Vergleich mit den Erben und der Hansestadt • 1. Eigentum der Erben • 2. Dauerleihgabe an die Hansestadt Lübeck; Verpflichtung zur dauerhaften Präsentation, Pflege und Dokumentation |
Matthias Scheits „Kreuztragung Christi“ |
Entzug | • Bis 1938 Sammlung Dr. Michael Berolzheimer, Garmisch-Partenkirchen • Sommer 1938 Emigration der Familie Berolzheimer; Beschlagnahme und Veräußerung der Sammlung in Abwesenheit der Familie • 9./10. März 1939 Auktion bei Adolf Weinmüller, München, Ankauf durch St. Annen-Museum |
Restitution | • 6. Mai 2014 Rückgabeforderung von Holocaust Processing Office (HCPO) in Vertretung der Erben nach Berolzheimer • Juni 2016 Einigung auf Zahlung von 5.000 € an Holocaust Claims Processing Office; Zeichnung verbleibt im St. Annen-Museum |
Mondsichelmadonna |
Entzug | • ab 1524 Aufstellung im Saal des Kongresshauses „Große Gilde“ • Seit 1930 auf der Liste der staatlich geschützten und von der Ausfuhr ausgeschlossenen Kulturgüter • Oktober 1940 Überführung ins Museum für Geschichte der Hauptstadt Riga auf Betreiben der Nationalsozialisten • 1943 Übergabe als „Geschenk“ der Stadt Riga an Lübeck (Rigaer Museum erhält 40.000,- RM als Ankaufsfond) |
Restitution | • 1998 Wiederentdeckung durch Recherchen zur Neuaufnahme der Bestände der gotischen Holzplastiken; im gleichen Jahr Kontaktaufnahme mit Riga sowie zuständigen Bundes- und Länderbehörden • 1999 symbolische Übergabe durch Bürgermeister Michael Bouteiller und Kultursenator Ulrich Meyenborg • 17. August 2001 offizielle Übergabe durch Bürgermeister Bernd Saxe und Museumsdirektor Thorsten Rodiek an Stadt Riga |
Zwei Wappenkissen |
Entzug | • Bis 1937 Eigentum der Hamburger Kunstsammlerin Emma Ranette Budge • 1937 nach Budges Tod Nötigung der Testamentsvollstrecker zur Veräußerung der Kunstsammlung • 14. Februar 1937 Versteigerung der Sammlung beim Auktionshaus Graupe und Beschlagnahme des Erlöses • Auflage der Lübecker Stadtverwaltung, nicht bei jüdischen Händlern wie Paul Graupe zu tätigen • Museumsdirektor Hans Schröder beauftragte Hamburger Kunsthändler Oskar Brozukat mit der Ersteigerung der Wappenkissen |
Restitution | • 2016 im Zuge des Projektes zu Provenienzforschung Entdeckung der zwei Wappenkissen; anhand eines Eintrags in der Lost Art-Datenbank des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste identifiziert • 2019 Kontaktaufnahme mit der Anwaltskanzlei Rosbach & Fremy • Ende August 2019 Rückgabe an die Erben nach Emma Budge; direkte Einlieferung in ein Auktionshaus |
Amor aus Bernstein |
Entzug | • Seit 1754 Eigentum von Schloss Friedenstein, Gotha • 1945 Diebstahl aus dem Auslagerungsort • 1950 Ankauf durch das St. Annen-Museum vom Hamburger Kunsthändler Kurt Nass |
Restitution | • 2015 Rückgabeforderung des Gothaer Museums Schloss Friedenstein • 2020 Fotoanfrage des Gothaer Museums Friedenstein; Entschluss zur Rückgabe • 01. Oktober 2020 Rückgabe an Schloss Friedenstein, Gotha |
Archiv:
Solche Restitutionen gab es nicht. Das Archiv vermisst im umgekehrte Fall seinerseits noch Teile seiner Bestände von vor 1945, die als Beutegut u.a. in Russland liegen.
Stadtbibliothek:
Nein.
- Gab es Restitutionsforderungen, denen nicht entsprochen wurde?
Antworten:
Die LÜBECKER MUSEEN:
Ab dem Jahr 1999, als sich deutsche öffentliche Institutionen im Sinne der Washingtoner Prinzipien von 1998 verpflichtet haben, unrechtmäßig erworbene Sammlungsstücke zu restituieren, gab es keine Restitutionsforderungen, denen nicht entsprochen wurde. Auch für die Zeit davor sind keine Restitutionsforderungen, denen nicht entsprochen wurde, bekannt.
Archiv:
Nein.
Stadtbibliothek:
Nein.
- Gibt es konkrete Absichten und Vorbereitungen zu künftigen Restitutionen von Sammlungsbeständen, außer den bekannten 26 Objekten aus Namibia und Zentralafrika?
Antworten:
Die LÜBECKER MUSEEN:
Bei den belasteten Objekten wird Kontakt zu den jeweiligen Erben aufgenommen (siehe Auflistung unter Antwort 1). Inwiefern diese Kontaktaufnahme tatsächlich zu einer Restitution im Sinne einer physischen Rückgabe des Objektes führt oder andere Optionen in Frage kommen, ist in jedem Fall individuell abzustimmen.
Archiv:
Nein.
Stadtbibliothek:
Diese Frage kann erst nach Abschluss des unter Frage 1 genannten Projektes beantwortet werden. Derzeitiger Stand: Nein.