Die Hansestadt Lübeck erhebt für Maßnahmen, für die mit der Abnahme der Bauarbeiten die sachliche Beitragspflicht vor dem 01.01.2019 entstanden ist, noch Straßenausbaubeiträge. Erst für Maßnahmen, bei denen die sachliche Beitragspflicht nach diesem Zeitpunkt eingetreten wäre, hat die Bürgerschaft mit dem Beschluss der 1. Änderungssatzung zur Straßenausbaubeitragssatzung am 29.11.2018 die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen ausgeschlossen. Es werden daher nach wie vor Straßenausbaubeiträge erhoben, längstens jedoch bis zum 31.12.2022. Zu diesem Zeitpunkt tritt für die bis zum 01.01.2019 abgenommenen Maßnahmen spätestens die Festsetzungsverjährung ein.
Die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen erfolgt gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 der Straßenausbaubeitragssatzung generell auf der Grundlage der tatsächlich entstandenen Kosten. Nur für die Erneuerung der Regenwasserleitung als Teil der Straßenentwässerung wird der Aufwand gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2-6 der Satzung nach einem im Voraus kalkulierten Einheitssatz berechnet:
„§ 4 Art der Ermittlung des beitragsfähigen Aufwandes
(1) Der beitragsfähige Aufwand kann für die einzelne Einrichtung oder für bestimmte Abschnitte einer Einrichtung ermittelt werden. Für mehrere Einrichtungen, die zur Erschließung von Grundstücken eine Einheit bilden, kann der Aufwand insgesamt ermittelt werden.
(2) Der beitragsfähige Aufwand wird nach den tatsächlich entstandenen Kosten ermittelt. Davon ausgenommen ist der beitragsfähige Aufwand für die Straßenentwässerung als Anteil für den Einbau einer Regenwasserleitung. Dieser wird nach einem Einheitssatz ermittelt. Der Einheitssatz beträgt pro lfd. Meter Leitung 840 Euro.
Der Einheitssatz wird an den maßgeblichen Baukostenindex des Statistischen Bundesamtes für Entwässerungskanalarbeiten im Straßenbau gekoppelt. Erhöht oder ermäßigt sich dieser um 5 Punkte (Basis 2012 = 100) erfolgt eine Anpassung nach Ablauf des Jahres der Abweichung. Erfolgt eine Neukalkulation des Einheitssatzes durch die Entsorgungsbetriebe Lübeck wird die Satzung geändert.“
Die Berechnung des Aufwandes für einen Teil der Straßenentwässerung nach dem Einheitssatz war gewählt worden, um die Lasten zwischen größeren und kleineren Straßen für die Grundstücksanlieger:innen gerechter zu verteilen und den Verwaltungsaufwand zu minimieren.
Der Einheitssatz, der im Grundsatz schon in früheren Fassungen der Straßenausbaubeitragssatzung enthalten war, war über viele Jahre hinweg unbeanstandet angewendet worden. Erstmals im Jahr 2017 wurde seine Rechtmäßigkeit in einem Verwaltungsrechtsstreit bestritten.
Das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht hat in diesem Rechtsstreit mit Urteil vom 27.05.2020 entschieden, dass der Einheitssatz unwirksam ist und dies in einem weiteren bereits anhängigen Verfahren mit Urteil vom 10.09.2020 nochmals bestätigt. Das Gericht beanstandet vor allem, dass bei der Kalkulation des Einheitssatzes Kosten von Grundstücksanschlüssen einbezogen worden waren, die nicht der Regenwasserleitung der Straße zugerechnet werden können. Es hat darüber hinaus Zweifel daran, dass in einer Stadt wie Lübeck ein einziger Einheitssatz zulässig ist.
Das Verwaltungsgericht hat in seinen Urteilen weiter ausgeführt, dass nach seiner Auffassung trotz der Unwirksamkeit des Einheitssatzes ein Rückgriff auf die im Einzelfall tatsächlich entstandenen Kosten für den Einbau der Regenwasserleitung zulässig ist.
Da diese Frage für Straßenausbaubeiträge nach dem schleswig-holsteinischen Kommunalabgabengesetz (KAG) noch nicht höchstrichterlich geklärt war, hat das Verwaltungsgericht die Berufung zum OVG Schleswig zugelassen, die in beiden Fällen auch eingelegt wurde.
Bereits mit der VO/2020/09090 wurde der als Anlage beigefügte Satzungsentwurf zur Entscheidung in die Gremien gegeben. Eine Entscheidung wurde allerdings letztmalig im Bauausschuss am 07.03.2022 bis zur Vorlage des Urteils des OVG Schleswig zurückgestellt.
Das OVG Schleswig hat nunmehr mit Urteil vom 10.03.2022 berichtigt mit Beschluss vom 18.05.2022 bestätigt, dass der Einheitssatz rechtswidrig ist und gleichzeitig die Möglichkeit des Rückgriffes auf die tatsächlichen Kosten ohne eine entsprechende Satzungsregelung verneint, so dass die Kostenanteile für den Einbau der Straßenregenentwässerung derzeit nicht mehr rechtmäßig veranlagt werden können.
Derzeit steht noch ein weiteres Verfahren zur Entscheidung beim OVG an, in dem die Kosten für den Einbau der Regenwasserleitung ebenfalls streitig sind. Außerdem wurde die Bescheidung von Widersprüchen in vielen Verfahren im Hinblick auf die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts vom 27.05. und 10.09.2020 zurückgestellt, um die Zahl der Klagen gering zu halten. Weiterhin stehen auch noch für drei Straßen Veranlagungen an, die auch eine Erneuerung der Straßenregenentwässerung zum Inhalt haben.
Der fehlerhaft festgelegte Einheitssatz für die Teileinrichtung Straßenentwässerung kann nur durch den Satzungsgeber selbst, nicht aber durch dessen Verwaltung oder das Gericht korrigiert werden. Es ist deshalb erforderlich, entweder den Einheitssatz neu zu kalkulieren oder den Aufwand für die Erneuerung der Regenwasserleitung ebenfalls nach den tatsächlichen Kosten zu berechnen. Die Neukalkulation des Einheitssatzes würde einen erheblichen personellen Aufwand erfordern, der angesichts der begrenzten Zahl noch abzuschließender Fälle nicht gerechtfertigt wäre. Ein völliger Verzicht auf diesen Teil der Kosten stünde im Widerspruch zu der die Hansestadt Lübeck bis zum 26.01.2018 treffende Beitragserhebungspflicht. Es bietet sich daher an, die Straßenausbaubeitragssatzung so zu ändern, dass die Erhebung der Beiträge auf der Grundlage der tatsächlich entstandenen Kosten möglich ist.
Dazu dient die als Anlage beigefügte 2. Satzung zur Änderung der Straßenausbaubeitragssatzung. Mit dem Wegfall der Sätze 2-6 des § 4 Abs. 2 der Satzung können auch die Kosten der Regenwasserleitung nach den tatsächlichen Kosten abgerechnet werden.
Diese Regelung muss rückwirkend in Kraft treten, da für die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen die Rechtslage zum Zeitpunkt der Entstehung der sachlichen Beitragspflicht entscheidend ist. Eine rückwirkende Satzungsänderung ist in Fällen wie diesem auch rechtlich zulässig.
Allerdings ist das sogenannte Schlechterstellungsverbot des § 2 Abs. 2 KAG zu berücksichtigen. Das geschieht mit der Regelung unter Ziff. 2 der Änderungssatzung. Sie gewährleistet, dass kein Beitragspflichtiger nach der rückwirkenden Satzungsänderung einen höheren Beitrag zahlen muss als auf der Grundlage der bisher geltenden Fassung der Satzung.
Um sicher zu stellen, dass nicht auch bestandskräftige Veranlagungen neu aufgegriffen werden müssen, ist es erforderlich zu bestimmen, dass die Satzungsänderung bereits abgeschlossene Fälle nicht berührt.
Sollte die Satzung unverändert bestehen bleiben, ergeben sich folgende finanzielle Auswirkungen: Für die zurückgestellten Widersprüche wären ggfs. - nach entsprechender gerichtlicher Einzelfallentscheidung - ca. 225.000,00 € zu erstatten. Außerdem könnten tatsächliche Kosten in Höhe von ca. 71.000,00 € für die drei noch fehlenden Straßen nicht zu 85 % umgelegt werden.
Die finanziellen Auswirkungen der als Anlage beigefügten Satzungsänderung wären, dass ca. 115.000,00 € im Rahmen der zurückgestellten Widerspruchsverfahren zu erstatten wären, die Kosten für die drei noch fehlenden Straßen könnten umgelegt werden.